KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Donnerstag, 06. Dezember 2007, 08:19
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WAS IST (SCHREIB)KUNST?

Ein Dialog mit Tine alias angyal

Bergmann: Bin ich zu streng? Ich glaube, ja. Würde ich mich selbst richten, müsste ich alle meine Texte auf KV löschen.

Tine: Nein. Du solltest nur gelegentlich in Betracht ziehen, dass nicht alles so klar ist, wie man es gern hätte und dass man Ziele nicht unbedingt im Frontalangriff erreicht. Der sanfte Weg ist für alle die besser, die sich ohnehin schon selber richten. Die benötigen das Gegenteil. Ich bin da übrigens sehr leidensfähig. Dies hier ist kein Text, an dem mir viel liegt. Es ist eine Nachfrage. Ich hatte einen äußerst seltsamen Telefonanruf und ich glaube, es war niemand aus meiner täglichen Umgebung. Und ich bin so elendig neugierig.

Bergmann: Halb hast du recht, halb ich. Ich bin auf KV überhaupt nicht pädagogisch, und ich will's auch nicht sein.
Außerdem kennen wir uns ja nun, und du kannst mich bestimmt gut übersetzen.

Tine: Was soll hinten rauskommen?

Bergmann: Schwer zu sagen, wie überhaupt im ganzen Leben. Immerhin kannst du herausfiltern: Dem gefällts, der gefällts nicht, dem halb, der sagts weitgehend zu usw. - kleine Katalysatoren der permanenten literarischen Selbstfindung. Und immer wieder die Frage: Was schreibe ich hier - ist das nur formatgemäß, nur adressiert an meine Stammleser, oder soll das, was ich schreibe, zu etwas anderem, Größeren wachsen?

Tine: Bei mir ist es so: Ich freu mich über Kommentare, über Antworten, weil ich gern kommuniziere. Und ich werde ganz nervös, wenn ich was geschrieben habe, das ich selber wunderbar finde, aber niemand reagiert darauf. Das nimmt mir schon Motivation.
Aber das ist auch der Punkt, wo ich spüre, dass ich es im Grunde auch nicht für ein Publikum tue, selbst wenn es sich im Einzelfall so anhört. Ich tu´s für mich. Weil ich dabei in der Magengegend, in den Schläfen etwas spüre. Und das möchte ich nicht missen. Manchmal ist es ein Bild, eine Erinnerung, manchmal ist es jemand anderes, manchmal ist es Liebe, Traurigkeit, Empörung oder eine Verhandlung mit dem Tod, Meditation oder ...
Ich verspüre nur bei wenigen Texten, ob bei meinen oder bei fremden, ein inneres Vibrieren, eine Spannung. Wenn, dann sind sie außergewöhnlich gut. Aber ich kann das nicht erzwingen. Und im Übrigen ist "außergewöhnlich gut" eine Definitionssache. Sicher, man kann für Kunst Qualitätskriterien einführen. Ein Gedicht, das unbeabsichtigt metrisch schief ist, ist kein gutes Gedicht. Und ob es gerechtfertigt ist, einen Text, der nur durch Versumbrüche als Gedicht erkennbar wird, so zu bezeichnen, auch darüber könnte man lange streiten. Deutlich ist mir nur, dass formfeste und gereimte Gedichte oft zugänglicher sind und zwingen, sich zu konzentrieren. Ich würde eher ein gereimtes Gedicht in der Schule einsetzen als ein ungereimtes. Denn ohne solche Grenzen Konzentration zu erlangen, ist viel schwerer und bedarf umfassender Übung. Auch darf man nicht sehr ängstlich sein. Man muss auch selber sagen können: Das ist ein Gedicht.
Ich finde Wiedererkennbarkeit ist bei Gedichten eine Qualitätsanzeige. Wenn ich weiß: Ja. Das. Wenn ich Teile daraus zitieren kann, wenn ich einzelne Verse im Kopf trage, drehe, immer wieder heraushole. Dann ist das ein gutes Gedicht.
Im Übrigen bedarf es, das widerläuft zutiefst unserer westlich-kapitalistischen Mentalität, der Fähigkeit, zu sagen: Heute dieses Gedicht, dieses wunderbare Gedicht, morgen nicht mehr. Morgen ist es irrelevant, morgen ein neues und das auch nur für einen Tag. Ein wenig Zen benötigt man dafür. Ganz schwer scheint mir das. Es ist eine Wertschätzung der Gegenwart, wie sie nicht zu übertreffen ist und zugleich eine ungeheure Akzeptanz der Vergänglichkeit. Das ist schwer durchzuhalten, weil Menschen Sicherheit wollen, etwas haben und halten. Das Gößere, was für mich hinten dabei raus kommen könnte, wäre ein wertschätzender, aber dennoch nicht anhaftender Umgang mit dem Leben. Mehr eigentlich nicht.
Alles Äußere, egal was es ist und wie sehr ich es auch schätze, ist dagegen eigentlich irrelevant. Wenn man denn so weit ist...
Ja. Und das kann man nicht erzwingen. Dafür muss man Freiräume schaffen. Der Mensch ist ein System. Wie und wohin er wächst, das kann man nicht vorhersagen und von oben oder außen aufpfropfen. Man kann nur ordentlich düngen und gelegentlich was abschneiden. Nur den Haupttrieb, den muss man dran lassen. Das ist die Kunst.

