KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 25. März 2009, 16:21
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NORA

Ein Puppenheim von Ibsen in Bonn

134. Kolumne

Dekonstruktion der neuen Männlichkeit

[Ein Puppenheim: 1879 - 2001]

Schnickschnack, denke ich, als ich den Eingang zur Männertribüne nehmen muss - solche Inszenierungsideen mag ich nicht, weil ich frei sein will von Denk-Verordnungen. Aber demonstrativ die Frauentribüne wählen? Nee. Wer inszeniert denn hier das Stück vor dem Stück (oder das Stück im Stück) ? - Ich schlage das Programmheft auf: Hilsdorf. Der kann doch was - warum macht der so’n abgedroschenen Scheiß, so eine intellektuelle Publikumsverarschung? Wird vielleicht bei dem Stück gehen, denke ich - aber ich hätte es nicht gebraucht. Im ungefähr quadratischen Raum der Werkstatt-bühne sitzen die Männer auf der rechten Seite einer Diagonale, die Frauen links - an der anderen Diagonalenecke ist die Bühne, ein kleines Quadrat im großen Quadrat.

Völlig abgelenkt von solcher Hinlenkung auf meine Rolle als Mann sehe ich mir kaum das Bühnenbild an. Dann geht es los. Was nun folgt, ist ein unglaublich fulminanter Beginn!
Ich sehe jetzt ein Wohnzimmer im Stil unserer Zeit: Mit den total weiß getünchten Mauern und Schiebegitter vor dem einzigen Fenster erscheint es wie das Zimmer eines Museums der modernen Kunst, das genausogut auch eine Gefängniszelle sein könnte. Allerdings mit zwei Türen zum Flur. Das Zimmer ist fast kahl, es enthält nur das Notwendigste: Stühle und einen Tisch. Kein Bild, nur die Requisiten eines Gefängnislebens, denke ich. Das ist die Architektur unserer Zeit, unseres Lebens heute. Später laufen Mann und Frau durch diese Türen, manchmal wie im Kreis - die Frau kann nicht fliehen, sie verlässt nie wirklich die Wohnung, solange sie nicht den Teufelskreis ihrer Ehe durchbricht.
Friedrich Hilsdorf und der Bühnenbildner Haitger M. Böken wollen demonstrieren, dass sich die Zeiten kaum geändert haben, weil Männer und Frauen sich fremd bleiben. Die rechtliche und soziale Verbesserung der Frauenrolle änderte nur wenig am Geschlechterkampf. Diese Demonstration gelingt dem Regisseur und seiner Inszenierung - und dem Autor Henrik Ibsen, dessen Stück vor 121 Jahren in Kopenhagen uraufgeführt wurde. Zumindest ist das alles noch immer aktuell:

Die Unterdrückung der Frau in einer Ehe, in der der Mann über Geld und Lebensplanung bestimmt. Das Schuldbewusstsein einer Frau, die sich für ihren Mann opfert - dabei entsteht der Konflikt, dass sie die Herrschaftsmoral des Mannes verletzen musste um ihn zu retten: Nora verschweigt, dass sie bei einem einstigen Schulfreund ihres Mannes, Krogstad, Schulden aufgenommen hat, die sie abstottert; das Geld brauchte sie für eine lebensrettende Operation des damals schwer kranken Mannes, der glaubt, dass sein Schwiegervater zahlte; aber Nora hatte ihren Vater nicht zu fragen gewagt und fälschte seine Unterschrift für eine Bürgschaft, als der Vater schon drei Tage tot war. Nora versagt also schon bei dem ersten Mann, den sie kennenlernt - bei ihrem Vater. Geld und Geschäfte sind nicht Sache einer Frau, sie ist in der Ehe nur der Schmuck ihres Mannes, seine „zwitschernde Lerche“, die gute Stimmung zu verbreiten hat und erst für den Vater, dann für den Mann lebt, eine Puppe in einem Puppenheim. Ein Kind, das gar nicht satisfaktionsfähig ist in einem Ehekonflikt, das nur erwachsen sein darf als Objekt der Begierde, Sklave in seinem Haus und Mutter seiner Kinder und seiner Erziehung. Sie hat sich der Ehre ihres Mannes zu fügen - vor allem wegen seines Bildes in der Öffentlichkeit. (Hat sich da heute so viel geändert?)
Zum Titel: Meist wurde Ibsens Erfolgsstück unter dem opernhaften Titel „Nora“ gespielt, wie das beliebige Schicksal einer bestimmten Person - aber „Ein Puppenheim“ trifft das Problem gleich viel tiefer.

Torvald Helmer wird Präsident der Bank, in der Krogstad arbeitet. Helmer kündigt Krogstad, den er nicht mag - nun kommt es unweigerlich zum Konflikt, der die Katastrophe ist. Krogstad erpresst Nora - sie soll alles tun, damit Krogstad seine Stellung behält. Sie setzt sich für Krogstad ein, Helmer weist das Ansinnen seiner Frau ab ohne ihre Motive wirklich wissen zu wollen.

