Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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KRITISCHE FÄLLE BEI DEUTSCHEN SERIENKRIMIS
von Dieter_Rotmund
Kolumne von unserem Team-Neumitglied Graeculus
Die Reihe „Polizeiruf 110“ stammt bekanntlich aus dem DDR-Fernsehen und wurde nach der Wende in die bundesrepublikanische Serienproduktion übernommen. Hin und wieder werden auch heute noch die alten Folgen im MDR oder bei 3sat gezeigt. Das hat schon einen ganz eigentümlichen Charme, wenn der Genosse Oberleutnant von der VoPo (Volkspolizei) mit seinem Wartburg inklusive Blaulicht und der Bürger Verbrecher in seinem Trabi Verfolgungsfahrt spielen.
1974 drehte der Regisseur Heinz Seibert, bereits in Farbe, eine Folge für diese Reihe, bei der das Innenministerium der DDR nach Vorlage der Rohfassung sein Veto einlegte. Zensur könnte man das nennen. Die Folge „Im Alter von ...“ durfte in der DDR nicht gesendet werden.
2010 hat man das noch nicht nachsynchronisierte Material im Archiv gefunden und daraus einen fertigen Fernsehfilm erstellt. Einige der Hauptdarsteller, z.B. Peter Borgelt, lebten da bereits nicht mehr, sodaß die Synchronisation von passenden Ersatzleuten – im Falle Peter Borgelts war das Andreas Schmidt-Schaller – übernommen werden mußte.
2011 wurde „Im Alter von ...“ dann im bundesrepublikanischen Fernsehen als Zeitzeugnis gesendet.
Was aber hatte dem Innenministerium der DDR daran so mißfallen?
Der Film handelt von einem Mord an einem Knaben, und wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, hatte dieser Mord einen pädophilen Hintergrund. Durfte es in der DDR keine Pädophilen geben? Kam das Thema überhaupt für die Zeit zu früh? Handelte es sich damals noch um ein beide Teile Deutschlands umfassendes Tabu?
Es gibt da aber noch ein zweites Problem: Einer der Tatverdächtigen ist offensichtlich homosexuell. Er verbirgt das nicht und hält der ihn vernehmenden Kriminalbeamtin sogar vor, er werde nur aus diesem Grunde verdächtigt. Kühl entgegnet ihm die Genossin: „Ihre Veranlagung interessiert mich nicht. Mich interessiert Ihr Alibi.“ Letztlich erweist der Mann sich freilich als unschuldig an dem Mord.
Meines Wissens hat die DDR noch früher als die BRD die Strafbarkeit der Homosexualität, den legendären Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches, aufgehoben. Aber ging die Selbst-verständlichkeit, mit der dieser Mann sie praktizierte, dem Ministerium doch zu weit?
Wie auch immer es sich verhalten haben mag – der Film wurde für die DDR verboten. Eine offene Kritik an der entwickelten sozialistischen Gesellschaft enthielt er selbstverständlich nicht. Soweit reichte die Schere im Kopf des Regisseurs schon.
Dabei ist mir ein anderer berühmter Fall in den Sinn gekommen, einer aus der BRD. Im Jahre 1977 wurde im Rahmen der Tatort-Reihe ein ausgesprochener Straßenfeger gesendet.
(Zur Erläuterung: „Straßenfeger“ hießen vor der Vervielfältigung der Fernsehprogramme durch die privaten Sender Filme, die sich ein derart großer Anteil der Zuschauer zu Gemüte führte, daß die Straßen während der Sendung wie leergefegt waren.)
Es handelte sich um eine frühe Arbeit von Wolfgang Petersen mit Klaus Schwarzkopf als Kommissar und Nastassja Kinski als noch sehr junger weiblicher Hauptdarstellerin: „Reifezeugnis“. Ein verheirateter Gymnasiallehrer und seine Schülerin, eben die Kinski, unterhalten ein Liebesverhältnis. Die Schülerin wird zugleich von einem Mitschüler angehimmelt, und dieser wird ermordet aufgefunden.