Bergmann: Deine Position ist mir viel zu frei im Gefühligen, wo Schreiben zu sehr selbsttherapeutische Entäußerung wird und alles darf und Anerkennung erheischt - und viel zu eng in der Anlehnung an literarische Epochen und orthodoxe Formen. Mit dieser Haltung erstickst du in der Imitation von längst gesagten Gefühlen und kreierst gereimte Gefühlchen. So landest du bei handwerklichen Standards und wärmst dich an der Anerkennung der einfachen Seelen und kunstgewerblichen Geschicklichkeit der Wortklempner und der modischen Wort-Juweliere. Das ist keine Kunst!

Tine: Zunächst: Was, wenn das alles nicht, ist Deiner Meinung nach Kunst? Dann: Was hast Du gegen Gefühliges? Was ist grundsätzlich dagegen zu sagen, Anerkennung zwar nicht in den Vordergrund zu stellen, aber doch immerhin gern entgegen zu nehmen? So sie denn nicht aus anderen Gründen, speziellen, zum Beispiel politischen, abzulehnen wäre.
Formen aus früheren Epochen sind dann nicht vergangen, wenn man mit ihnen etwas Aktuelles zu sagen hat. Und dass es stets ein Nebeneinander von Veränderung und Unverändertem gibt, das wirst Du kaum bestreiten können. Was bedeutet bitte: viel zu eng. Wie weit weg wär´s denn genau richtig? Es ist keine Frage: Kreativität ist im Allgemeinen definiert dadurch, dass man etwas auf ungewöhnliche Weise tut. Aber das bedeutet nicht zwangsweise jenseits traditioneller Formen. Und auch da ist die Frage, was das ist, was da anders ausgesagt wird. Ist es nicht schon per se anders? Weil es jemand anderes ist, weil der Kontext ein anderer ist. Weil das Medium ein anderes ist und das Publikum? Ach ja: Und wieso längst gesagte Gefühle? Was erwartest Du nach Millionen Jahren Menschheitsgeschichte? Was sollen das für eigenartige Gefühle sein, die da plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Menschliches Erleben, Denken wie Fühlen, hat eine organische Basis. Die ist von Mensch zu Mensch, je nach Übung, anders strukturiert, aber sie erhält ihre Struktur aus Überlebensnotwendigem. Deshalb ist sie auch so unähnlich von Individuum zu Individuum meist nicht. Und "Gefühlchen" ist eine Verniedlichung, die mir angesichts der kognitiv hochentwickelten Tragik menschlicher Existenz unangemessen erscheint, egal, wen sie trifft. Es ist eine erhebliche Arroganz, die daraus spricht. Du solltest doch mal Amérys "Hand an sich legen" lesen, die Stelle, wo er dem simpelsten Liebeskummer (Dienstmädchen verliebt sich in Schlagersänger) noch so viel Würde beimisst, dass er die Berechtigung anerkennt, sich deshalb aus dem Fenster zu stürzen. Von "Gefühlchen" würde ich in keinem Falle reden wollen und wenn das Ding noch so metrisch schief ist.
Handwerkliche Standards finde ich keineswegs verachtenswert. Schon allein des Fachkräftemangels wegen. Sie sind eine solide Basis.
Man kann mit Gedichten alles machen, wie mit dem Wort überhaupt. Es gibt da keine Grenzen und wenn man von morgens bis abends in ödipaler Verhaftung nach der Mama rufen wollte, wer wollte das verbieten? Also darf man selbstverständlich schreiben was man will. Und ohne Frage kann man sich auch selbsttherapeutisch entäußern, wobei ich das unter therapeutischen Aspekten für keine gute Alternative halte. Jedenfalls hat es keine kathartische Wirkung. Im Gegenteil. Es macht gewiss eher krank als gesund. Wenn man es dann trotzdem tut, dann hat das was mit Wertschätzung der eigenen Macke zu tun oder der eigenen Existenz. Mit Glück. Weil ich der Überzeugung bin, dass das sowohl helle wie dunkel Seiten hat. Im Übrigen schließt das nicht aus, das man versucht, etwas zu kontrollieren, wie in politischen Gedichten, die ich allerdings für weitgehend irrelevant halte. Aus systemischen Gründen. Nun, aber aus eben solchen weiß man ja nie....
Ich glaube, es geht Dir darum, die Spitze der Gaußschen Kurve zu besiedeln. Die Frage ist nur, ob das in Deinen Zuständigkeitsbereich fällt.
... Was Kunst ist: Eine falsche Fragestellung, meine ich. Es ist wohl eher so: Wer bestimmt, was Kunst ist? Und es wäre eine Katastrophe, wenn das irgendjemand anderes täte als der Künstler. Kunst ist die Religion der Intellektuellen oder eine Chiffre der Transzendenz. Wobei ich das nicht einmal metaphysisch meine, sondern ganz so vom Gefühlchen her. Liebe Grüße, Tine

Bergmann: Wenn der, der Kunst will, keinen Widerstand erfährt, sondern seinen Seelenschmus in gereimter Form schabloniert von sich gibt, dann handelt es sich um langweilig geformte Befindlichkeit oder bestenfalls um Modeschmuck. Das modische Attribut der Abwehr jeder Kritik und jedes Anspruchs ist: Arroganz. Du musst dich damit abfinden, liebe Tine, dass Leser, die schon einiges kennen, die Verse von angyal und Isaban, so nett, so gut sie rein handwerklich gemacht sind, ganz einfach langweilen, weil sie schon seit fast hundert Jahren verbraucht sind. Mit deinem ganzen Rechtfertigungsüberbau für deine verbalen Laubsägearbeiten aus der poetischen Geschenkboutique täuschst du mich nicht - aber dich selbst. Herzlichst: Uli

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Bergmann (07.12.07)
Hier steht (ungekürzt) die Hauptsache.
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