SinnSpiel #22

Essay

von  JohannPeter

Die Fotografen fotografieren unentwegt 

die Abscheu der Menschen vor den Fotografenapparaten.

 

(Alfred Döblin)

 

Emíle Zola war in seiner Zeit zugleich ein sehr guter Fotograf. Von ihm stammen Sätze, wie: „Wer fotografiert, sieht ein Ding zweimal.“ oder „Sie können nicht behaupten, etwas gesehen zu haben, ehe Sie es fotografiert haben.“ Möglicherweise meinte Zola damit auch jenen Effekt, unter dem man – noch im Schatten der Dunkelkammer – im sich entwickelnden Bild Dinge entdeckt, die im Augenblick des Auslösens der Kamera wohl fürs Auge, nicht jedoch für den Geist gegenwärtig waren.

 

Doch auch der rein zeitliche Abstand zwischen Aufnahme und Reproduktion kann etwas bewirken. Ein anderer Fotografenlehrsatz sagt: „Was du nicht weißt, wirst du nicht sehen.“ - so wird die Erfahrung des Augenblicks der Aufnahme – und sei es nur wenige Zeit später – mit ins Bild genommen. Sie wird in Relation zum abgelichteten Gegenstand gesetzt und ergibt so im Grunde ein anderes Bild als jenes, das ursprünglich vom Licht ins Silbernitrat gebrannt wurde. Erst die Erfahrung des Betrachters vollständigt das Bild, sie erst macht das Bild wirklich kritikfähig betrachtbar und begründet so die Unentwegtheit gewissenhafter Fotografen, die ja immer erste Betrachter ihrer Bilder sind. Die Fotografierten sind bis dahin „nur“ Gegenstand.

 

Döblin macht in seinem Satz im Grunde ebendiese Entdeckung, er beschreibt sie aphoristisch, fast ein wenig im Ton fatalistischer Verzweiflung. In Wirklichkeit bemängelt er die Abneigung seiner Zeitgenossen – bis heute kaum anders -, sich im Bild mit sich selbst zu konfrontieren, wenigstens sich konfrontiert zu sehen. So treffen zwei Unentwegtheiten aufeinander: das Sehenwollen des Fotografen und das Unerkanntbleibenwollen der Fotografierten.

 

„Das bin ich nicht!“ – natürlich nicht. Was da zu sehen ist, ein sehender Fotograf vorausgesetzt, nicht der Schnappschütze am Timmendorfer Strand, ist das, was der Fotograf gesehen hat: mit seinem Auge und seinem Wissen. Es ist sein Bild vom Fotografierten, im gegenständlichen wie bildhaften Sinne. Bild ist damit immer auch Sinn-Bild, unweigerlich. Und natürlich kann es auf diesem Wege auch den Fotografen denunzieren. Allein die gewählte Bildsprache, Perspektive, Ausschnitt, Bildkomposition wird ihn offenbaren, da ist nichts zu machen, weder dafür noch dagegen. Einzig die Frage, was er selbst an Bild gelten läßt, ist zugleich Antwort im Sinne einer Gültigkeit seines Bildes. Und in dieser Frage stehen die zwei Sichten: die des Bildes selbst und jene auf dasselbe.

 

Und die Menschen ihrerseits? Ihre von Döblin beschworene Aversion ist nicht allein Abscheu vor der fremden Sicht, sondern in erster Instanz vor der eigenen. Denn als Betrachter ist immer der Fotografierte selbst jener mit dem authentischsten Urteil, dem genauesten Hintergrund: der Eigenkenntnis. Ob diese Selbst-Kenntnis aber auch Selbst-Erkenntnis zuläßt oder beinhaltet, wird an erster Stelle und einzig vom Verhältnis des Abgebildeten zu sich selbst, nie – oder eher selten – von seinem Verhältnis zum Fotografen bestimmt.

Man ist geneigt, an diesem Punkt Jean Cocteau zu erinnern, wo er seinerseits sprach: „Die Kamera sieht dem Tod bei der Arbeit zu.“  Ob er, der Existenzialist, darin auch meinte, daß jedes Bild vom Moment seiner Erzeugung an Vergangenheit zeigt, ist nicht überliefert, jedoch denkbar.

 

Aber vielleicht ist das Gebot: Du sollst dir kein Bild machen. ebenso vom Gedanken der Vergänglichkeit des Augenblicks diktiert. Es warnt davor, etwa einer falschen weil unvollständigen Vorstellung zu folgen, die der Realität nicht standhalten könnte. Realität ist aber immer auch die Realität des Bildes. Wo die auf unangemessene Vorstellung von sich selbst stößt, entsteht unvermeidlich ein Konflikt. Die zugehörige Gemütsäußerung ist von Döblin treffend verbalisiert, aber sie kann in Wirklichkeit nicht dem Bild gelten. So bleibt wohl nur die Unentwegtheit der Fotografierten schwierig.



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