KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Sonntag, 29. Dezember 2013, 18:37
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Die andere Welt

392. Kolumne


Mancher poetische Text kommt mir vor wie der Versuch der Verallgemeinerung eines individuellen/privaten Problems (Natur contra Moral, Neigung contra Pflicht; hier Liebe in einer bürgerlich verfassten Welt): Ekel vor der Integration in ein angepasstes Leben im „angewandten Imperialismus“: Leiden an der ehelich-familiären Verantwortung, die, als Fremdbestimmung aufgefasst, Selbstbestimmung behindert; hier die unmögliche Liebe - mit Allusion Werther, Grenouille - sofort kommt die Assoziation des Suizids ins Spiel. Unmöglich - unlebbar: Schreiben / Kunst heilt nicht wirklich, therapiert nur mildernd, das durchschaut der Autor, also Kunstkrise, Schreibkrise. Im Hintergrund erlebte Liebe, aber: Scheitern, Wahn, Traum, Schmerz. Durchschauen der Naturmächtigkeit: Widerlegung der Kunst, die als Arznei nicht genügt. Also: Kunst als Medium der Wahrheit, „Zurückrudern im Leben“. ABER: Ist es das? Nein. Flucht-Orte, U-topoi, nichtige Orte, Trug (Selbstbetrug), wieder durchschaut, jetzt Behandlung des Problems mit literarischen (literaturhistorischen) Kategorien: Leid als primärer Gedichtstoff, Romantik contra Aufklärung, Königskindermotiv (ich bin nicht allein mit dem, was ich erleide) - klappt auch nicht. Die Nornen des normativen Jetzt sind stärker, die verbotene Liebe wird aufgegeben (zerknirschtes Nachgeben, Einsicht, dass Erwachsenwerden unverhinderbar, nicht lebbar) - alles in allem:
Lyrik als blühende Wunden in Wortform (Rilke, Malte Laurids Brigge), Dichtung als Funktion des Leidens, des Schmerzes, Ausdruck der Sehnsucht nach dem idealen normfreien natürlichen Leben im Angesicht der kalten Realität und im Bewusstsein ihres Siegs. In hora mortis (Thomas Bernhard!): Eine gewisse suizidale Schwingung, hoffentlich nur Trauerphase, aber ambivalent nun auch: Kunst führt zwar zur Wahrheit / Erkenntnis - aber wozu? NUR in der Kunst leben? Kunst zur gelebten Realität machen? Oder ist das auch Utopie? So sehe ich den essayistischen Selbstkommentar in „Umkreisungen“. - Ich hoffe, es gibt einen dritten Weg!

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