KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 23. April 2016, 01:11
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Ovid - für Lothar Schüssler (loslosch)

508. Kolumne


Verbannung
[Ovid, Tristia I, 3]

Euch Götter, die ihr mich so hart verlassen,
entfliehe ich zum unbekannten Ziel,
und ich, der eurem kalten Zorn verfiel,
verfalle blind in Wut und starres Hassen.
Euch musste ich verlieren, ihr Paläste,
im ewgen Rom den Glanz, die reiche Pracht,
den Geist, den Zauber unbezwungner Macht,
Gesänge, heitres Spiel und frohe Feste!
Und jene Nacht mit tausend Fackelflammen,
ein drohend schwarzes Dunkel über mir,
das Leuchten einer goldnen Sternenbahn:
sie gleicht dem schwarzen, ewigen Verdammen
und stillt in mir die heiße Rachegier,
sie treibt den Keil der Sehnsucht und den Wahn.
Sie ruft nur bittres Weinen, lautes Klagen,
das Trauern, meinen schweren Abschied wach,
sie zeigt die Zeit, wo meine Welt zerbrach,
mein unbegrenztes Zaudern und Verzagen.

Der Mond ergoss den milden, matten Strahl
in Schattenrissen auf den wüsten Weg,
er lenkte mich, erhellte mir den Steg
und tröstete die harte Herzensqual.
Kein blinder Hass, nur tiefer Schmerz
und Ungerechtigkeit und stummes Trauern
und vor der Zukunft ein Erschauern
bewegte rastlos mein betrübtes Herz.
So düster ragte in die helle Nacht
das Capitol, und drohend wuchsen seine Zinnen
steilhoch ins Nichts, den Raum der unerloschnen Sterne.
In alten Tempeln ruht die eitle Göttermacht,
sie stößt den Menschen roh aus dem Besinnen
und weist den rastlos Irrenden in stumme Ferne.

1962

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter Wal (27.05.16)
Wunderschöne Nachdichtung! Und die ganzen Kolumnen hier ein Schatzkästlein. Vielen Dank!
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