Der Dunkle Begleiter
Erzählung zum Thema Horror
von kaltric
Andre Schuchardt
präsentiert
Arbeitstitel: Der dunkle Begleiter
Arbeitstitel2: Warum
Arbeitstitel3: Der Schwarze [/u]
V.0.1
© Andre Schuchardt
kaltric@gmx.net
I
(1. Abend, wo ich noch guter Dinge war)
Der Mond war voll und blutrot gewesen und stand an diesem Abend hoch am nächtlichen Himmel. Ich kam gerade von der Feier eines Freundes und befand mich auf dem Heimweg. Wie immer nahm ich die Abkürzung, die mich durch verwinkelte Seitenstraßen und kleine Gassen am Stadtpark vorbei führen würde. Zwar war es mir bekannt, dass es immer wieder zu Überfällen, Morden und anderen Vorfällen kam, wenn sich jemand des Nächtens allein an diesen dunklen Orten aufhielt, doch war ich stets guter Dinge gewesen. Während der Feier hatte ich etwas zu stark dem Weine zugesprochen und so kam es, dass ich leicht torkelnd in die nur unzureichend von je einer Straßenlaterne an jedem Zugang beleuchtete Schmiedegasse einbog. Ich durchquerte sie und erreichte den freien Platz, der den Park umgab. Nichts ahnend begann ich fröhlich pfeifend von einem Pflasterstein zum nächsten zu hüpfen. Wie leichtsinnig ich doch noch war.
Plötzlich hörte ich mich beunruhigende Geräusche aus dem nahen dunklen Parkwald schallen. Ich hörte sofort auf mit allen Tätigkeiten, blieb starr stehen und lauschte.
Da! Schon wieder diese Geräusche, die ich als das Wimmern einer jungen Frau erkannte. Ich kämpfte gegen meine Angst an, selbst in irgendetwas hineingezogen zu werden, doch obsiegte letztlich die Neugier. Vorsichtig näherte ich mich den Bäumen. Als knackend ein kleiner Ast unter meinen Füßen blieb, blieb ich sofort starr stehen und presste mich an einen Baum. Die Geräusche kamen von einer Lichtung direkt vor mir, soviel vermochte ich selbst in meinen angeschlagenen Zustand festzustellen.
Langsam und ohne den Kontakt zu dem Baum, diesem einzigen Beistand den ich hier hatte, zu verlieren, drehte und reckte ich meinen Kopf so, dass ich einen Blick auf die Quelle der Laute werfen konnte. Bei dem was ich nun sah blieb mir fast das Herz stehen.
Düster und bedrohlich lag die Lichtung vor mir, die umstehenden Bäume streckten ihre verkrümmten Äste zur Mitte hin aus, als würden sie versuchen in die Geschehnisse, die ich dort beobachtete, einzugreifen. Kein weiteres Lebewesen außer mir und den beiden Hauptakteuren der Szene waren anwesend, alle Tiere schienen längst geflohen zu sein. Ein Fleck im Gras war schwarz und verkohlt als hätte man hier ein Lagerfeuer betrieben und Steine lagen darum verteilt.
Ein angesichts des Schauspiels völlig irrsinniger Gedanke kam mir. Letzten Monat erst hatte ich selbst noch gehört, wie man einen armen Landstreicher zu einer wahrlich harten Strafe verurteilte, da er in der stets verschmutzten Bäckerstraße ein offenes Lagerfeuer entzündet und laut Urteil die gesamte Stadt gefährdet hatte. Wusste diese so unschuldig aussehende Frau die da so nah bei mir durch das verkohlte Gras kroch nicht, dass offene Feuer hier in der Stadt verboten waren?
Sie wirkte, als wäre sie noch nicht lange dem Elternhause entwachsen. Das lange flachsblonde Harr hing ihr wirr um die Schultern. Bei jeder Bewegung die sie machte wurde es weiter durchs verbrannte Gras gezogen und färbte sich langsam schwarz. Ihr zierlicher Körper wurde von zerfetzten Kleidern eher notdürftig bedeckt und ängstlich drückte sie ihn an den Boden, schutzsuchend. Die eine Hand krallte sich ins lockere Erdreich, die andere hielt sie abwehrend vor das Gesicht. Gleichzeitig vergrub sie das mir zugewandte Gesicht im Arm. Man hörte nur ihr verzweifeltes Schluchzen, erfüllt von Furcht und Grauen. Auch mich erfüllten diese Gefühle als ich erkannte wovor sie so sitzend durch das Gras kriechend zu entfliehen versuchte.
Die Gestalt stand hocherhoben zwischen ihr und mir, so dass ich nur ihren Rücken sehen konnte, was wenig aufschlussreich doch umso fürchterlicher war. Sie war etwa so groß wie ich, auch wenn ich stets schlecht im Einschätzen war. Eine weit geschnittene nachtschwarze Kutte verhüllte ihre Umrisse. Ich vermochte nichts einzuschätzen. War es nun Mann oder Frau? Auch den Kopf bedeckte eine Kapuze, tief ins Gesicht gezogen, und die Hände verschwanden in den weiten Ärmeln der übergroßen Verkleidung. Stumm und bedrohlich stand sie da und wandte ihr Antlitz dem Mädchen zu.