Ein Gymnasiallehrer – verheiratet! – und seine Schülerin in erotischer Liebe oder Abhängigkeit vereint – das ging nun auch in der BRD im Jahre 1977 noch ans Eingemachte, moralisch gesehen. Dennoch durfte es gesendet werden und war, wie gesagt, ein Straßenfeger, einer der spektakulärsten Tatort-Erfolge bis heute. Natürlich – hier endete die Progressivität – ging die Beziehung nicht gut, der Lehrer sah seinen Beruf gefährdet und strebte zu seiner Ehefrau zurück. Die traditionelle Moral trug letztlich einen Sieg davon. Nicht sie, nur der Schüler war tot.
Doch immerhin: Der Film ging problemlos durch, und eine Zensur findet ja in der Bundesrepublik – wir wissen es aus dem Grundgesetz – nicht statt.
Erst Jahre später wurde mir ein kleiner Haken an der toleranten, freizügigen BRD bekannt, nämlich als Klaus Schwarzkopf starb. Er starb an AIDS, und er war homosexuell gewesen. Er hatte sich nie getraut, diese Neigung öffentlich zu machen.
Er starb 1991. Und da war schon so manches Fragwürdige Geschichte geworden: die Ablehnung von Homosexualität als moralischer Mainstream ebenso wie die DDR.
Die Reihe „Polizeiruf 110“ aber nicht – die gibt es bis heute.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
ganz gerne - sie dokumentierten unfreiwillig, wie grau, öde, verfallen un d mit Alkohol narkotisiert die DDR war. Und auch das neugierige Verhalten vieler Mieter in den Treppenhäusern ist zu sehen, dieses "... Herr Wachtmeister, ich weiß da was ...".
Zur Erstausstrahlung der angesprochenen Folge " ... im Alter von ..." 2011 (im MDR, glaube ich) wurde auch eine umfangreiche Doku über die Entstehung der (an sich doch recht harmlosen) Episode gesendet. Das Verbot fand seine Nahrung - meines Erinnerns - ausschließlich darin, dass beim für das Script zugrunde liegenden echten Fall für den Kindsmörder die Todesstrafe verhängt wurde - was laut der gerade in Helsinki 74 geschlossenen Vereinbarung einen Verstoß gegen selbige darstellte. Nur darum ging es - die Assoziationskette gegenüber dem Westen zu vermeiden - man wusste ja, dass die das gesamte DDR_Fernsehprogramm mitschneiden, archivieren, auswerten. Die Todesstrafe in der DDR bzw. deren Existenz bis in die 80er Jahre hinein wurde immer mehr ein Geheimnis. In der Schule lernten wir, dass sie nur noch bei schwerer Sabotage gegen die Wirtschaft verhängt wurde. Da passte ihre Anwendung gegen einen kranken, gestörten Menschen; der allerdings, wenn ich mich recht entsinne, 12 oder 14 Morde an Kindern auf dem Kerbholz hatte, schlecht in das Bild.
Homosexualität wurde in der DDR sehr positiv bewertet - selbst die offiziell zur Jugendweihe verliehenen Bücher enthielten Passagen wie jene, die die Homosexuellen als hervorragende Träger der Kultur und Kunst in der DDR lobten. Es gab wohl kaum ein Land auf der Welt, dass die Homosexualität so offen als unbedenklich und völlig normal dargestellt hat, wie die DDR - das war fast schon befremdlich .
"... und eine Zensur findet ja in der Bundesrepublik – wir wissen es aus dem Grundgesetz – nicht statt."
Nicht all so, sprach Zarathustra. Gerade auf Arte gelaufen: Die von der DDR gedrehte Doku "Der lachende Mann" über Kongo-Müller durfte nicht in die Kinos kommen. Einer, der sie trotzdemin sein Kino brachte, wurde 1972 zu einer Geldstrafe von 1000,- Euro verdonnert.
(20.11.14)