Aschoff, Friedrich; Joest, Fr.; Marmann, M.:
Zuneigung
Christliche Perspektiven für Europa
Eine Rezension von JoBo72
Perspektiven für ein christliches Abendland. Der Sammelband „Zuneigung. Christliche Perspektiven für Europa“ bespricht ein unzeitgemäßes Thema und bleibt dabei leider recht oberflächlich
Dem alten Kontinent durch eines seiner Konstitutionselemente, das Christentum, neuen Schwung zu geben, ist Anliegen des Sammelbandes „Zuneigung. Christliche Perspektiven für Europa“. Die Steilvorlage für ein solch unzeitgemäßes Unterfangen liefert niemand geringeres als der Papst. Als Joseph Ratzinger (alias Benedikt XVI.) noch Leiter der Glaubenskongregation war, schrieb er dem Kontinent seine Diagnose vom „Selbsthass des Abendlandes“ ist Stammbuch. Europa versuche zwar, „sich lobenswerterweise fremden Werten verstehend zu öffnen“, darüber geschehe es aber, dass es „sich selbst nicht mehr mag, von seiner eigenen Geschichte nur noch das Grausame und Zerstörerische sieht, das Große und Reine aber nicht mehr wahrzunehmen vermag“. Europa brauche, so der damalige Kurienkardinal, „eine neue – gewiss kritische und demütige – Annahme seiner selbst, wenn es überleben will“. Dazu gehöre es, „dem Heiligen des anderen ehrfürchtig zu begegnen“, was aber nur möglich sei, „wenn uns das Heilige, Gott, selbst nicht fremd ist“ (Joseph Kardinal Ratzinger: Europas Identität. In: Werte in Zeiten des Umbruchs. Freiburg 2005).
Das ist die erste Beobachtung, die dem Sammelband-Thema zugrunde liegt. Die zweite betrifft die Rolle des Christentums in der europäischen Geschichte. Europa, so ist oft zu lesen, sei auf Hügeln gebaut: Auf den Hügeln des Olymp (Griechische Philosophie), den sieben Hügeln Roms (Römisches Recht) und dem Hügel Golgatha (Christliche Religion). Das hat den Kontinent über lange Zeit fest zusammengezurrt, ehe der Multikulturalismus zur Doktrin wurde. Beide Aspekte, die Notwendigkeit der Ehrfurcht vor dem Heiligen und die christliche Wurzeln, kulminieren in der Gretchenfrage, die in der Europäischen Verfassung eindeutig beantwortet wird: Statt des Gottesbezugs und einem Hinweis auf die historische Bedeutung der christlichen Religion für Europa, hat man sich für den Präambeltext darauf geeinigt, nach vorne zu schauen und in der Zukunft des „in Vielfalt geeinten“ Kontinents neben der zivilisatorischen Schaffenskraft des Menschen auf das Bewusstsein der „kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas“ bauen zu wollen.
Vor diesem Hintergrund des sich selbst entfremdenden Europas kommt die Hinwendung zum Christentum überraschend, ja; geradezu anachronistisch. Haben wir nicht gerade die Partikularität zu überwinden, um Europa gestalten zu können? Angesichts immer größerer Bevölkerungsgruppen, die anders- oder nicht-gläubig sind? Der Sammelband will zeigen, dass dem nicht so ist, indem er die Kraft der christlichen Religion überströmen lässt auf die Gesellschaft, ohne missionarischen Eifer, ebenso jedoch ohne dabei die Bedeutung des Glaubens und der religiösen Praxis zu leugnen. Bieten die Beiträge, unter diesen Texte von Walter Kardinal Kasper, Chiara Lubich und Herbert Lauenroth, zunächst eine Standortbestimmung von Christentum und Kirche in Europa, die sich stark auf die ökumenische Bewegung fokussiert, so sind es im Schlussabschnitt vor allem die funktionalistischen Aspekte christlicher Religiosität für die Gesellschaft. Europa bedürfe, so ist dort zu lesen, „einer Vision, die zugleich auch einen Weg erschließt und damit eine umfassende Dynamik und Perspektiven der Veränderung freisetzt“. Das Christentum könne eine solche Vision liefern, weil es Narrative bereithält, die in einem postnationalen Europa die divergierenden Interessen der Menschen klammert. Ein solches Narrativ als eine im christlichen Abendland geteilte Erzählung ist die Schöpfungsgeschichte und die darin enthaltene Stellung des Menschen als „Gottes Ebenbild“. Wenn es nun gelingt, diese „Sinnressource“ zu „übersetzen“, etwa in die „gleiche und unbedingt zu achtende Würde aller Menschen“, dann verwalte man das christliche Erbe zukunftsorientiert und stifte die nötige Identität, so sind sich auch säkulare europäische Denker wie Jürgen Habermas und Ulrich Beck einig.
Im Grunde wussten wir das jedoch auch vorher schon. So liegt der Wert des Sammelbandes weniger in der analytischen Stärke seiner Beiträge, sondern mehr in den vielfältigen Beispielen konkreter Umsetzung europäischen Bewusstseins in Kirchenkreisen, die von den Verantwortlichen eindrücklich beschrieben werden. Diese Erfahrungen bleiben jedoch im innerkirchlichen bzw. -christlichen Raum, so dass die Frage nach einer Verbindung von theoretisch ergründeten Notwendigkeiten („Visionen“) und praktischer Religiosität („Aktionen“) weithin im Unklaren bleibt. Eines fällt jedoch auf: die paneuropäische Dimension vieler der „Neuen Geistlichen Gemeinschaften“ der Kirche, die sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegründet haben. In diesen Bewegungen könnte der Schlüssel zur Kopplung von Theorie und Praxis liegen. Hier muss jedoch künftig tiefer geschürft werden als dies in den Beiträgen der Fall ist, die leider nicht mehr als einen groben Überblick über die Lage der christlichen Kirchen im Europa des beginnenden dritten Jahrtausends verschaffen.
