Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Tödliche S-Bahn
von Dieter_Rotmund
Gastkolumne von toltten_plag
The Commuter, Frankreich, Großbritannien, USA, 105 Minuten, Regie: Jaume Collet-Serra
(Weitere Darsteller, außer den im Text genannten: Sam Neill, Jonathan Banks, Elisabeth McGovern, Florence Pugh, Dean-Charles Chapman, Clara Lago)
Ständige Merkmale von Zug-Filmen, insbesondere solchen mit Kriminalhandlungen, sind die mit der Abgeschlossenheit des Schauplatzes einhergehende Unmöglichkeit für einen Gejagten, aus der Falle zu entkommen, aber auch die Isolation eines Helfers oder Retters von der normalen Welt. Und die auf einen Punkt zu jagende Gerichtetheit eines an Schienen gefesselten Technik-Projektils, - sofern dessen Steuerung eliminiert wurde.
Als konventioneller wie gelehriger Eisenbahn-Thriller profitiert „The Commuter“ von allem, was man in „Pelham/U-Bahn 123“ (1974, 2009), „Mord im Orient Express“ (1974, 2017), „Cassandra Crossing“ (1976), „Trans-America-Express“ (1976), „Runaway Train“ (1985) lernen konnte, ist aber vor allem: Sequel zum Liam-Neeson-Abenteuer „Non-stop“, also vielleicht ja ein maskierter Flugzeugthriller, bei dem der Vigilant die Besatzung vor dem Aufprall schützt.
„The Commuter“ unterhält und ist spannend. Es würde, wenn es hier nicht stünde, so bald kaum einer drauf kommen, dass es sich um die x-te Abwandlung eines einigermaßen gammeligen Konzepts handelt, mit dem der Starbonus vergangener Hollywood-Top-Leute sich nach Jahren noch kapitalisieren lässt. („Amerikanisch“ durch und durch, wie es aussieht, ist das ein französisches Venture, eher so die Luc-Besson-Richtung, zum Glück nicht so doof.) Der älter gewordene „Gute Mensch“, er mag James Stewart, Richard Widmark, Paul Newman, Sylvester Stallone, Harrison Ford, Bruce Willis, Denzel Washington, Keanu Reeves heißen, unkorrumpiert ging er aus der Wall-Street-Krise von 2008 und aus Jahren als Versicherungsverkäufer hervor, bekommt es mit einer Verschwörung gewissenloser Verbrecher zu tun, sieht Frau und Kind in deren Gewalt (außerhalb des Zugs), muss abwägen, ob ihm die Rettung von zig unschuldigen, hart arbeitenden Amerikanern mit verschiedener ethnischer Herkunft (im Zug) nicht noch wichtiger sein müsste. Ihm entgeht, das sein Plus, woher sollten die Gegner es ahnen, nie etwas, weil er früher auch schon mal bei der Polizei, den Marines oder der CIA gedient hatte. Er kann Zugwaggons ab-, eine Lok anhängen oder mit ausgestrecktem Arm die letzte Weiche vor der maroden Brücke oder S-Kurve rumreißen.
Er sei, sagt die Figur Michael McCauley, jetzt sechzig, sagt das noch mal, dabei hätte man ihn ja für 57 durchwinken können, vor zehn Jahren sei er aus Irland eingewandert, habe alles Ersparte in der Finanzkrise verloren, daher, Mittelfinger hoch, „fuck you Mister Goldman Sachs im Namen des gesamten Mittelstands!“ Dabei ist Neeson 65 gewesen, als gefilmt wurde. Es ist der vierte Film, den er mit dem Katalanen Collet-Serra macht. Man kann sich drüber lustig machen, aber sind sie nicht alle vier rasant, auf den Punkt, nicht so lachhaft faschistisch wie bei Stallone, so sentimental wie mit James Stewart oder Denzel Washington?
Ein glückliches Casting kontert diese karg „ehrliche Haut“ mit gleich beiden Protagonisten aus dem „Conjuring“-Franchise, Vera Farmiga und Patrick Wilson. Leuten, die wirken, als habe man sie zur Zeit ihrer Geburt (Wilson: 1973) aus dem seinerzeit laufenden Kino kopiert, vierzig Jahre später wieder eingefügt. Leute, die man gerne sieht. Schade, dass sie im „Commuter“ nie zusammen und alle beide auch eher wenig im Bild erscheinen.
Für die, die den Trailer gesehen haben: Farmiga ist die geheimnisvolle Fremde, die Neeson im S-Bahn-Zug der Metro North („Hudson River Line“) einen unklaren und offenbar unsauberen Deal bietet. Es wäre eine Person im Zug, die nicht hergehöre, die trüge eine Tasche bei sich. Sonst nichts. Gerade auch, dass nicht mal das Geschlecht bekannt ist (eine der vielen Ungeheuerlichkeiten des Drehbuchs, wie sich im Nachhinein herausstellen wird), macht die Sache spannend. Zu unserem Leidwesen wäre, was dieser Trailer andeutet, exakt, was wir nun auch gerne hätten. Ein Mann, der unter hunderten Passagieren so viele eliminiert, bis nur einer noch übrig bleibt, ein Mann, der unterdessen aber auch merkt, wer gut und böse ist und wofür man diesen Vermissten benötigt.
Als Rätsel klingt es raffiniert. Aber auffallend clever ist der Film wiederum doch nicht; der Verweis zu Luc Besson erfolgte nicht so willkürlich. Es wird flugs ein Manipulationsterror seitens dieser - jetzt schon nicht mehr greifbaren - Verführerin (Farmiga) daraus. (Ungreifbar hätte sie bleiben können, der Film ist aber brav und muss aufräumen, was er mal ausgestreut hatte.) Ach, wäre die Zugkatastrophe am Ende eine Nummer kleiner zu haben gewesen! Hätte die peinliche Sequenz weggelassen werden können, bei der, nach und nach, alle Passagiere im Wagen sich erheben, um die gefundene Person doch noch zu verbergen!
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(11.01.18)
Ich war im Kino in Loving Vincent, das war schööööön....
Dazu möchte ich auch ein Beispiel nennen:
Vor Jahren sah ich einen historischen Film. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß, ich kann nichts über die Handlung sagen, geschweigen denn von den Schauspielern, ABER die Kostüme waren toll, beeindruckend die Schlösser, Wälder und Parks und Kutschen und das Prozellan, hachja.
Die Bücher, da stimme ich zu, finde ich durchweg besser, als das Verfilmte, wobei ich gestehen muss, sehr selten im Kino zu sein.
(11.01.18)
Mir fällt als "Eisenbahnfilm" noch ein:
Source Code, USA /Kanada 2011, mit Jake Gyllenhal, hat mir leidlich gut gefallen;
und
The First Great Train Robbery, GB 1978, mit Sean Connery, hat mir sehr gut gefallen, spielt aber nur teilweise im Zug.
(11.01.18)