Kisch, Robert:

Möbelhaus

Ein Tatsachenroman


Eine Rezension von  Rudolf
veröffentlicht am 04.05.15

„Möbelhaus“ ist Titel des Buches und Ort der Handlung, an dem der Held der Geschichte das Jahr nach seiner Freisetzung als Journalist erlebt. Der Autor und Hauptprotagonist schreibt in der Ich-Form unter dem Pseudonym Robert Kisch. Im Buchdeckel wird er als renommierter Topjournalist vorgestellt.

Robert Kisch lässt den Eigentümer „eines der größten Möbelhäuser Deutschlands“, den Hausleiter, die Abteilungsleiter, die KollegInnen und die KundInnen miteinander und vor allem gegeneinander auftreten. Die Frau des Autors, der Sohn, Familienangehörige und ehemalige KollegInnen treten in Nebenrollen auf.

Für den Autor ist die Arbeit als Journalist ein Traumberuf. Wenn ein Artikel unter seinem Namen erschien, wenn Fremde um Autogramme baten, waren das Höhepunkte seiner Karriere. Möbelverkäufer ist für ihn das genaue Gegenteil. Es ist gleichbedeutend mit sozialem Abstieg, eine minderwertige Tätigkeit, die allein von gescheiterten Menschen ausgeübt wird. Dass er ausgerechnet diese Tätigkeit aufnimmt, die ihn auf seiner Werteskala knapp über einen Hartz-IV-Empfänger stellt, begründet er mit seinem Sohn, mit dem er möglichst viel Zeit verbringen möchte, ohne reisen zu müssen. Daneben nennt er seine Frau. Sie erwartet, dass er „sich etwas Festes sucht“.

Mit Ende vierzig ist er zu alt, um nach der Pleite seiner Agentur noch einmal eine feste Anstellung als Journalist zu finden. Seine Enttäuschung darüber mündet in Hass. Er hasst seine Tätigkeit als Möbelverkäufer, er hasst die Vorgesetzten, die KollegInnen und die KundInnen. Als er einer Brillenverkäuferin als Kunde gegenübertritt, wird klar, dass er sich selbst hasst. Neidisch blickt er auf Abteilungsleiter und Verkaufstrainer, die ohne Mühe unverhältnismäßig viel Geld verdienen. Geld dominiert mehr noch als Hass den Buchinhalt. Provision ist die Möhre, die dem Esel Verkäufer vor die Nase gehängt wird, und er beginnt zu laufen, bis die Füße schmerzen. Gleichzeitig sitzen Eigentümer, Vorgesetzte und Büroangestellte gemütlich in dem Karren, den der Esel zieht. Im Möbelhaus herrscht Gott Mammon. Aufträge, Provisionen, Rabatte, Zielvorgaben und dazwischen Menschen, die sich gegenseitig zerfleischen. Vom Job krank geworden brechen sie zusammen, wenn sie nicht rechtzeitig die Tätigkeit wechseln.

Neben Geldgier und Hass geht es ums Lügen. „Alle Kunden lügen“, belehrt ein erfahrener Kollege Robert Kisch zu Beginn seines Verkäufer-Daseins. Käufer, Verkäufer und Kollegen stehen sich lügend gegenüber, wenn sie nicht gerade neidisch auf einander sind. Parallel beschreibt der Text die Lebenslüge des Autoren. Es hört sich besser an, wenn jemand dem Kind zuliebe auf die Karriere verzichtet, als dass er sich im harten Geschäft des Journalisten nicht mehr durchsetzen kann.

Handlung gibt es wenig. Während Robert Kisch in die Welt des Möbelverkaufs eindringt, zerbricht seine Ehe und er muss aus seinem bürgerlichen Umfeld in eine günstige, minderwertige Wohnung umziehen. Doch das bleibt im Hintergrund, im Vordergrund reiht Robert Kisch eine Möbelhaus-Episode an die nächste. Im Mikrokosmos des Möbelhauses stößt Robert Kisch nach und nach auf alle aktuellen Themen. Volkes Stimme, Euro, Internet, Kaufverhalten, Rabattschlachten, psychische Störungen, Modekrankheiten, Geld und immer wieder Geld, Politik, deutsche Vergangenheit, Ausländer, Ausbeutung von Ressourcen, Produktionsbedingungen und Generationenkonflikt. Da jede Bevölkerungsgruppe irgendwann ins Möbelhaus geht, kann Kisch auch jede auftreten lassen und der Gesellschaft so seinen Spiegel vorhalten. Keine Religion, keine Autonomie, keine Liebe, kein Mitfühlen nur kaltes Geld.

