Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Bös oder artig
von Dieter_Rotmund
Gastkolumnistin Sylvia mit einem Monolog und Dialog eines Mannes, der für einen Tag auf Freigang ist
»Was darf ich Ihnen servieren? Bis 19 Uhr haben wir happy hour. Das bedeutet, jedes Getränk kostet die Hälfte des üblichen Preises.«
Max entziffert das Namensschildchen der Bedienung. Das Tablett in der linken Hand, der jungen, dunkelhaarigen Frau, schwankt bedenklich.
»Frau Wroblinskova, ich nehme Ihnen das Tablett ab, dann können Sie in Ruhe mitschreiben.«
»Nein, nein, nicht nötig. Ich merke es mir auch so«, versichert sie.
Besorgt starrt Max weiterhin auf ihren linken Arm, während er betont seine Bestellung aufgibt.
»Also, Frau Wroblinskova, ich hätte gerne zwei Sprite, eine Cola, zwei Wasser, ein frisch gezapftes Bier, eine Fanta und für mich ein Kännchen Kaffee. Ach, und ein großes Stück Marzipantorte mit extra Schlagsahne«, zählt er auf, wobei er seine Finger zu Hilfe nimmt. Acht Getränke, grübelt er und nur vier Stühle, die sich an seinem Tisch befinden, das geht gar nicht: »Sagen Sie, darf ich noch weitere vier Stühle dazustellen?« Max beobachtet sehr genau, wie Frau Wroblinskova die rechte Augenbraue zu ihrem kurzen Pony hochzieht. Was für ein starker Ausdruck, findet er und nimmt sich vor, das bei Gelegenheit zu üben.
»Natürlich, machen Sie das. Brauchen Sie Hilfe?«, erkundigt sie sich höflich.
»Nicht doch, Sie tragen reichlich über den Tag verteilt«, lehnt er rigoros ab.
Frau Wroblinskova eilt zu einem blonden Kollegen, der hinter einem riesigen, runden Tresen steht, stellt das Tablett ab und gibt die Bestellung an ihn weiter. Sehr aufmerksam starrt Max auf ihre Lippen und zählt insgeheim mit. Tatsächlich vergaß sie keine Einzelheit seiner Wünsche, wundert er sich. Während er vom Nachbartisch die Stühle besorgt, erforscht er die Umgebung. Zirka zwanzig ovale Bistrotische mit jeweils vier Stühlen sind kreisförmig um den Tresen aufgestellt. Jeder Tisch ist bedeckt mit einem altrosafarbenen Läufer und einer gleichfarbigen Vase mit vier weißen Rosen darin. Er entdeckt auf der anderen Seite des Tresens eine Familie. Zwei Kinder sitzen lustlos mit den Eltern am Tisch. Sie wackeln schweigend mit den Beinen. Sehr komisch, dass nur die Erwachsenen reden, denkt er.
»Könnt ihr euch nicht mal benehmen«, schimpft der Vater.
Max zuckt zusammen und empfindet tiefes Mitleid mit ihnen. Drei Tische rechts von ihm sitzen vier Frauen und zwei Männer mittleren Alters, alle sehr schick angezogen. Er vermutet, sie seien zu einer Hochzeitsfeier eingeladen, da es keinen Sinn ergibt, sich in einem Einkaufscenter mit so teurer Bekleidung zu zeigen und sich der Gefahr des Verschmutzens auszusetzen. Höchstwahrscheinlich findet die Hochzeit in der Nähe statt. Ihm begegneten schon einige, teuer gekleidete Menschen, die keine Zeit hatten, mit ihm zu reden. Jaja, Hochzeiten sind hektisch, sinniert er und stellt sich vor sie:
»Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der anstehenden Feier.« Plötzlich erblickt er Frau Wroblinskova, die mit den Getränken auf seinen Tisch zusteuert. »Leider kann ich mich nicht länger mit Ihnen unterhalten«, entschuldigt er sich lächelnd, bevor er zu seinem Platz eilt.
»Sie müssen das nicht alleine machen«, geschickt hilft er beim Aufdecken. »Ich möchte auch gleich bezahlen.«
»Das sind dann 12,50 Euro. Wann kommen denn Ihre Freunde?«
»Das stimmt so«, er reicht ihr 15 Euro. »Wenn es sich von ganz alleine ergibt, sind auf einmal Freunde da.«
»Aha«, entgegnet sie zögernd. »Sie erwarten also niemanden?«
»Das Warten stört mich nicht, ich habe Zeit. Die Torte riecht sehr lecker, Frau Wroblinskova.«
»Okay, dann lassen Sie es sich schmecken«, flüstert sie.
Ihm läuft das Wasser im Munde zusammen. Langsam nimmt er die Kuchengabel in die Hand und spießt feierlich einen Tortenhappen auf. Gerade will er genüsslich seine Augen schließen, als er von bunten Tüchern abgelenkt wird, die hinterm Schaufenster eines Teegeschäfts ausliegen. Rasch nähert er sich dem Fenster. Verschiedene Teesorten, Zuckerarten und Gewürze, mit kleinen Erklärungskärtchen, liegen liebevoll beieinander. Er beschließt, sich gleich mal fortzubilden. Neben dem Lädchen befindet sich eine Apotheke, die mit einem kostenlosen Hauttyptest wirbt. Auf die Gefahren eines Sonnenbrandes und des dazugehörenden Hautkrebsrisikos wird höflich hingewiesen.