Langsam hob sie ihren rechten Arm und erst da erkannte ich den Dolch in ihrer Hand. Ruhig und gelassen mit geradezu fürchterlicher Lautlosigkeit trat, nein, schwebte sie fast auf das Mädchen zu. Eine schwarzbehandschuhte linke Hand griff in die halb ruß gefärbte Mähne des Mädchens und zog ihren Kopf daran hoch. Sie verzog schmerzerfüllt das Gesicht, die Augen vor Pein zugekniffen. Mir fröstelte es, dabei war dieser Herbsttag vergleichsweise warm. Ich wollte ihr helfen doch war ich wie gelähmt, stand nur da und musste zusehen. Ich sah wie die Gestalt sich runterbeugte bis der Rand der Kapuze fast das Gesicht des Mädchens berührte als wolle sie ihr in die Augen sehen. Diese weiteten sich schreckenerfüllten als der Dolch sich ihrem Hals näherte. Ein letztes Mal versuchte ich meine Starre zu lösen während der Schwarzgewandete die Dolchspitze ansetzte.
Das Mädchen wirkte wie ein Kaninchen, welches das unvermeidliche sich nähern sah. Sie schrie nicht einmal, obwohl ich mir das wünschte, vielleicht wären dann vorbeikommende Passanten alarmiert worden sie zu retten. So aber musste ich allein alles mitverfolgen als einziger Zeuge, wie der Dolch die zarte Haut riss, wie der Schwarze sein blutiges Handwerk tat ohne sich zu beschmutzen, wie das Leben aus dem armen Mädchen wich, wie ein Augenblick vor dem letzten Moment ihr Blick den meinigen traf und sie mich traurig anschaute eh ihre Augen sich trübten und der Schwarze sie losließ. Leblos fiel sie zurück.
Ihr Mörder wischte das Blut von der Klinge an ihrem Kleid ab und richtete sich wieder auf. Dann drehte er sich um. Ich weiß nicht ob er mich sah oder nicht, ich erkannte jedenfalls nicht mehr als von hinten.
Endlich konnte ich mich wieder bewegen und zog mich hinter den Baum zurück. Als ich eine Zeitlang nichts hörte nahm ich mich zusammen und warf einen Blick zurück auf die Lichtung. Die Gestalt war verschwunden, die Tote lag noch da. Mir wurde schwarz vor Augen als mich die angestaute Angst überwältigte.
Als ich erwachte lag ich in meinem Bett.
II
(Der nächste Tag, Gedanken und nichts sollte sein wie es war)
Es war Morgen als ich erwachte. Die Sonne schien durch das einzige kleine Fenster meiner Wohnung direkt in mein Gesicht und weckte mich. Blinzelnd lag ich da und verfolgte eine Zeitlang die Zeichnungen der Maserungen in der Holzdecke. Nur langsam begann ich zu realisieren wo ich mich befand und was geschehen war.
Ich lag in meinem eigenen Bett in meiner eigenen Wohnung. Doch wie war ich hierher gekommen? Ich erinnerte mich noch perfekt an den vergangenen Abend, zumindest seinem grausamen Höhepunkt – wie könnte ich dies vergessen? – doch nur bis zu dem Punkt meiner Ohnmacht. Es verschloss sich mir völlig wie ich heim gekommen war. Warum fand man nicht nah bei der Toten liegend, brachte man mich nicht auf die Wache um mich zu befragen oder gar als Schuldigen zu verurteilen?
Ich drängte die Gedanken an meine sonderbare Heimkehr für den Moment zurück und ließ erst mal die Ereignisse Revue passieren, wieder und wieder, bis ich letztlich selbst vor dem kleinsten Schatten in meiner schlecht ausgeleuchteten Wohnung aus lauter Angst und Panik fliehen mochte, mich fragte ob ich an diesen Abend zum großen Umzug gehen, und vor allem, ob ich den Vorfall melden sollte. Letztlich entschied ich mich dagegen, man würde höchstvermutlich nur mich als Täter bezeichnen, niemals konnte man sicher sein, ob man an korrupte Beamte geriet oder an ehrliche, dass hatte ich oft genug gehört, hatte ich selbst mir doch noch nie etwas zuschulde kommen lassen.
An meine Familie konnte ich mich sicher nicht wenden, diese lebte immer noch in dem kleinen Landsitz draußen in der Provinz wo ich geboren war. Ich zog vor drei Jahren hierher in die Stadt, ganz allein und einsam. Zwar stammte ich aus behüteten Verhältnissen, doch sagte mein Vater immer, egal ob man später nun ein ruhiges Leben erwarten durfte, sollte man vorher immer erst etwas Anständiges lernen, wie er es ausdrückte. Außerdem würde mein älterer Bruder später sämtlichen Landbesitz erben, mir fiele nur ein kleinerer Teil des Vermögens zu. So lernte ich nun das zweifelhafte „Handwerk“ eines Gehilfen in der kleinen Stadtbibliothek, eine äußerst öde Tätigkeit, doch hatte ich relativ viel Freizeit in der ich mein mickriges Gehalt samt der geringen Unterstützung die mir meine Eltern zukommen ließen verprassen konnte um ein paar Freunde zu gewinnen und mit ihnen mir die Langeweile zu vertreiben.
