Guten Abend

Kurzprosa zum Thema Abendstimmung

von  ViolaKunterbunt

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Ein guter Abend?
Es ist schon spät.
Die Uhr zeigt unerbittlich an, dass es immer und immer später wird.
Sie sitzt auf der Kommode und lässt die Beine baumeln.
Sie wartet.
Geduldig und gleichzeitig immer mit einem Blick auf die Uhr.

Neben ihr eine Babymütze, die die Zeit ihrer ersten Jahre bedeckt hat.
Flaumiges Haar, zarte Pfirsichhaut, unschuldig
Daneben ein Schulheft, voller Rechtschreibfehler,
der Aufsatz über den schönsten Ferientag.
Ein Tag mit Oma im Phantasialand,
ein Tag wie Kindergeburtstag und Weihnachten auf einmal.

Ihr Fuß stößt an die Klappe der Kommode,
ihr altes Tagebuch fällt heraus.
Gut verschlossen, längst vergessen.
Jugendliebeleien, wie Blüten im Frühling,
große Enttäuschungen,  ein kleines Sterben mit jeder Lüge des Angebeteten.
Die Eintragungen werden weniger,
als der Eine gefunden ist.

Sie rutscht von der Kommode und setzt sich in den Sessel gegenüber.
An der Wand hängt eine Traube voller Bilder
Sie beide vor der Kirche, ein Einheit, die sich nie mehr trennen will.
Daneben: die Kinder, ein Junge, ein Mädchen,
die optimale Familie, ein Klischee wie aus dem Lehrbuch.
Alle zusammen im eigenen Garten, und immer wieder sie selber mittendrin
Eine Leitstute in einer kleinen Herde.

Ihre Augen fallen auf das große Ehebett,
immer der Zufluchtsort für sie und ihn.
Aussprache und Versöhnung.

Eine Seite ist unbenutzt.
Eine leere Illusion.
Der Kleiderschrank ist viel zu groß für sie alleine.

Ein Blick auf die Uhr.
Sie wartet,
aber sie weiß nicht mehr worauf.

Die Uhr schlägt.
Es ist schon spät.
Gute Nacht.



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Kommentare zu diesem Text


 Traumreisende (15.10.06)
irgendwie ist einer von beiden weit weg....
vielleicht füllt sich eine leere seite, durch das nichtwarten, durch das wissen...

sehr stimmungsvoll geschrieben

lg silvi

 ViolaKunterbunt meinte dazu am 19.10.06:
Vielen Dank, liebe Silvi,
ja, in meinen Gedanken ist der Eine ganz weit weg und wird nicht mehr auf die leere Seite kommen.
Ganz liebe Grüße, Viola
Susa (52)
(15.10.06)
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 ViolaKunterbunt antwortete darauf am 19.10.06:
Danke Susa für Deinen Kommentar.
Ich denke, sie denkt wohl nicht an die Zukunft, sondern ist nur in der Vergangenheit. - Zumindest in diesem Moment. - Wer weiß, was morgen ist ...
Kunterbunte Grüße, Viola
Susa (52) schrieb daraufhin am 20.10.06:
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 ViolaKunterbunt äußerte darauf am 20.10.06:
Ok! Hast recht, das will ich auch nicht! )))
Nunny (73)
(15.10.06)
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 ViolaKunterbunt ergänzte dazu am 19.10.06:
Vielen Dank, liebe Nunny.
Du hast es schön nachempfunden, was ich mir dabei gedacht habe.
Liebe Grüße, Viola

 Maya_Gähler (17.10.06)
sehr tiefgründig geschrieben mit platz für die eigenen gedanken....auch wenn es ein eher trauriger text ist, so ist er doch sehr stimmungsvoll und lädt ein zum verweilen...
herzliche grüsse maya

 ViolaKunterbunt meinte dazu am 19.10.06:
Vielen Dank, Maya, für Deinen Kommentar.
Ich freue mich, wenn ein Text von mir so aufgenommen wird. Danke.
Liebe Grüße, Viola

 BrigitteG (18.10.06)
Jetzt habe ich Deinen Text schon viermal angeklickt und dreimal ratlos wieder weggeklickt, Viola... Er ist nicht schlecht. Aber irgend etwas hat er, das mich zögern lässt, und darüber musste ich erst nachdenken. Ich glaube, dass mich die Gedichtform extrem stört. Es kommt für mich so abgehackt, stakkatoartig in seiner Ausstrahlung rüber.
Ich habe mir Deinen Text einfach mal unverändert kopiert in eine word-Datei, und Prosa bis zum Zeilenende daraus gemacht, eine Strophenende als Absatz genommen. Für mich liest es sich so besser. Nach dem einleitenden Abschnitt (das mit dem zweimal "spät" finde ich etwas zu dicht aneinander) hast Du je einen für Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. Der nächste Abschnitt dann, um zur Leere überzuleiten. Für mich ist glaube ich der Text ab "Eine Seite ist unbenutzt" zu lang, die Wirkung verpufft zu sehr, weil das Tragische früh formuliert wird und dann nochmal und nochmal und nochmal, bevor der Schluss kommt.

Öhm - noch ne Frage: bezieht sich "Flaumiges Haar" nicht grammatikalisch auf die Babymütze?

Ich hatte übrigens bei Deiner Formulierung "eine leere Illusion" (ist das nicht ein weißer Schimmel? Ein mauschelnder Politiker?) plötzlich die Assoziation, dass diese Frau absolut alles nur geträumt hat, ein Wachtraum von einer Familie, die nie existiert hat - dazu passte auch der Begriff vom Klischee. Aber so meinst Du es wohl nicht, vermute ich.

Also Andreas beschwert sich gelegentlich, dass ich seine Texte immer viel kritischer sehe als die von Anderen, und Dinge ankreide, über die ich in Büchern drüber weggehe. So gesehen hast Du keinen Grund zur Beunruhigung *g*. Liebe Grüße an Dich und alle Pappnasen in Deinem Haus, Brigitte.

 ViolaKunterbunt meinte dazu am 19.10.06:
Zuerst mal: klick ruhig ofter in meine Texte! Das erhöht die Zähler und ich lande endlich unter den Top 10.
Tja, das mit der Gedichtform - mag sein. Ich mag ja dieses Stakkatoartige. Hat für mich eine ganz bestimmte Ausstrahlung, - so ähnlich wie meine gerne genommenen Gedankenstriche.
Das mit dem flaumigen Haar, das ist ja nicht so in einem normalen Satz und deshalb finde ich das ok so.
Und die "leere Illusion", die mag ich besonders. (Hey, da DARFST Du gar nichts schlechtes drüber sagen !!!! ) Ich finde, das multipliziert sich gegenseitig und verstärkt damit die Stimmung.
Auf jeden Fall danke ich Dir für Deinen (wie immer) ehrlichen Kommentar, Du Pappnase!
ElfchenofDarkness (19)
(19.10.06)
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 ViolaKunterbunt meinte dazu am 19.10.06:
Vielen Dank Alex für Deinen Kommentar.
Schön, dass es Dir gefällt. Freut mcih sehr.
Und ganz herzlichen Dank für die Empfehlung.
Liebe Grüße, Viola
(Antwort korrigiert am 19.10.2006)
Lurifax (45)
(19.10.06)
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 ViolaKunterbunt meinte dazu am 19.10.06:
Hallo Lurifax!
Das freut mich aber, Dich mal wieder hier zu sehen. Und vielen Dank für das große Lob!
Kunterbunte Grüße, Viola
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