»Frau Wroblinskova«, ruft er aufgeregt, »könnten Sie wohl auf meinen Tisch aufpassen, während ich die Apotheke besuche?«
»Ja, kein Problem«, erwidert sie irritiert.
»Danke, ich heiße Max und wenn ich wieder zurück bin, leisten Sie mir dann Gesellschaft?«
»Vielleicht«, murmelt sie verlegen.
Schon wieder zieht sie die Augenbraue hoch. Ihm fällt ein älterer Mann auf, der sich stark gebückt an seinem Stock festhält. Erschöpft schaut er aus, denkt er, als er auf die herausstechenden Handknöchel starrt.
»Kommen Sie, guter Mann, setzen Sie sich an meinen Tisch, trinken Sie Wasser und ruhen Sie sich aus«, bietet er an.
Behutsam versucht er den Herrn zum Tisch zu ziehen. Plötzlich verspürt er einen fiesen Schmerz an seinem rechten Zeh, der ihm bis in den Kopf schießt.
»Lassen Sie mich gefälligst los. Was fällt Ihnen ein, mich einfach zu schubsen?«, faucht der Herr, wobei er zum zweiten Stockschlag ausholt.
Gerade noch zieht Max seinen Fuß fort, lässt den Greis los und entfernt sich, verständnislos den Kopf schüttelnd. So was Unhöfliches hab ich noch nie erlebt, empört er sich schweigend und stratzt wieder zur Apotheke.
»Sie denken wohl, Sie könnten sich bei älteren Menschen alles erlauben, sowas hab ich noch nie erlebt. Sie unhöfliches Subjekt«, pöbelt der Greis lautstark hinter ihm her.
Erschreckt bleibt er kurz stehen, als er seinen gedachten Satz hört. Wie ist das möglich, wundert er sich, wieso weiß der Herr, was ich denke? Ein leises Klingeln begleitet ihn beim Betreten der Apotheke.
»Guten Tag, liebe Frau Apothekerin, ich heiße Max und hätte gerne einen kostenlosen Hauttyptest«, äußert er sich.
»Ja, Herr Max, gerne doch. Ich bin Frau Schneider, setzen Sie sich bitte auf diesen Stuhl und schieben Sie ihren rechten Hemdsärmel hoch. Ich lege Ihnen dieses kleine Gerät auf Ihre Haut und in 30 Sekunden verrät es uns, was für einen Hauttyp Sie besitzen und wie Sie sich schützen können«, erklärt sie, wobei sie mit einem intelligenten Gerät vor seinen Augen herumfuchtelt.
Doch er achtet nicht auf die Maschine, sondern betrachtet gefesselt ihre schwarze Haut. Meine Güte, wie unvorsichtig von ihr, wirbelt ihm im Kopf herum.
»Frau Schneider, es ist ja sooo wichtig, sich rechtzeitig über seine Eigenschaften zu erkundigen und dann dementsprechend vorzubeugen. Ich kaufe alles, was Sie mir empfehlen. Zusätzlich nehme ich alle Informationsbroschüren mit«, versichert er ihr.
»Selbstverständlich, Herr Max. Sie sind sehr hellhäutig und dürfen nicht länger als fünf Minuten der direkten Sonnenstrahlung ausgesetzt sein. Das Hautkrebsrisiko würde sich praktisch auf null senken, wenn Sie sich mit einer speziellen Sonnenschutzcreme behandeln würden. Eine After-Sun-Emulsion zur nachträglichen Regeneration empfehle ich Ihnen ebenfalls wärmstens«, erklärt sie.
»Wie erwähnt, Frau Schneider, ich kaufe es und verpacken Sie es bitte als Geschenk«, fordert er sie ängstlich auf.
»Das macht dann 47,10 Euro, Herr Max.«
»Ich lade Sie gerne zu einem Gespräch an meinem Tisch ein, Frau Schneider. Gleich hier vor Ihrer Tür in dem Café gegenüber«, erörtert er.
»Sie Schelm, ich muss doch die Kundschaft bedienen«, lehnt sie lächelnd ab.
Mit einer Papiertüte, die er hin und her schwenkt, verlässt er die Apotheke und setzt sich an seinen Tisch. Der Marzipantortenhunger ist ihm gründlich verdorben worden. Er bedauert Frau Schneiders Schicksal unendlich, da kann er doch nicht einfach seine Torte verspeisen und so tun, als sei nichts gewesen, überlegt er. Sorgfältig sortiert er die Broschüren der Größe nach und betrachtet seine Geschenke eine viertel Stunde lang. Die hübsche Verpackung erfreut ihn. Ganz langsam entfernt er das Papier, damit es nicht einreißt. Er zieht Schuhe und Strümpfe aus, nimmt die After-Regeneration-Creme und öffnet sie, um seine brennenden Zehen zu behandeln. Dieser grobe Greis Mensch hatte ihm ernsthaft wehgetan. Zur Sicherheit cremt er den Fuß noch mit dem Sonnenschutz ein. Er beobachtet die Menschen, die hektisch an ihm vorbeilaufen. Staunend stellt er fest, dass die Wenigsten die liebevolle Gestaltung des Teelädchens betrachten. Wieso interessiert sich niemand für die Gewürzerklärungen oder den Hauttyptest, fragt er sich kopfschüttelnd. Sein Blick bleibt an klaren, wachen, grünen Augen haften, die ihn beobachten. Zu diesen Augen gehören dunkelblonde Stoppelhaare eines Jungen.