Irgendwann kam es dazu, dass ich dies alles so nicht mehr aushielt. Ich schrieb meinen Eltern und bat sie, nein, flehte sie an mich wieder heimkehren zu lassen, mir dieses unwürdige Exil abzunehmen. Doch mein Vater blieb hart, von meiner Mutter hatte ich eh keine Unterstützung zu erwarten. Ich versuchte meine schon immer auf sie angestaute Wut zu unterdrücken und lenkte mich ab. Während meiner Arbeit las ich bevorzugt die Bücher statt meinen Aufgaben nachzugehen, was mir mehr als einmal eine Rüge einbrachte. Abends und oft auch nachts trieb ich mich in der Stadt umher, von einem aufregenden Erlebnis zum nächsten. Ich bekam zuwenig Schlaf und war nun in der Bibliothek zusätzlich noch stets schläfrig und energielos und wurde einmal gar dabei ertappt wie ich beim Abstauben einiger Enzyklopädien eingeschlafen war.
Doch war mir mein zweites, mein nächtliches Leben wichtiger. Ich wurde unter meinesgleichen in dieser kleinen engen Stadt bekannt doch niemand stand mir wirklich nah, niemand war da mit dem man wirklich reden konnte – bis zu einer Person, doch dazu komme ich später.
Dies hier soll mein Reuebekenntnis sein, vielleicht hätte ich alles verhindern können. Vielleicht.
Ich kannte das Mädchen nicht, welches da gestern Abend so plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, dabei dachte ich, ich würde alle Nachtkreaturen dieses Ortes kennen, so groß war er ja nicht. Aber sie kam mir bekannt vor, obwohl sie hier neu sein musste. Vielleicht war sie mir ja schon einmal zufällig über den Weg gelaufen, oder sie sah nur jemanden ähnlich, den ich kannte.
Ich ließ diese Überlegungen, vermutlich war ich nur zufällig da hineingeraten und so etwas würde mir nie wieder passieren. Doch hatte ich das ungute Gefühl, dem Schwarzgewandeten nicht zum letzten Mal begegnet zu sein. Wie Recht ich doch hatte.
Ich raffte mich nun endlich auf und setzte mich auf die Bettkante. Mein Rücken schmerzte sonderbarerweise und tastend erfühlte ich ihn. Einen blauen Fleck neben dem anderen fand ich. Ich fragte mich zwar wie ich zu ihnen kam, schrieb dies aber meinem Sturz zu.
Etwas, über das ich mich noch wundern durfte war, dass ich mich fast völlig entkleidet in meinem Bett befunden hatte. Scheinbar war ich bei meiner Heimkehr am gestrigen Abend noch genug bei Sinnen gewesen um mich nicht bekleidet ins Bett zu legen.
Ich stand auf und ging in meine Waschecke mit ihrer blanken Steinwand und blickte in den schmutz starrenden Spiegel, einzige Verzierung der Wand. Fast sofort schreckte ich zurück vor dem was ich sah. Mein Gesicht war völlig zerschrammt, getrocknetes Blut klebte überall. Vorsichtig tastete ich es ab und als ich keinen Schmerz spürte wusch ich es. Mit dem einzigen Handtuch welches ich besaß trocknete ich mich ab und wagte einen erneuten Blick. Die Blutreste waren verschwunden, die Kratzer schienen nicht so schlimm zu sein wie befürchtet. Merkwürdige Blicke und Fragen durfte ich trotzdem erwarten.
Ich wusch mich weiter, zog mich an und wollte frühstücken. Da ich aber nichts Essbares fand bereitete ich mir lediglich einen Tee zu. Während das Wasser kochte ging ich kurz auf die Straße um Neuigkeiten zu lauschen. Ich wohnte nah am Markt, so durfte ich eigentlich ständig Menschen erwarten denen man nur zuhören brauchte um den neuesten Klatsch zu erfahren. Natürlich lauschte ich besonders ob jemand etwas von einem toten Mädchen zu berichten wusste, zu meinem Erstaunen drehten sich die interessantesten Themen aber nur um die aktuelle Steuerpolitik.
Gedankenvoll ging ich zurück ins Haus.
Hatte man sie denn noch nicht gefunden? Wie konnte das sein? Solcherlei Nachrichten verbreiteten sich eigentlich stets wie ein Lauffeuer. In dem Park konnte man sie eigentlich gar nicht übersehen, ständig lustwandelten irgendwelche Leute dort herum und kamen selbst an die merkwürdigsten Orte.
Hatte ich mir nur alles eingebildet? Ich sah in den Spiegel um mir selbst in die Augen sehen zu können, um zu erkennen ob ich vielleicht nicht mehr ganz gesund war. Bei meinem Lebensstil, so sagten meine Freunde, würde dies eh früher oder später passieren.
Ich erkannte nichts in meinen blauen Augen und versuchte stattdessen mein Äußeres zu ordnen. Da erkannte ich sie in den Schatten hinter meiner Schulter, die schwarz gewandete Gestalt griff aus dem Dunkel nach mir. Erstarrt sah ich zu, sah, wie ihr behandschuhter Griff nach mir schnappte.
