KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 24. Februar 2017, 21:26
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Bücherprostitution

553. Kolumne


Wortlosigkeit ist nicht das Problem unserer Zeit, eher das Verschweigen wesentlicher Fragen und Antwortversuche oder eine falsche Geschwätzigkeit in literarischen (dichterischen) Werken.

Den Streit über Authentizität, Stärke der Wirkung und literarische Qualität von Ich-Texten gegenüber Texten mit eher auktorialer Erzählhaltung halte ich für müßig. Juli Zeh schrieb vor Jahren einen interessanten Essay darüber – sie postulierte, dass jungen Schreibern die Kompetenz fehlt, Romane in der 3. Person Singular zu erzählen, weil es ihnen an Weltwissen und Selbstbewusstsein fehlt; sie verharren in ihrer kleinen Ich-Welt. Das Argument kann durchaus in so manchem Fall zutreffen, und dann ist ein solcher Text auch in jeder Hinsicht schwach und langweilig. Umgekehrt kann aber auch das Gegenteil zutreffen, wenn der Erzähler in die äußere Welt flieht aus Gründen der Erfindungsarmut, Feigheit der Meinung und vieles mehr.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die von Ihnen aufgeworfene Frage, ob radikale Ich-Texte Ist-Zustände nur bestätigen, wenn sie vom Leben gesättigt sind. Das ist eben eine Frage des Maßes. Wenn Ich-Texte oder auktorial geschriebene die artistische Balance wagen zwischen kenntnisreicher und erfahrener Faktizität und listenreicher Erfindung, zwischen Traum und Konzept, Soll und Muss, Werden und Vergehen, Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft ... dann wird ein solcher Text, als Kurzgeschichte, Gedicht oder Roman spannend sein, und wenn auch eine angemessene Sprache (zwischen Alltag und Hochstimmung) hinzutritt, dann ist das Werk gut und vielleicht sogar groß. Dabei müssen gar nicht alle Aspekte, die ich eben aufzählte, abgearbeitet werden. Sind Romane postfaktisch? – Ich antworte polemisch: ja, und zwar per definitionem. Sie dürfen aber nicht falsch sein, also lügnerisch oder verlogen, populistisch, schmeichlerisch, in dummer Weise sentimental oder pathetisch, vulgär, banal und was es an Schreibsünden sonst noch gibt.

Wenn die Schreibsünden absichtlich begangen werden, um auf dem Büchermarkt erfolgreich zu sein, dann wird der Autor in der Tat „selbst zum Produkt im literarischen Warenumschlag der Spät- oder Postmoderne“, wie Sie schreiben. Und mit ihr auch die Literaturkritik, die letztlich zur liebedienerischen Werbung oder Antiwerbung verkommt. – Ansätze dazu erlebe ich zunehmend leider auch bei fixpoetry.com und poetenladen.de. Ich vermute, die anfänglich sehr ehrenwerten Macher dieser Seiten rutschen allmählich, wahrscheinlich bis heute kaum bewusst, in diese Schieflage, aber noch sind sie der von „Design und Inszenierung durchwirkten Welt“ nicht vollkommen verfallen.

Ulrich Bergmann an A. J. Weigoni im Februar 2017

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 toltec-head (24.03.17)
Schön, Ulrich, dass du es ja umsonst machst.
Graeculus (69)
(31.03.17)
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