»Warum cremst du dich ein? Hier scheint gar keine Sonne«, will der Bub wissen.
»Hallo junger Mann, möchtest du dich zu mir setzen und eine Sprite trinken? Ich bin Max und wie heißt du?«
»Ich bin Basti, eigentlich heiße ich Sebastian, aber so nennen mich nur meine Eltern, Oma und Opa. Alle anderen sagen Basti. Ist für mich auch besser, dann brauche ich nicht viel schreiben, weil wir einen irren langen Nachnamen haben, weißt du?«
Basti setzt sich zu ihm und ergreift das dargebotene Glas mit einem Schmunzeln.
»Nein, das ist mir nicht bekannt, doch ich meine, du machst das richtig. Also, ich creme mich ein, um mich zu schützen. Aber, hm, wo du es gerade sagst, es stimmt, hier scheint keine Sonne. Du scheinst ein kluger Kerl zu sein. Warst du schon mal im Teeladen, Basti?«
»Nö, ich bin froh….«
Eine fleischige Hand ergreift Bastis Arm und zerrt ihn vom Stuhl. Max versucht noch ihn festzuhalten, als er sich unvermittelt einer riesenhaften Matrone ausgesetzt sieht. Giftige, tötende, grünbraune Augen durchbohren ihn. Eisige Schauer durchzucken seinen Körper. Fieberhaft überlegt er, wie er Basti rettet und ob andere Passanten ihm beim Kampf beistehen.
»Fassen Sie meinen Jungen nicht an, Sie Perversling«, schreit sie.
In seinem Ohr pfeift es und ihn erfasst ein Schwindelgefühl. Er steckt den Zeigefinger in die Ohrmuschel.
»Ich habe dir schon tausend Mal verboten mit Fremden zu sprechen. Komm jetzt mit, Sebastian«, meckert sie und zieht Basti hinter sich her.
Fremde? Unsicher dreht er sich um. Wo sind die Fremden? Ich sehe keine, außer die bösen Blicke mehrerer Herumstehenden, grübelt er, während ihm eine Hitzewelle zu Kopf steigt. Schützend greift er nach einer Broschüre über kreisrunden Haarausfall und hält sie vors Gesicht. Zuerst überfliegt er lose ein Kapitel. Nach einer kurzen Zeit liest er gebannt von dem mysteriösen Krankheitsbild und vergisst komplett seine Umgebung. Intensiv setzt er sich mit der psychischen Problematik der überwiegend weiblichen Leidensgenossinnen auseinander.
»Frau Wroblinskova, setzen Sie sich jetzt ein bisschen zu mir? Ich lese gerade etwas höchst Interessantes und würde mich gerne mit Ihnen darüber unterhalten. Außerdem müssen Sie mir unbedingt erklären, wie sie es schaffen, nur eine Augenbraue so weit hochzuschieben.«
Sie wirbelt herum und lacht ihn melodisch an. Freudestrahlend grinst er zurück.
»Herr Max, Sie sind unglaublich. Leider fehlt mir die Zeit, weil mein Freund mich abholt. Wir fahren in den Urlaub nach Portugal. Vielleicht beim nächsten Mal?«, schlägt sie amüsiert vor.
»Nein, ich habe nur heute Freigang.«
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(07.12.17)
Den Luxus, unseren netten Gastkolumnisten auch noch Vorschriften machen zu können, den können wir uns definitv nicht leisten.
Nun, der Protagonist ist ja eine richtige Nervensäge. So aufrdringlich-unangenehme Zeitgenossen trifft man ja immer wieder, Figur gut dargestellt, finde ich.
Ob der Mensch jetzt nun auf Freigang ist oder nicht, finde ich unerheblich, auch bin ich kein Freund von Schlusspointen.
die Kritik bezüglich meines Beitrages ist absolut berechtigt und nachvollziehbar. Fazit: Ich schrieb einen Beitrag, der zur Kolumne passt Insofern hat es auch etwas Gutes.
Lieben Gruß
Sylvia
Nein, so stark bin ich nicht emotional engagiert. Aber ich bin doch hin und wieder erschüttert über die mehr oder weniger unanständigen Antworten, die ich bekomme, wenn ich mal höflich um die Möglichkeit einer Gastkolumne nachfrage,
Außerdem hatten auch wir schon durchaus Phasen mit keinen neuen Beiträgen. Empfinde ich auch nicht als Beinbruch. Die, die darüber stänkern, gehören eben zu jenen, die sich nur unanständig äußern können.