Der Teekessel pfiff und die Erstarrung war gelöst, ich wirbelte herum. Die Schatten waren noch da aber kein Mörder näherte sich mir, ich war allein in dieser meiner Wohnung.
Mit den Nerven nun endgültig am Ende vergaß ich den Tee zu trinken, schnappte mir stattdessen schnell meinen Mantel und floh aus dem Haus, floh vor der Angst, dass da doch etwas war.
Vielleicht würde mich ja meine Arbeit ablenken.
Aber dem würde nicht so sein.
III
(Ein Versuch mich abzulenken und weitere Vorfälle)
Ich ging durch die geschäftiger werdenden Straßen der Stadt, mich von allen dunkleren und einsamen Plätzen fernhaltend. Mein Frühstück verlegte ich in die Bibliothek indem ich mir unterwegs etwas Brot und ein Stück Käse kaufte. Zwar wurde das Essen am Arbeitsplatz nicht geduldet doch scherte ich mich einen Dreck darum, die Arbeit war mir eigentlich eh egal, ich befürchtete nur auf dem Trockenen zu sitzen, sollte ich sie verlieren und mein Vater sich weigern mir zu helfen. Aber das konnte er eigentlich nicht tun, solange ich die Arbeit nicht eigenwillig kündigte oder aufgrund von nachweisbar unkonstruktiven Verhalten verlor.
Auf meinem Wege kam ich auch am Park vorbei. Es war mir als würde sich plötzlich die Zeit verlangsamen und der Himmel verdunkeln. Die Bäume des Parks warfen kranke Schatten auf das Pflaster, das Gras erschien mir rottend und unrein, dabei war ich noch gar nicht bei dem einen Hain vorbeigekommen.
Ich fragte mich ob sie wohl noch immer dort läge, eine gewisse Neugier drängte mich. Viel quälender war jedoch die Angst dort nichts zu finden, dass alles nur eine Täuschung und gar nicht passiert war. Obwohl ich das nicht glaubte, es war viel zu realistisch in mein Hirn gebrannt.
Langsam kam der Hain in Sicht und in meiner Vorstellung wuchs er ins Unendliche, nahm mein ganzes Blickfeld ein und ließ mir übel werden. Ich konnte keinen Schritt mehr weiter gehen und musste mich auf eine Bank setzen um nicht schwindelnd umzufallen. Ich versuchte mich zu sammeln und warf einen vorsichtigen Blick zurück zu den Bäumen. Sah ich da nicht ein Stück schwarzen Stoffes zwischen den Stämmen? Zitternd schloss ich die Augen. Da mir fast sofort schwindlig wurde öffnete ich sie wieder. Der Schein schwarzen Stoffes war verschwunden. Ich konnte einfach nicht an dieser Stelle vorbei gehen sondern entschloss mich einen Umweg zu gehen. Der würde mich zwar gute zehn Minuten mehr kosten und ich käme zu spät zur Arbeit, aber ich konnte einfach nicht anders.
Bei der Bibliothek erwartete mich bereits der Bibliothekar und sah mich mit gestrengem Blicke an. Die kleinen harten Augen starrten unter dem schlecht geschnittenen schwarzen Haaren hervor. Das faltenreiche Gesicht guckte über das Pult des Empfangstisches hervor. Die eine knöcherne Hand rückte gerade die eiserne Brille mit den runden Gläsern zurecht, während ich die zweite nicht sehen konnte, da die Vorderwand des Pultes sie verdeckte. Aus Erfahrung konnte ich mir aber hundertprozentig sicher sein, dass sie gerade verärgert einen mit einem Stift auf die blanke Holzplatte des Tisches klopfte. Wenn ich mich anstrengte vermochte ich ein leises Klopf-Klopf zu hören.
„Sie sind zu spät,“ knarrte der alte Geier.
Mehr war nicht zu erwarten. Keine Nennung meines Namens, keine ausführliche Vorhaltung meiner Missetaten, war doch schon alles in diesen paar Wörtern enthalten. Seine Stimme troff fast vor Verachtung, die tranigen Augen sahen halb durch mich durch.
„Tut mir leid, ich mache mich sofort an die Arbeit,“ versuchte ich mich wie jedes Mal nur halbherzig herauszureden.
Seinen Blick ignorierend und noch leicht zitternd von den Vorfällen vor ein paar Minuten hing ich meinen Mantel auf und ging in die Hinterräume der Bibliothek, wo ich als letztes Bücher sortiert und kartiert hatte und dieses noch fortsetzen musste. Auf dem ganzen Weg spürte ich den bohrenden Blick des Bibliothekars in meinem Rücken. Wie sehr ich diesen verknöcherten Hund doch hasste. Aber nein, keine Gefühle an ihn verschwenden, sagte ich mir und versuchte es zu vergessen.
Statt zu arbeiten packte ich lieber die mitgebrachten Sachen aus, setzte mich an einen kleinen Tisch in einem der Lagerräume und versuchte nun endlich etwas zu essen. Ich kam aber nicht weit, bis ich plötzlich draußen über den Holzboden sich klackend nähernde Schritte hörte. Aufschreckend packte ich mein Mahl wieder zusammen und ließ es in einer Schublade des Tisches verschwinden. Dann eilte ich an die Regale und tat so als würde ich arbeiten. Vor allem musste ich erst einmal die störenden Staubschichten entfernen.