Dem alten Kontinent durch eines seiner Konstitutionselemente, das Christentum, neuen Schwung zu geben, ist Anliegen des Sammelbandes „Zuneigung. Christliche Perspektiven für Europa“. Die Steilvorlage für ein solch unzeitgemäßes Unterfangen liefert niemand geringeres als der Papst. Als Joseph Ratzinger (alias Benedikt XVI.) noch Leiter der Glaubenskongregation war, schrieb er dem Kontinent seine Diagnose vom „Selbsthass des Abendlandes“ ist Stammbuch. Europa versuche zwar, „sich lobenswerterweise fremden Werten verstehend zu öffnen“, darüber geschehe es aber, dass es „sich selbst nicht mehr mag, von seiner eigenen Geschichte nur noch das Grausame und Zerstörerische sieht, das Große und Reine aber nicht mehr wahrzunehmen vermag“. Europa brauche, so der damalige Kurienkardinal, „eine neue – gewiss kritische und demütige – Annahme seiner selbst, wenn es überleben will“. Dazu gehöre es, „dem Heiligen des anderen ehrfürchtig zu begegnen“, was aber nur möglich sei, „wenn uns das Heilige, Gott, selbst nicht fremd ist“ (Joseph Kardinal Ratzinger: Europas Identität. In: Werte in Zeiten des Umbruchs. Freiburg 2005).
Das ist die erste Beobachtung, die dem Sammelband-Thema zugrunde liegt. Die zweite betrifft die Rolle des Christentums in der europäischen Geschichte. Europa, so ist oft zu lesen, sei auf Hügeln gebaut: Auf den Hügeln des Olymp (Griechische Philosophie), den sieben Hügeln Roms (Römisches Recht) und dem Hügel Golgatha (Christliche Religion). Das hat den Kontinent über lange Zeit fest zusammengezurrt, ehe der Multikulturalismus zur Doktrin wurde. Beide Aspekte, die Notwendigkeit der Ehrfurcht vor dem Heiligen und die christliche Wurzeln, kulminieren in der Gretchenfrage, die in der Europäischen Verfassung eindeutig beantwortet wird: Statt des Gottesbezugs und einem Hinweis auf die historische Bedeutung der christlichen Religion für Europa, hat man sich für den Präambeltext darauf geeinigt, nach vorne zu schauen und in der Zukunft des „in Vielfalt geeinten“ Kontinents neben der zivilisatorischen Schaffenskraft des Menschen auf das Bewusstsein der „kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas“ bauen zu wollen.
Vor diesem Hintergrund des sich selbst entfremdenden Europas kommt die Hinwendung zum Christentum überraschend, ja; geradezu anachronistisch. Haben wir nicht gerade die Partikularität zu überwinden, um Europa gestalten zu können? Angesichts immer größerer Bevölkerungsgruppen, die anders- oder nicht-gläubig sind? Der Sammelband will zeigen, dass dem nicht so ist, indem er die Kraft der christlichen Religion überströmen lässt auf die Gesellschaft, ohne missionarischen Eifer, ebenso jedoch ohne dabei die Bedeutung des Glaubens und der religiösen Praxis zu leugnen. Bieten die Beiträge, unter diesen Texte von Walter Kardinal Kasper, Chiara Lubich und Herbert Lauenroth, zunächst eine Standortbestimmung von Christentum und Kirche in Europa, die sich stark auf die ökumenische Bewegung fokussiert, so sind es im Schlussabschnitt vor allem die funktionalistischen Aspekte christlicher Religiosität für die Gesellschaft. Europa bedürfe, so ist dort zu lesen, „einer Vision, die zugleich auch einen Weg erschließt und damit eine umfassende Dynamik und Perspektiven der Veränderung freisetzt“. Das Christentum könne eine solche Vision liefern, weil es Narrative bereithält, die in einem postnationalen Europa die divergierenden Interessen der Menschen klammert. Ein solches Narrativ als eine im christlichen Abendland geteilte Erzählung ist die Schöpfungsgeschichte und die darin enthaltene Stellung des Menschen als „Gottes Ebenbild“. Wenn es nun gelingt, diese „Sinnressource“ zu „übersetzen“, etwa in die „gleiche und unbedingt zu achtende Würde aller Menschen“, dann verwalte man das christliche Erbe zukunftsorientiert und stifte die nötige Identität, so sind sich auch säkulare europäische Denker wie Jürgen Habermas und Ulrich Beck einig.
Im Grunde wussten wir das jedoch auch vorher schon. So liegt der Wert des Sammelbandes weniger in der analytischen Stärke seiner Beiträge, sondern mehr in den vielfältigen Beispielen konkreter Umsetzung europäischen Bewusstseins in Kirchenkreisen, die von den Verantwortlichen eindrücklich beschrieben werden. Diese Erfahrungen bleiben jedoch im innerkirchlichen bzw. -christlichen Raum, so dass die Frage nach einer Verbindung von theoretisch ergründeten Notwendigkeiten („Visionen“) und praktischer Religiosität („Aktionen“) weithin im Unklaren bleibt. Eines fällt jedoch auf: die paneuropäische Dimension vieler der „Neuen Geistlichen Gemeinschaften“ der Kirche, die sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegründet haben. In diesen Bewegungen könnte der Schlüssel zur Kopplung von Theorie und Praxis liegen. Hier muss jedoch künftig tiefer geschürft werden als dies in den Beiträgen der Fall ist, die leider nicht mehr als einen groben Überblick über die Lage der christlichen Kirchen im Europa des beginnenden dritten Jahrtausends verschaffen.
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