Nun war also die große Stunde gekommen. Katholische und evangelische Kirchenglocken wetteiferten miteinander, um die mehr oder minder gläubigen Schäfchen in die verschiedenen Gotteshäuser zu rufen, während der Tonband-Muezzin krächzend seine Suren leierte und zahlreiche Muslime in die Knie und zu Boden zwang. Ja, im Zeitalter der Multi-Kulti-Gesellschaft ist in unserem Stadtteil neuerdings auch eine Moschee errichtet worden, aber darüber wollte ich hier eigentlich nicht berichten.
Ich fand mich tatsächlich in einer der vordersten Bankreihen der Sankt-Dingsda-Kirche wieder, nicht etwa, weil ich über alle Maßen fromm bin, sondern das hatte einen völlig anderen Grund. Während also der Pfarrer, den ich sonst nur in Jeans und Baumfällerhemd kenne (und mit dem ich manchmal abends in der Eckkneipe ein Bier trinke), gemessenen Schrittes, hoch erhobenen, frisch rasierten Hauptes und talarschwarz gewandet zur Kanzel schritt und sich das Publikum –sorry, die Gemeinde meine ich natürlich- vor Beginn der Predigt noch einmal wie im Konzertsaal räusperte, um dann in andächtiges (vorläufiges) Schweigen zu verfallen, überlegte ich nochmals, was ich eigentlich hier wollte… oder besser sollte…zu normalerweise nachtschlafender Zeit und mit angehaltenem Atem…nein, nicht wegen der Spannung, eher wegen meiner zu engen und daher kneifenden Hose!
Eine frühere Freundin hatte mich neulich angerufen und nach einem kurzen, nichts sagenden Smalltalk die entscheidende Frage gestellt: „Zahlst du eigentlich noch Kirchensteuer?“ Auf mein „ja“ folgte dann ihr erlöstes „Gott sei Dank“ und der Triumphschrei: „Dann wirst du Taufpatin!“ Konnte man so einen Wunsch, solch eine Bestimmung, abschlagen? Nein, nicht wirklich. Sie erklärte mir auch sogleich, dass ich kein Taufkleid zu kaufen brauchte, ihr Sohn sei schließlich schon fast sechs Jahre alt, aber gegen ein anderes großzügiges Geschenk hätte man natürlich nichts einzuwenden…wusste ich doch, dass die Sache einen Haken haben musste! Und sechs sollte der Bengel schon fast sein? Hatte ich nicht vor ganz kurzer Zeit noch (per Geschenkgutschein) meine Glückwünsche zu seiner Geburt übermittelt?
Egal, so eine Patenschaft war schließlich ein ehrenvolles Amt und hier und heute sollte also die Taufe stattfinden, im Rahmen eines Familiengottesdienstes, zu dem offensichtlich mehrere Familien (ein)geladen waren und immerhin gleich vier (!) Täuflinge unterschiedlicher Altersklassen. Blieb zu hoffen, dass der jüngste der vier, der bis eben selig geschlummert hatte und nur durch das schrille Läuten des väterlichen Handys aufgewacht war („Verdammt [sehr christlich], hab ich verpennt, das Scheißding auf lautlos zu stellen…?!“) und jetzt aus Leibeskräften schrie, während des schleunigst angestimmten Chorals wieder einschlafen würde!