Als der Bibliothekar eintrat überraschte er mich völlig mit seiner Frage.
„Geht es ihnen nicht gut?“
Dabei ließ er seine eng zusammengekniffenen Augen die Umgebung erforschen.
„Was... wieso fragen sie?“ stotterte ich, hatte er sich doch noch so gut wie nie für mein Leben interessiert. Ich war es gewöhnt, dass unsere Beziehung auf schlichter Verachtung basierte.
„Sie sehen nicht gut aus. Meinen sie, sie schaffen das heute?“
Damit warf er einen deutlichen Blick auf das Regal hinter mir.
„Ja, danke, ich werde mich schon zusammenreißen,“ sprach ich und fühlte mich wie das Vieh auf der Schlachtbank.
Der Alte nickte nur, drehte sich um und ging zurück zu seinem kleinen Thron, dem Eingang seines Reiches in dem er alle Macht hatte. Die Tür ließ er dabei offen. Ich trat an sie heran und legte eine Hand auf den Griff um sie zu schließen. Der Alte war gerade am Ende der ersten Reihe Regale angekommen, welche die Lagerkammer vom Vordereingang trennten.
In dem Moment in dem meine Hand die Tür berührte, veränderte sich für mich die Welt. Mir wurde leicht schwindlig und es war als rückte mein Selbst tiefer in mein Bewusstsein und schwebte gleichzeitig leicht über mir als stände ich neben mir. Ein dunkler Blitz zuckte durch mein Blickfeld und meine Sicht färbte sich sonnenuntergangsrot, als wäre etwas außerhalb des Gebäudes explodiert und nun brannte es gerade außerhalb meiner schwammigen, entrückten Sicht.
Gleichzeitig sah ich ihn. Nur undeutlich, doch würde ich ihn sicherlich nicht verwechseln. Während der Alte langsam weiterging huschte die schwarze Gestalt gerade um eine Ecke. Lautlos bewegte er sich hinter den Alten. Dieser ging weiter als würde er nicht das Geringste bemerken, als würde er nicht ahnen, dass der pure grauenvolle Tod nur Stiftlängen hinter ihm stand. Dieser Tod hob langsam die Hand, der Dolch zielte auf des Alten Rücken. Würde er diese sehnerne Knochenplatte überhaupt durchdringen können?
„Nein!“
Wer war das? Wer hatte da geschrieen? Der Ruf brach den auf mir lastenden Bann. Ein zweiter Blitz klärte meine Sicht, mir wurde schlecht und schwindeliger denn je. Während ich zurücktaumelte und rücklings auf den Stuhl am Tisch plumpste, bemerkte ich noch, wie der Alte mich skeptisch musterte. Der Schwarze aber war verschwunden.
„Was meinen sie?“
Ich bemerkte, diese Frage kam von dem Bibliothekar, welcher plötzlich vor mir stand und mich ansah wie jemanden, der gerade verkündet hatte für nun an immer unter den Tieren leben zu wollen. Da ich aber geistig weiterhin gelähmt war entbehrte dieses Gespräch eines jeden Kommentars von mir.
„Ich kann hier niemanden gebrauchen der mir einfach zusammenklappt,“ begann der Alte eine seiner mir bekannten Tiraden. „Sie sind offensichtlich doch nicht in der Lage ihren Aufgaben nachzukommen. Also gehen sie jetzt nach Hause und kommen erst wieder zurück wenn sie meinen, es gehe ihnen wieder besser! Ihr Gehalt bekommen sie für ihre Fehlzeit natürlich nicht ausgezahlt!“
Er begleitet mich noch bis zum Ausgang, dort entließ er mich ohne jedes weitere Wort. Wie im Delirium ging ich heim und erinnerte mich später nicht mehr im Geringsten daran, welchen Weg ich nahm.
Zuhause legte ich mich für ein paar Stunden ins Bett.
Mein Frühstück hatte ich in der Bibliothek vergessen.
IV
Meine Erlebnisse des letzten Tages auf vollkommen arrogante Art ignorierend rückte die Zeit des großen Umzuges am Abend immer näher und ich war nicht im Mindesten geneigt diesen zu verpassen. Also verließ ich die beklemmende Enge meiner Wohnung am Nachmittag wieder um den Markt zu besuchen bevor alle Stände geschlossen hätten. Ich kaufte mir dort genug Nahrung zusammen um endlich meinen Hunger zu stillen und zusätzlich noch eine Maske und einen kunstvollen Umhang für den Abend, besuchte man den Umzug doch stets verkleidet. Weiterhin kaufte ich eine dieser langen weißen Kerzen, die auf ellbogenlangen Holzstangen steckten und die man später vor sich hertragen würde.
Die Verkäufer, übrigens seltsamerweise größtenteils Frauen, waren wie stets geradezu nervig freundlich und einige fragten mich sogar nach meinem Befinden, sah ich ihrer Meinung nach doch bleich und kränklich aus. Mir war aber nicht im Geringsten danach über meine Probleme mit diesen mir fremden Leuten zu plaudern.
