Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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YALOMS ANLEITUNG ZUM GLÜCKLICHSEIN (D 2014)
von Dieter_Rotmund
Gastkolumne von Graeculus
Irvin D. Yalom, geboren 1931, dürfte hierzulande vor allem als Autor von relativ erfolgreichen Romanen („Und Nietzsche weinte“, verfilmt, sowie „Die Schopenhauer-Kur“) bekannt sein. In den USA ist er als Psychiater berühmt: ein inzwischen emeritierter Stanford-Professor aus einer russisch-jüdischen Familie, dessen Eltern rechtzeitig in die USA emigriert waren.
Sabine Gisiger hat einen Dokumentarfilm über ihn gedreht, in dem sie Szenen aus seinem vergangenen und heutigen Leben mit Interview-Äußerungen mischt – Äußerungen sowohl von Yalom selbst, die den größten Raum einnehmen, als auch von seiner Frau und seinen vier, längst erwachsenen Kindern.
Der Titel des Films verheißt natürlich weit mehr als nur Biographisches. Was er verheißt, erfüllt er nicht.
Gewiß, ein faszinierender, weiser und auch glücklicher Mann. Aber was kann er uns lehren?
In seinem Therapie-Konzept geht er von bestimmten existentiellen Problemen aus, die allen Menschen (auch denen, die sich für gesund halten) eigentümlich seien: Angst vor Einsamkeit, Angst vor fehlender Anerkennung, Angst vor Alter und Krankheit, Angst vor dem Tod.
Haben wirklich alle Menschen diese Ängste? Haben manche Menschen nicht ganz andere?
Nun, wenn der Magen gefüllt ist und man sich eine Therapiesitzung bei Prof. Yalom finanziell erlauben kann, dann wird man wohl mit solchen Ängsten zu ihm kommen.
Als Jude ist er selbst keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen; aber ich frage mich, ob die Menschen in Treblinka, Sobibor, Auschwitz usw. nicht andere Probleme hatten. Das 20. Jahrhundert, das ja auch das Jahrhundert Irvin Yaloms ist, hat man als das Jahrhundert der Konzentrations- und Vernichtungslager bezeichnet – nicht nur für Juden. Man kann sich auch fragen, ob die hunderte Millionen von Menschen, bei denen der Arbeitsertrag nicht zum Leben reicht, nicht ebenfalls vor anderen Problemen stehen. Yalom ist erfolgreich und wohlhabend, so daß ihn das nicht betrifft. Und seine Patienten wohl ebensowenig.
Sehen wir davon ab, dann bleiben die genannten Ängste doch immerhin für – sagen wir: - die Mittelschicht bestehen. Was rät ihnen Yalom in diesem Film? Wenig Substantielles, ein paar Schnipsel an Lebensweisheit. An ein Leben nach dem Tod glaubt Yalom nicht. Und dann? Wie sollen wir in den Tod gehen? Er verrät es uns nicht. Nicht in diesem Film.
Mein Eindruck ist der, daß jemand, der Lebensweisheit sucht, bei den Autoren, auf denen Yaloms Denken fußt, besser aufgehoben sind: Epikur (Brief an Menoikeus – Epikur Yalom nicht) und Schopenhauer (Aphorismen zur Lebensweisheit - Schopenhauer erwähnt Yalom).
[Es ist hier nicht der Platz, für Epikur Werbung zu betreiben; aber wer seine Ängste überwinden will, findet bei ihm präzise und begründete Antworten.]
Am eindrucksvollsten bei diesem Film erschien mir etwas anderes: Yaloms Privatleben. Er hat seine Frau in sehr jungen Jahren kennengelernt und lebt bis heute mit ihr in glücklicher Ehe. Daran habe ich keinen Zweifel, zumal auch seine Frau sich sehr deutlich dazu äußert. Einmal sagt sie sogar, daß es für ihre vier Kinder wohl nicht leicht gewesen sei, zu wissen, daß für ihre Mutter immer ihr Vater, für ihren Vater immer ihre Mutter an erster Stelle kamen, nicht sie, die Kinder.
Das sagt eine Mutter selten, und mir ist es stark aufgefallen.
Alle vier Kinder sind geschieden, d.h. keine ihrer Ehen kommt der ihrer Eltern gleich.
Woran mag das liegen? Es gibt bestimmt Leichteres, als das Kind eines berühmten, beeindruckenden Vaters zu sein. Leichteres auch, als der Schwiegersohn, die Schwiegertochter eines berühmten, beeindruckenden Schwiegervaters zu sein. Messen hier die Kinder den Partner an ihrem großen Vorbild, der an diesem Maßstab nur scheitern kann?
Wir erfahren es nicht.
Ein Analytiker, der zugleich Vater ist, sollte sich wohl diese Frage stellen. Denn in gewisser Weise ist er ja für das Lebensglück seiner Kinder mitverantwortlich.
Nicht, daß ich ihn verurteilen möchte – das steht mir nicht zu. Aber wenn eine Anleitung zum Glücklichsein versprochen wird, dann mag man schon schauen, wie es um das Glück in der Familie bestellt ist.
Ein interessanter Mensch (und damit ein sehenswerter Film), aber kein vollkommener Mensch. Freilich, wer kann das schon von sich behaupten?