Ich kannte weder Text noch Melodie des Liedes, hatte sinnigerweise auch versäumt, am Eingang eines dieser gelben Blättchen mitzunehmen, Gesangbücher gab es leider nicht, aber so ersparte ich den Umsitzenden auch mein eher schräges Singsang (im Gegensatz zu der Dame, die zwei Reihen hinter uns saß und im stetigen Wechsel zwischen Sopran und einer mir unbekannten Singstimme lautstark schmetterte). Unsinnige, lautlose Mundbewegungen verkniff ich mir auch, wodurch mein Patenkind sich dazu animiert fühlte, mich nach Ende des Orgelspiels lautstark zu fragen „Sag mal, warum singst du eigentlich nicht mit, bist du nur zum Zuschauen hier?“
Glücklicherweise wurde ich einer passenden Antwort enthoben, denn just in diesem Moment ertönte ein Ohren betäubendes Tatütata…aus dem leuchtend roten Feuerwehrauto des zweiten Täuflings! („Oh mein Gott, hast du denn die Batterien nicht entfernt?“ [Das war doch nun wahrlich nicht Gottes Aufgabe!]) Die Geräuschkulisse war der Kindsmutter sichtlich unangenehm und in ihre Bemühungen um Verminderung des Lautstärkepegels mischte sich die Krähstimme des dritten Taufkindes (über das ich die Patenschaft angedient bekommen hatte…) „Ich will auch mal! Ich will auch mal, lass mich mal!“
Die zum Tausch angebotene Tüte mit schokolierten Erdnüssen löste sich beim Kampf um das Feuerwehrauto in Wohlgefallen auf und die bunten Dinger hüpften mit einem lauten Klack-Klack über den frisch geputzten Marmorboden, sehr zur Freude der weiteren anwesenden Kinder, die nun alle im Sonntagsstaat durch die Kirche robbten. Wer hatte eigentlich behauptet, dass diese Dinger erst im Mund und nicht in der Hand schmelzen sollten? Das Rüschenkleidchen des vierten Täuflings, ehemals weiß, belegte etwas völlig anderes und färbte sich sehr zum Entsetzen der Eltern und Großeltern knallebunt bis schokobraun…
Den einzigen Säugling unter den vier neuen Gemeindegliedern störte all das wenig, zufrieden nuckelte er an der entblößten Mutterbrust („Ich muss ihn stillen, was kann ich dafür, wenn er gerade jetzt solch einen Hunger hat?!“) Nur ein leichtes Schmatzen war zu vernehmen und ich wartete schon insgeheim auf das abschließende Bäuerchen!
Der Pfarrer fuhr (noch) unbeirrt fort in seiner Predigt, er dozierte über Homoehe und Fleischeslust sowie über den eigentlichen Sinn der Verbindung zweier Menschen. Familiengottesdienst eben, und er ließ sich durch die tumultartigen Szenen nicht aus der Ruhe bringen, nur den Satz „Lasset die Kindlein zu mir kommen!“ hätte er sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt besser verkniffen, denn eben diese Aussage brachte die Kinder auf eine neue Idee…sie ließen die Schokoklicker weiterkullern, stürmten mit indianischem Geheule die Kanzel und scharten sich erwartungsvoll um den Pfarrer. Dieser nutzte die Gunst der Stunde und bewegte sich Richtung Taufbecken, rief nun doch sichtlich beeindruckt Eltern und Paten zu sich. Der Säugling, unter plötzlichem, unerwarteten Milchentzug leidend, legte sich noch einmal richtig ins Zeug und war auch alles andere als einverstanden mit dem ersatzweise angebotenen Weihwasser, das ihm nun über den noch kahlen Hinterkopf tröpfelte „Miroslav, ich taufe dich……“
Auch Tatjana (immer noch kauend), Paul (das Feuerwehrauto fest im Griff) und mein Patenkind Boris (mit nunmehr genässter Gelfrisur) empfingen ihre (h)eilige Taufe und die Szenerie vor dem Altar glich mittlerweile und nicht zuletzt in Anbetracht der arg flackernden Taufkerzen mehr und mehr dem feurigen Finale einer Silvestershow, in das sich nunmehr wiederum triumphales Orgelspiel und Glockengeläut mischten. Der digitalisierte Turmherrscher der Moschee hatte sich offensichtlich zur Ruhe begeben!
Die Abkündigungen des Pfarrers waren kaum noch vernehmbar, aber wer genau hinhörte, bekam mit, dass die Kollekte am Ausgang für ein Dorf in der dritten Welt bestimmt sein sollte, um dort die bessere medizinische Versorgung insbesondere Schwangerer und Neugeborener zu gewährleisten…