Ich begab mich zur alten Hauptstraße, welche gerade für den Abend geschmückt wurde und beobachtete das Treiben der Leute. Alte Frauen waren gerade damit beschäftigt
[...]
© Andre Schuchardt
kaltric@gmx.net
präsentiert
Arbeitstitel: Der dunkle Begleiter
Arbeitstitel2: Warum
Arbeitstitel3: Der Schwarze [/u]
V.0.1
© Andre Schuchardt
kaltric@gmx.net
I
(1. Abend, wo ich noch guter Dinge war)
Der Mond war voll und blutrot gewesen und stand an diesem Abend hoch am nächtlichen Himmel. Ich kam gerade von der Feier eines Freundes und befand mich auf dem Heimweg. Wie immer nahm ich die Abkürzung, die mich durch verwinkelte Seitenstraßen und kleine Gassen am Stadtpark vorbei führen würde. Zwar war es mir bekannt, dass es immer wieder zu Überfällen, Morden und anderen Vorfällen kam, wenn sich jemand des Nächtens allein an diesen dunklen Orten aufhielt, doch war ich stets guter Dinge gewesen. Während der Feier hatte ich etwas zu stark dem Weine zugesprochen und so kam es, dass ich leicht torkelnd in die nur unzureichend von je einer Straßenlaterne an jedem Zugang beleuchtete Schmiedegasse einbog. Ich durchquerte sie und erreichte den freien Platz, der den Park umgab. Nichts ahnend begann ich fröhlich pfeifend von einem Pflasterstein zum nächsten zu hüpfen. Wie leichtsinnig ich doch noch war.
Plötzlich hörte ich mich beunruhigende Geräusche aus dem nahen dunklen Parkwald schallen. Ich hörte sofort auf mit allen Tätigkeiten, blieb starr stehen und lauschte.
Da! Schon wieder diese Geräusche, die ich als das Wimmern einer jungen Frau erkannte. Ich kämpfte gegen meine Angst an, selbst in irgendetwas hineingezogen zu werden, doch obsiegte letztlich die Neugier. Vorsichtig näherte ich mich den Bäumen. Als knackend ein kleiner Ast unter meinen Füßen blieb, blieb ich sofort starr stehen und presste mich an einen Baum. Die Geräusche kamen von einer Lichtung direkt vor mir, soviel vermochte ich selbst in meinen angeschlagenen Zustand festzustellen.
Langsam und ohne den Kontakt zu dem Baum, diesem einzigen Beistand den ich hier hatte, zu verlieren, drehte und reckte ich meinen Kopf so, dass ich einen Blick auf die Quelle der Laute werfen konnte. Bei dem was ich nun sah blieb mir fast das Herz stehen.
Düster und bedrohlich lag die Lichtung vor mir, die umstehenden Bäume streckten ihre verkrümmten Äste zur Mitte hin aus, als würden sie versuchen in die Geschehnisse, die ich dort beobachtete, einzugreifen. Kein weiteres Lebewesen außer mir und den beiden Hauptakteuren der Szene waren anwesend, alle Tiere schienen längst geflohen zu sein. Ein Fleck im Gras war schwarz und verkohlt als hätte man hier ein Lagerfeuer betrieben und Steine lagen darum verteilt.
Ein angesichts des Schauspiels völlig irrsinniger Gedanke kam mir. Letzten Monat erst hatte ich selbst noch gehört, wie man einen armen Landstreicher zu einer wahrlich harten Strafe verurteilte, da er in der stets verschmutzten Bäckerstraße ein offenes Lagerfeuer entzündet und laut Urteil die gesamte Stadt gefährdet hatte. Wusste diese so unschuldig aussehende Frau die da so nah bei mir durch das verkohlte Gras kroch nicht, dass offene Feuer hier in der Stadt verboten waren?
Sie wirkte, als wäre sie noch nicht lange dem Elternhause entwachsen. Das lange flachsblonde Harr hing ihr wirr um die Schultern. Bei jeder Bewegung die sie machte wurde es weiter durchs verbrannte Gras gezogen und färbte sich langsam schwarz. Ihr zierlicher Körper wurde von zerfetzten Kleidern eher notdürftig bedeckt und ängstlich drückte sie ihn an den Boden, schutzsuchend. Die eine Hand krallte sich ins lockere Erdreich, die andere hielt sie abwehrend vor das Gesicht. Gleichzeitig vergrub sie das mir zugewandte Gesicht im Arm. Man hörte nur ihr verzweifeltes Schluchzen, erfüllt von Furcht und Grauen. Auch mich erfüllten diese Gefühle als ich erkannte wovor sie so sitzend durch das Gras kriechend zu entfliehen versuchte.
Die Gestalt stand hocherhoben zwischen ihr und mir, so dass ich nur ihren Rücken sehen konnte, was wenig aufschlussreich doch umso fürchterlicher war. Sie war etwa so groß wie ich, auch wenn ich stets schlecht im Einschätzen war. Eine weit geschnittene nachtschwarze Kutte verhüllte ihre Umrisse. Ich vermochte nichts einzuschätzen. War es nun Mann oder Frau? Auch den Kopf bedeckte eine Kapuze, tief ins Gesicht gezogen, und die Hände verschwanden in den weiten Ärmeln der übergroßen Verkleidung. Stumm und bedrohlich stand sie da und wandte ihr Antlitz dem Mädchen zu.