Tatsachenroman ist der Untertitel des Buches. Tatsache ist, dass hier ein Wutjournalist schreibt. Tatsache ist auch, dass er die Kunden-Verkäufer-Beziehung so eindringlich darstellt, dass die LeserIn ihre nächste Begegnung mit einer VerkäuferIn mit neuen Augen sehen wird. Und Tatsache ist, dass der Text in sich nicht logisch ist. Das Argument, er tue das alles für seinen Sohn, erscheint beliebig. Der Sohn hat im Unterschied zu den anderen Personen nicht einmal einen Namen. Für die LeserIn verwischen sich Tatsache und Fiktion. Unter dem aktuellen Eindruck des Unwortes Lügenpresse stellt sich die Frage, ob der Autor als Journalist mit verantwortlich war, dass ein Teil unserer Gesellschaft Medien als verlogen empfindet, weil Tatsachen so zusammengeschraubt werden, dass sie Wahrheit vorgaukeln. Er erfüllt das Klischee vom Journalisten, der gut schreibt kann, dem der Inhalt aber gleichgültig ist.

Das Buch hat 315 Seiten; spätestens nach 150 Seiten stellt sich die Frage, ob noch etwas geschieht. Die Geschichte liest sich wie eine überdimensionierte Reportage. Die endlose Aneinanderreihung von Geschichten über Gier und Niedertracht wird langweilig. An keiner Stelle ist ein Gegenentwurf erkennbar. Als sich der Autor fragt, welche Maßnahmen ein Betriebsrat im Möbelhaus ergreifen sollte, fällt ihm nichts ein. Ein Tag Solidarität – und dann? Natürliches Licht, höheres Grundgehalt, längere Pausen? Warum verlässt er das Möbelhaus nicht einfach, wenn er es so sehr hasst. Seine Unerfahrenheit im Verkaufen paart sich mit der Weigerung, es zu lernen. „Bräbräbrä“ kommentiert er die Inhalte von Schulungen in Baby-Sprache. Es wimmelt in dem Text von Auslassungspunkten „…“ ; manche ersetzen Gedankenstriche „–“, manche laden ein, selbst eine Idee zu formulieren, und manche sind nicht nachvollziehbar. Der Text wirkt mangelhaft, da ständig etwas ausgelassen ist. Als weiteres Stilmittel werden Worte oder ganze Sätze kursiv geschrieben. Es sind eigene Gedanken des Autors, die er in bestimmten Situationen nicht ausspricht, Gedanken anderer oder es werden Aussagen verstärkt. In Kombination mit den Auslassungszeichen erscheint der Text dadurch vielschichtig, aber zu oft bleibt unklar, warum eine Passage kursiv gedruckt ist. Es gipfelt in Konstruktionen wie

Zitat-Anfang:
Hier … In der Realität ...“
Zitat-Ende.

Das „Hier“ ist kursiv geschrieben, „In der Realität“ normal. Ob die Auslassungen kursiv oder normal sind, bleibt offen. Was will der Autor damit sagen? Sein Text wird zu einem „Bräbräbrä“. Die Vermutung liegt nahe, dass Text geschunden wird, ohne Rücksicht auf innere Geschlossenheit und Logik. Das, was das Buch zu einem wichtigen Text werden lassen könnte, wird so … ausgelassen ... und der Belanglosigkeit preisgegeben.

Wenn einer der langjährigen Möbelverkäufer am Ende der Geschichte Robert Kisch dazu animiert „das mal alles aufzuschreiben, da sich sonst nie etwas ändert“ ist das zu kurz gesprungen. Mit diesem Buch wird sich auch weiterhin nichts ändern. Das Buch bietet keine Lösungen und macht Ursachen und Wirkungen nicht klar. Es erscheint trotz der Ich-Form nicht authentisch sondern zusammengeschraubt. Wer eine Bestätigung sucht, wie schlecht die Welt ist, mag es lesen, empfehlen kann ich es nicht.
Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu dieser Rezension


 Dieter_Rotmund (24.02.17)
Kisch = Anspielung auf Egon Erwin Kisch, ist das nicht ein wenig arg platt?

Zurück zur Liste der  Rezensionen von Rudolf , zur Autorenseite von  Rudolf, zur Liste aller  Buchbesprechungen
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram