Epilog

Brief zum Thema Erinnerung

von  Mondsichel

Das Grab am weiten Strand ist noch frisch, ein paar rote Rosen schmücken den weißen Sand. Zwei liebende Seelen ruhen dort im Bette des Meeres, dessen Wellen ein Requiem zum Abschied singen. Eine Kerze flackert und die Seiten eines Buches werden vom Wind aufgeschlagen. Erinnerungen stehen als letzten Zeugnis danieder geschrieben. Zum ewigen Gruß an jene Seelen, die bereits vorausgegangen sind:

„Ich versuche mir ständig zu sagen, dass es besser so war, wie es gekommen ist. Und trotzdem wünschte ich mir so oft, dass ich die Zeit zurückdrehen könnte. Immer wieder sehe ich es vor mir: Das letzte Lachen, die letzten Blicke, die letzte Umarmung, das letzte Winken. Sie sind gegangen, um niemals wieder zurückzukehren...
Wie lange haben wir auf ein Lebenszeichen gewartet, wie lange darauf gehofft, dass nichts schlimmes geschehen ist. Doch unsere Hoffnung war umsonst. Sie zerbarst in Millionen Stücke, als wir hörten, dass sie gefangen genommen wurden...
Durch unsere Informanten erfuhren wir, wo die beiden festgehalten wurden. Doch die Zeit ist wie das Schiff, das von wilden Winde hinfort getragen wird. So kam der Tod viel schneller, als wir es ahnen konnten...

Wir erfuhren von der Hinrichtung unseres Hauptmannes, bevor wir eine Möglichkeit hatten, sie zu verhindern. Diese Machtlosigkeit schlug mit nackten Fäusten auf uns ein und traf uns mitten in den Magen. Dies war wohl das Ende...
Ich wusste, dass wenigstens ich einen klaren Kopf bewahren musste. Ich war der einzige, auf den sie noch hören würden. Daher entschloss ich, dass wir nichts unversucht lassen würden, um wenigstens den Engel vor den Klauen der Hölle zu bewahren...
Auch wenn der Schmerz ihr Herz vermutlich schon zerrissen hatte, war es den Versuch wert. Meine Liebste sang noch lauter im Rauschen der Wellen...
Mir wurde klar, dass dieses Schicksal, welches mein Leben bestimmte, auch ihr bevorstand, wenn sie weiterleben würde. Doch ich konnte und wollte die Augen nicht verschließen. Die Männer wollten ebenfalls weiterkämpfen und nicht tatenlos der Endgültigkeit in die Augen blicken. Das hatten sie noch niemals getan und ihr Stolz gebot ihnen das Schwert zu erheben...

An dem Tage wo Catherine ihre letzte Reise antreten sollte, hielten wir uns in der Menge der Schaulustigen verborgen. Sie sah uns nicht, sie sah niemanden mehr. Abwesend und vollkommen abgemagert, saß sie in sich eingekauert auf dem Karren. Einige der Männer versuchten vergeblich ihre Aufmerksamkeit zu wecken...
Müde und geschwächt stolperte sie schließlich die Treppe zum Galgen hinauf. Sie schaute niemanden an, stand einfach nur da, und regte sich nicht. Als der Henker das Urteil verlas, begann die Menge traurige Lieder zu singen. Als wollten sie die grausame Realität mit ihrem Gesang übertönen...
Ich war erschrocken über ihr Aussehen. Von dem fröhlichen Mädchen war nichts mehr zu sehen. Es war nur noch ein Schatten zurückgeblieben, der mich in schrecklicher Weise an mich selbst erinnerte. Ich wusste im selben Moment, dass sie so oder so ihr Leben lassen würde. Wenn der Henker nicht sein Werk vollenden würde, würde sie selbst dafür sorgen...
Wortlos starrte ich auf das Geschehen, ich war wie vom Schlag getroffen. Direkt neben mir, warfen sich die Männer ins Getümmel und zückten ihre Säbel. Ein Aufschrei ging durch die Menge und die Wachen versuchten vergeblich den Aufstand niederzuschlagen. Wir waren in der Überzahl, aber dennoch war es nicht möglich zu verhindern, was geschehen musste...

Ich blickte noch immer abwesend in dieses Gesicht, dessen Lächeln längst gestorben war. Der Henker brüllte quer über den Platz. „Ihr kommt zu spät, verfluchtes Piratenpack!“ Im selben Moment betätigte er den Hebel und sie rauschte in die Tiefe. Es war vorbei, jetzt konnten wir wirklich nichts mehr für sie tun...
Der Kampf ging trotzdem weiter, die Männer waren so angeheizt, dass sie die Wachen schließlich doch bezwangen. Die Zuschauermenge hatte sich bereits schreiend in alle Winde verstreut. Der Henker versuchte zu flüchten, doch ich stellte mich ihm in den Weg. Mit aller Kraft stieß ich zu und durchbohrte sein Herz. Ich musste unweigerlich grinsen, als ich die Überraschung in seinen Augen sah...
Wir wussten, es war nur eine Frage der Zeit, bis die Verstärkung kommen würde. Dann hätten wir keine Chance mehr und deshalb musste alles ganz schnell gehen.

Ich schnitt das verfluchte Seil durch, das ihr diesen qualvollen Tod gebracht hatte. Ihr lebloser Leib fiel zu Boden. Im ersten Moment dachte ich noch, dass sie noch leben würde, doch ich hatte mich getäuscht. Sie blieb liegen und nichts rührte sich mehr an ihr. Als wir sie umdrehten, starrten wir in die ängstlichen Augen eines kleinen Mädchens, das so viel Leid ertragen musste...
Einige der Männer konnten den schrecklichen Anblick nicht ertragen. Und das obwohl sie selbst auf ihren Raubzügen schon so viele Menschen getötet und die toten Leiber im Meer versenkt hatten. Keiner wagte sich zu bewegen, doch wir mussten fort, so schnell es ging. So fasste ich all meinen Mut zusammen, auch wenn mich der Anblick ihrer ängstlichen Augen tausendfach tötete. Ich nahm Catherine in meine Arme und brachte sie fort von diesem schrecklichen Platz...

Unsere Informanten hatten herausgefunden, wo unser Hauptmann begraben lag. Ein wenig Weg lag also vor uns, doch wir gingen ihn gerne. Denn auch wir wollten unserem Hauptmann nicht nur seine Geliebte zurückbringen, sondern ihm auch die letzte Ehre erweisen, wenn wir ihn schon nicht retten konnten...
Am Grab erwartete uns bereits der Vater von Jo. Wir hatten ihm durch unsere Informanten eine Nachricht zukommen lassen. Er hatte Schaufeln und einen Sarg für Catherine mitgebracht. Ich legte ihren leblosen Körper vorsichtig hinein, schloss ihre Augenlider und trat nachdenklich beiseite...
Ein letztes Mal warfen die Männer und Jo’s Vater einen schmerzlichen Blick auf das tote Mädchen. Die Augen, der sonst so harten Männer, waren voller Tränen. Doch kein einziger Ton durchbrach die andächtige Zeremonie im Sonnenuntergang...
Ein paar Blumen und ein Grablicht, schmückten am Ende ihre letzte Ruhestätte. Und obwohl wir eigentlich nicht gläubig waren, beteten wir gemeinsam für die Seelen der Beiden, die dort vor unseren Füßen begraben lagen...
Als die Nacht aus der Tiefe stieg, war es Zeit für uns zu gehen. Wir wussten, dass der Ruf der Freiheit uns wieder eingeholt hatte. Ein weiteres Kapitel unseres Lebensbuches lag hinter uns und das Nächste hatte bereits begonnen...
Wir werden unsere Freiheit im Sinne unseres Hauptmannes weiter leben. Wir werden niemals vergessen wer wir sind und woher wir kommen. Wir werden uns an die tapferen Männer erinnern, die ihr Leben für die Freiheit gelassen haben. Und wir werden uns immer an Jo und seine große Liebe Catherine erinnern...

Unser Schiff setzt die Segel in eine ungewisse Zukunft. Vielleicht werden wir eines Tages unsere Freiheit bitter bezahlen müssen. Vielleicht werden wir aber auch bis an unser Lebensende wie der Wind sein. Nimmer müde und frei von allen Dingen. Sorglos und glücklich, bis wir unserem Hauptmann in die Ewigkeit folgen...

Dr. James Schmidt


(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Damit ist "Meer der Sehnsucht" zuende. Ich hoffe es hat Euch gefallen... :)

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Kommentare zu diesem Text


 rela (15.07.06)
Eine spannende und leidenschaftlich geschriebene Erzählung ohne Happy End. Dennoch hat die Liebe der Hauptdarsteller einen großen Sieg errungen, obgleich der Preis der Freiheit teuer bezahlt werden musste. Die Story könnte ich mir durchaus als tollen Spielfilm vorstellen. Liebe Grüße, Rela

 Mondsichel meinte dazu am 16.07.06:
*lächel* Ganz lieben Dank an Dich für Deine Worte. Die Geschichte lag mir sehr am Herzen und ich habe lange gezögert bis ich sie öffentlich gemacht habe. Ich war mir nicht so sicher ob sie überhaupt Anklang findet, eben wegen diesem dramatischen Ende. Aber ein Freund, dem diese Geschichte gewidmet ist, der hat mir Mut zugesprochen. Und so ist sie nun in überarbeiteter Version online gegangen. Und das sie scheinbar gut ankommt, das freut mich ganz besonders :)

Du bist nit die Erste die mir sagt, dass man diese Geschichte auch verfilmen könnte. Aber ich sag da erst mal gerne: Die Frage ist wer sich dafür interessiert, wer es verfilmen würde und ob es sich genau an die Vorlage gehalten wird. Denn wenn man nur einen Bruchteil nimmt, dann ist das Bild dieser Geschichte zerstört, meiner Meinung nach...

Ganz lieben Gruß back
Deine Arcy
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