Langsam hob sie ihren rechten Arm und erst da erkannte ich den Dolch in ihrer Hand. Ruhig und gelassen mit geradezu fürchterlicher Lautlosigkeit trat, nein, schwebte sie fast auf das Mädchen zu. Eine schwarzbehandschuhte linke Hand griff in die halb ruß gefärbte Mähne des Mädchens und zog ihren Kopf daran hoch. Sie verzog schmerzerfüllt das Gesicht, die Augen vor Pein zugekniffen. Mir fröstelte es, dabei war dieser Herbsttag vergleichsweise warm. Ich wollte ihr helfen doch war ich wie gelähmt, stand nur da und musste zusehen. Ich sah wie die Gestalt sich runterbeugte bis der Rand der Kapuze fast das Gesicht des Mädchens berührte als wolle sie ihr in die Augen sehen. Diese weiteten sich schreckenerfüllten als der Dolch sich ihrem Hals näherte. Ein letztes Mal versuchte ich meine Starre zu lösen während der Schwarzgewandete die Dolchspitze ansetzte.
Das Mädchen wirkte wie ein Kaninchen, welches das unvermeidliche sich nähern sah. Sie schrie nicht einmal, obwohl ich mir das wünschte, vielleicht wären dann vorbeikommende Passanten alarmiert worden sie zu retten. So aber musste ich allein alles mitverfolgen als einziger Zeuge, wie der Dolch die zarte Haut riss, wie der Schwarze sein blutiges Handwerk tat ohne sich zu beschmutzen, wie das Leben aus dem armen Mädchen wich, wie ein Augenblick vor dem letzten Moment ihr Blick den meinigen traf und sie mich traurig anschaute eh ihre Augen sich trübten und der Schwarze sie losließ. Leblos fiel sie zurück.
Ihr Mörder wischte das Blut von der Klinge an ihrem Kleid ab und richtete sich wieder auf. Dann drehte er sich um. Ich weiß nicht ob er mich sah oder nicht, ich erkannte jedenfalls nicht mehr als von hinten.
Endlich konnte ich mich wieder bewegen und zog mich hinter den Baum zurück. Als ich eine Zeitlang nichts hörte nahm ich mich zusammen und warf einen Blick zurück auf die Lichtung. Die Gestalt war verschwunden, die Tote lag noch da. Mir wurde schwarz vor Augen als mich die angestaute Angst überwältigte.
Als ich erwachte lag ich in meinem Bett.
II
(Der nächste Tag, Gedanken und nichts sollte sein wie es war)
Es war Morgen als ich erwachte. Die Sonne schien durch das einzige kleine Fenster meiner Wohnung direkt in mein Gesicht und weckte mich. Blinzelnd lag ich da und verfolgte eine Zeitlang die Zeichnungen der Maserungen in der Holzdecke. Nur langsam begann ich zu realisieren wo ich mich befand und was geschehen war.
Ich lag in meinem eigenen Bett in meiner eigenen Wohnung. Doch wie war ich hierher gekommen? Ich erinnerte mich noch perfekt an den vergangenen Abend, zumindest seinem grausamen Höhepunkt – wie könnte ich dies vergessen? – doch nur bis zu dem Punkt meiner Ohnmacht. Es verschloss sich mir völlig wie ich heim gekommen war. Warum fand man nicht nah bei der Toten liegend, brachte man mich nicht auf die Wache um mich zu befragen oder gar als Schuldigen zu verurteilen?
Ich drängte die Gedanken an meine sonderbare Heimkehr für den Moment zurück und ließ erst mal die Ereignisse Revue passieren, wieder und wieder, bis ich letztlich selbst vor dem kleinsten Schatten in meiner schlecht ausgeleuchteten Wohnung aus lauter Angst und Panik fliehen mochte, mich fragte ob ich an diesen Abend zum großen Umzug gehen, und vor allem, ob ich den Vorfall melden sollte. Letztlich entschied ich mich dagegen, man würde höchstvermutlich nur mich als Täter bezeichnen, niemals konnte man sicher sein, ob man an korrupte Beamte geriet oder an ehrliche, dass hatte ich oft genug gehört, hatte ich selbst mir doch noch nie etwas zuschulde kommen lassen.
An meine Familie konnte ich mich sicher nicht wenden, diese lebte immer noch in dem kleinen Landsitz draußen in der Provinz wo ich geboren war. Ich zog vor drei Jahren hierher in die Stadt, ganz allein und einsam. Zwar stammte ich aus behüteten Verhältnissen, doch sagte mein Vater immer, egal ob man später nun ein ruhiges Leben erwarten durfte, sollte man vorher immer erst etwas Anständiges lernen, wie er es ausdrückte. Außerdem würde mein älterer Bruder später sämtlichen Landbesitz erben, mir fiele nur ein kleinerer Teil des Vermögens zu. So lernte ich nun das zweifelhafte „Handwerk“ eines Gehilfen in der kleinen Stadtbibliothek, eine äußerst öde Tätigkeit, doch hatte ich relativ viel Freizeit in der ich mein mickriges Gehalt samt der geringen Unterstützung die mir meine Eltern zukommen ließen verprassen konnte um ein paar Freunde zu gewinnen und mit ihnen mir die Langeweile zu vertreiben.