Sehr prägnant spielt Thomas Klenk den absolut Coolen, den smarten Ehemann, die neue Männlichkeit, die in Wahrheit die alte ist - er ist der Typ, der das ganze Leben an einer Management-Oberfläche mit einer Sicherheit und Vernünftigkeit steuert, die wir heute auf Schritt und Tritt überall antreffen - auf der Straße, im Beruf, in den Nachbarschaftsgesprächen, beim Einkauf, im Restaurant, in Talkshows, und selbst in unseren engsten Beziehungen, in Freundschaften und Liebschaften. Mann ist Mann. Immer noch, wenn auch schwieriger als vor 100 Jahren. Klenk beherrscht auch die feinen Töne des potentiell durchaus empfindsamen Mannes. Allerdings ist am Ende er das Kind, das die Befreiung der Frau, also die Trennung fürchtet, den Verlust seiner Sklavin, seines Objekts der (seltenen und oft unterdrückten) Begierden, der vor der Einsamkeit erschrickt. Nach dieser Aufführung kann ich mir kaum noch eine andere Art als die vorstellen, in der Thomas Klenk Torvald Helmer spielt - er führt uns ein doppeltes Röntgenbild des Mannes vor: Alte Männlichkeit 1879 und neue Männlichkeit 2001. Trotz temporärer Komik, in die Klenk nach unseren heutigen Maßstäben in seiner Rolle fällt und fallen muss, bleibt diese Figur letztlich tragisch, weil dieser Mann an sich selber scheitert.
So authentisch gestalten Thomas Klenk und Ulrike Gubisch das einzige Gespräch ihrer Ehe, dass ich mich verstanden fühle (in meiner geschlechtlichen Rolle) und zugleich auch ein wenig entlarvt (in meiner sozialen Rolle).
Manchmal suchen sich die Blicke - Männertribüne / Frauentribüne.... Ich schaue mich in der Pause um - verdammt hässlich sehen wir Männer aus, wir werden erst erträglicher im Beisein der Frauen. Mag sein, dass heute Abend alle Männer besonders alt und knöchern waren - geprägt von der alltäglichen Verwaltung ihres Über-Ichs.

Wieder einmal genau richtig besetzt: Ulrich Kuhlmann als Dr. Rank, den er so narzisstisch spielt wie er zugleich das Leben liebt. (Da kann sich U.K. vielleicht auch ein wenig selbst spielen... - aber wie diszipliniert!) Kuhlmann gefällt mir immer wieder, weil er sich in die Inszenierung, ins Stück, einfügt, weil er seinen Narzissmus zu instrumentalisieren versteht im Dienste des Theaters. Er spielt hier das erotische Moment heraus, das Helmer fehlen muss, weil er als Herrscher nicht wirklich spielen, nicht lieben kann - Helmer ist so cool, dass er das Spiel mit der größten Anstrengung nur vortäuschen kann. Er ist spielunfähig - er ist liebesunfähig.

Ulrike Gubisch legt die Nora großbögig an - schon in der ersten Szene mit Kristine Linde - untadelig gespielt von Angelika Fornell, die die Authentizität der existentiellen Situationen, in die sie gerät, genau entwickelt und umsetzt. Großbögig, weil der selbsbewusste Beginn im Umgang mit der alten Freundin schon vorausdeutenden Charakter für das Ende des Stückes besitzt. Ja, dieser Frau traut man allmählich zu, dass sie ihr Bewusstsein zu ändern vermag und sich als unterdrückte Frau befreit und als Mensch emanzipiert. Gubisch spielt keinen reinen Charakter, sondern eine Frau, die soviel Charakter entwickelt, wie sie sich je nach Situation leisten kann. Das ist betörend nuanciert gemacht. Auch die sprachliche Umsetzung des Textes gelingt ihr - wie ihrem Gegenüber Thomas Klenk - so gut, dass man die Augen schließen könnte um nur zuzuhören. Ich habe Ulrike Gubisch so gut, so überzeugend noch nicht gesehen. Stark war sie immer - in Arthur Millers „Hexenjagd“ zum Beispiel, wenn auch dort in einer zweifelhaften Inszenierung falsch geführt -, aber heute sehe ich eine Schauspielerin, der alles gelingt.

Und Nagler als Krogstad? Nagler spielt immer gut, auch hier gestaltet er sehr sicher seine Rolle. Allerdings hat die sonst so treffsichere Inszenierung an der Stelle eine Schwäche, wo Kristine Linde sich Krogstad nackt anbietet. Hilsdorf will vielleicht die sich sexuell unterwerfende und derart kalkulierende Frau als den Weg aufzeigen, den Nora nicht gehen kann und nicht gehen darf, aber hier geht die Demontage Krogstadts, der auf einen sexuell ausgehungerten Mann reduziert wird, zu weit. In der Szene überzeugt Nagler nicht, weil das, was er spielen soll, zu konstruiert ist. Das ist mir zu clichéhaft - das ist überhaupt ein falsches Cliché, zudem lenkt es vom Wesentlichen ab. Nagler ist für die Rolle als Gegenüber von Helmer überdies zu alt.

Ibsens „Ein Puppenheim“ in dieser Inszenierung zu sehen ist ein Muss. Die Schauspieler bilden ein so wirkungsvolles, sich gegenseitig stärkendes Ensemble, dass ich dem Stück und den Besuchern des Bonner Schauspiels eine weitere Spielzeit und einen Preis bei einem Theaterfestival wünsche.

Ulrich Bergmann

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