Hubert, die Kirchenmaus

Kurzgeschichte zum Thema Realität

von  HEMM

„Grüß Gott“ Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Hubert und vom Beruf bin ich Kirchenmaus. Früher lebte ich auf einem Bauernhof und es war die „Hölle“;  wenn dieser Vergleich gestattet ist.
Der tägliche Kampf um jedes Körnchen Futter mit dem Hühnervolk und ihren spitzen Schnäbeln und Krallen. Der Bauer, der täglich versuchte mit uralten Fallen und noch älteren Speckwürfeln mir nach dem Leben zu trachten. Und dann der „oh Gott sei bei uns“ des Bauerhofes, der alte Kater, dieses unnütze, überflüssige Tier. Es war schrecklich, Tag und Nacht musste ich mir Tricks und Strategien einfallen lassen um ihn abzulenken oder zu täuschen.
So beschloss ich mich auf Wanderschaft zu begeben und nach vielem Mühsal und Schrecken kam ich hier her.
Was soll ich Euch sagen. Es war das Paradies. Die Ruhe, die Rücksichtsnahme. Man stellt mir Blumen auf, man heizt für mich im Winter ein, man singt für mich hin und wieder. Und manchmal, wenn ich es mir so richtig gemütlich gemacht habe, wird eine Kerze angezündet. Und das Beste ist mein neuer Chef. Er heißt Herbert und wissen Sie warum er mir so sympathisch ist? Er mag keine Katzen! Wenn er am Sonntag den Menschen in der Kirche vom Paradies erzählt, und dass niemand weiß, wo es ist - da möchte ich am liebsten dazwischen rufen Doch ich weiß es, es ist hier!
Leider bin ich hier noch alleine und kann mir das paradiesische Leben mit niemanden teilen. Aber das könnte sich ja bald ändern, gegenüber der Kirche ist das Gemeindeamt und da lebt Theresa die Gemeindeamtsmaus, ein ganz entzückendes Wesen. Wie ich sie das erste mal gesehen habe, hat sie mir sofort gefallen und ich vermute, dass ich ihr auch ganz gut gefallen habe. Sie ist ein wenig dicker als ich, das kommt von den vielen Sachen die sie im Gemeindehaus findet. Alle Menschen die im Gemeindehaus arbeiten, haben Schreibtische mit vielen Laden. Eine Lade für das Jausenbrot, eine Lade mit Milch und Zucker für den Kaffee den sie täglich mehrere male trinken. Mache essen auch im Büro und wenn ein anderer Mensch in das Zimmer kommt, legen sie rasch den Teller und das Besteck mit der Serviette in die Lade. Ein einziges Büro würde für zehn Mäusefamilien zum Leben reichen.
Ach wie schön könnte alles sein, aber zwischen der Kirche zum Gemeindehaus hinüber ist noch die Gemeindestrasse und daneben ein Graben der entlang der Strasse das Regenwasser sammelt und in den nahe gelegenen Bach leitet. Dieser Graben ist mindestens 1000 mm breit und das Wasser meistens bis zu 200 mm tief. Bei Regenwetter füllt sich der Graben und ich würde es nicht wagen, nur in die Nähe zu gehen. Unwissend wollte ich einmal über die Brücke laufen, dass hätte mir beinahe mein Leben gekostet. Die Katze Schnurrli, so wird sie gerufen, kennt die Brücke genau und sie weiß auch, dass wir kleinen Tiere nur über diese Brücke, ohne Mühe den Graben überqueren können.
Meistens liegt sie im hohen Gras und wartet auf den Moment, wo unsereins auf der Brücke ist. In der letzten Sekunde konnte ich mich damals noch durch das Kirchentor in die Kirche retten. Ich hatte verdammt viel Glück, denn im selben Augenblick kam Herbert aus der Kirche, Schnurrli kennt Herbert gut und verschwand sofort im hohen Gras.
Habe ich den Wassergraben überwunden, stehe ich vor dem nächsten Problem, die Strasse zu überqueren. In allen Größen kommen sie, diese Blechschachteln und so schnell, dass ich es kaum wage, dazwischen durch zu laufen.
Ich habe mich daher entschlossen, einen Tunnel zu graben, von der Kirche bis hinüber zum Gemeindehaus, der längste Tunnel den ich je gegraben habe. Herbert sagt immer, im Paradies ist alles vorhanden. Er hat aber noch nie gesagt, dass dazwischen ein Wassergraben und eine Strasse ist. Und solltet Ihr einmal hier in der Gegend viele kleine Mäusekinder sehen, dann wisst Ihr, dass ich den Tunnel vollendet habe.

Euer Hubert

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Kommentare zu diesem Text

C.S.Steinberg (43)
(04.10.06)
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 HEMM meinte dazu am 04.10.06:
Hallo cashim!
Ich danke dir für deinen lieben Kommentar zu meiner kleinen Geschichte. Sie ist mir vor einer Stunde eingefallen und ich musste sie gleich niederschreiben. Durch dein genaues lesen, sagst du im Kommentar all dass was ich sagen wollte.
Nochmals vielen Dank und
LG Helmut
C.S.Steinberg (43) antwortete darauf am 04.10.06:
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 HEMM schrieb daraufhin am 04.10.06:
Das würde, liebe cashim, für die KV Seite sehr schlecht sein, denn Kommentare ohne Aussage werden leider sehr viele geschrieben. Aber ich freue mich nicht nur über so fachliche Kommentare, sonder auch über kritische, da ich daraus viel dazu lerne und du hast recht, alles spontane kommt meistens besser an.
Wüsche dir einen schönen Abend und LG Helmut
Ach bin ich dumm!
Hab es schon bei meiner ersten Antwort vergessen und jetzt fast wieder: Danke für deine Empfehlung.
(Antwort korrigiert am 04.10.2006)
seelenliebe (52)
(04.10.06)
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 HEMM äußerte darauf am 04.10.06:
Ja wem lese ich da! Meine liebe Freundin Anne. Ich danke dir für deinen lieben Kommentar und für die Empfehlung. Ich freue mich, dich mit meinem Text überrascht zu haben. Ja manchmal kommen so Gedanken ganz spontan und zum Glück hatte ich heute Nachmittag ein wenig Zeit um die kleine Geschichte zu schreiben. Wünsch dir auch einen wunderschönen Abend und schicke dir dazu viele Bussi Helmut.
anaxor (45)
(17.10.06)
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 HEMM ergänzte dazu am 17.10.06:
Hallo Roxana!
Danke für „Empfohlen“
Ich freue mich, dass diese kleine spontane Geschichte so gut ankommt und danke dir auch für deinen lieben Kommentar.
LG Helmut

 Rayoluna (23.01.07)
Eine wirklich süße Geschichte, die ich sehr gerne gelesen habe. Eine Fortsetzung würde sich lohnen ... vielleicht über die Nachkömmlinge, die ohne Tunnel nicht überleben würden.
Aber wer so eine tolle Geschichte schreibt, muss man keinen Tipp geben. )
Liebe Grüße,
Franci

 HEMM meinte dazu am 23.01.07:
Danke dir für deinen lieben Kommentar, werde darüber nachdenken, schreibe aber meistens Gedichte, doch in der letzten Zeit ist mir nicht viel eingefallen da meine Firma vor 10 Monaten abgebrannt ist und ich fast täglich mit der Versicherung streite, die aus haarsträubenden Gründen nicht oder nur ganz wenig bezahlen möchten.
Liebe Rayoluna, nochmals vielen Dank, werde sicher nachdenken LG HEMM
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