Irgendwann kam es dazu, dass ich dies alles so nicht mehr aushielt. Ich schrieb meinen Eltern und bat sie, nein, flehte sie an mich wieder heimkehren zu lassen, mir dieses unwürdige Exil abzunehmen. Doch mein Vater blieb hart, von meiner Mutter hatte ich eh keine Unterstützung zu erwarten. Ich versuchte meine schon immer auf sie angestaute Wut zu unterdrücken und lenkte mich ab. Während meiner Arbeit las ich bevorzugt die Bücher statt meinen Aufgaben nachzugehen, was mir mehr als einmal eine Rüge einbrachte. Abends und oft auch nachts trieb ich mich in der Stadt umher, von einem aufregenden Erlebnis zum nächsten. Ich bekam zuwenig Schlaf und war nun in der Bibliothek zusätzlich noch stets schläfrig und energielos und wurde einmal gar dabei ertappt wie ich beim Abstauben einiger Enzyklopädien eingeschlafen war.
Doch war mir mein zweites, mein nächtliches Leben wichtiger. Ich wurde unter meinesgleichen in dieser kleinen engen Stadt bekannt doch niemand stand mir wirklich nah, niemand war da mit dem man wirklich reden konnte – bis zu einer Person, doch dazu komme ich später.
Dies hier soll mein Reuebekenntnis sein, vielleicht hätte ich alles verhindern können. Vielleicht.
Ich kannte das Mädchen nicht, welches da gestern Abend so plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, dabei dachte ich, ich würde alle Nachtkreaturen dieses Ortes kennen, so groß war er ja nicht. Aber sie kam mir bekannt vor, obwohl sie hier neu sein musste. Vielleicht war sie mir ja schon einmal zufällig über den Weg gelaufen, oder sie sah nur jemanden ähnlich, den ich kannte.
Ich ließ diese Überlegungen, vermutlich war ich nur zufällig da hineingeraten und so etwas würde mir nie wieder passieren. Doch hatte ich das ungute Gefühl, dem Schwarzgewandeten nicht zum letzten Mal begegnet zu sein. Wie Recht ich doch hatte.
Ich raffte mich nun endlich auf und setzte mich auf die Bettkante. Mein Rücken schmerzte sonderbarerweise und tastend erfühlte ich ihn. Einen blauen Fleck neben dem anderen fand ich. Ich fragte mich zwar wie ich zu ihnen kam, schrieb dies aber meinem Sturz zu.
Etwas, über das ich mich noch wundern durfte war, dass ich mich fast völlig entkleidet in meinem Bett befunden hatte. Scheinbar war ich bei meiner Heimkehr am gestrigen Abend noch genug bei Sinnen gewesen um mich nicht bekleidet ins Bett zu legen.
Ich stand auf und ging in meine Waschecke mit ihrer blanken Steinwand und blickte in den schmutz starrenden Spiegel, einzige Verzierung der Wand. Fast sofort schreckte ich zurück vor dem was ich sah. Mein Gesicht war völlig zerschrammt, getrocknetes Blut klebte überall. Vorsichtig tastete ich es ab und als ich keinen Schmerz spürte wusch ich es. Mit dem einzigen Handtuch welches ich besaß trocknete ich mich ab und wagte einen erneuten Blick. Die Blutreste waren verschwunden, die Kratzer schienen nicht so schlimm zu sein wie befürchtet. Merkwürdige Blicke und Fragen durfte ich trotzdem erwarten.
Ich wusch mich weiter, zog mich an und wollte frühstücken. Da ich aber nichts Essbares fand bereitete ich mir lediglich einen Tee zu. Während das Wasser kochte ging ich kurz auf die Straße um Neuigkeiten zu lauschen. Ich wohnte nah am Markt, so durfte ich eigentlich ständig Menschen erwarten denen man nur zuhören brauchte um den neuesten Klatsch zu erfahren. Natürlich lauschte ich besonders ob jemand etwas von einem toten Mädchen zu berichten wusste, zu meinem Erstaunen drehten sich die interessantesten Themen aber nur um die aktuelle Steuerpolitik.
Gedankenvoll ging ich zurück ins Haus.
Hatte man sie denn noch nicht gefunden? Wie konnte das sein? Solcherlei Nachrichten verbreiteten sich eigentlich stets wie ein Lauffeuer. In dem Park konnte man sie eigentlich gar nicht übersehen, ständig lustwandelten irgendwelche Leute dort herum und kamen selbst an die merkwürdigsten Orte.
Hatte ich mir nur alles eingebildet? Ich sah in den Spiegel um mir selbst in die Augen sehen zu können, um zu erkennen ob ich vielleicht nicht mehr ganz gesund war. Bei meinem Lebensstil, so sagten meine Freunde, würde dies eh früher oder später passieren.
Ich erkannte nichts in meinen blauen Augen und versuchte stattdessen mein Äußeres zu ordnen. Da erkannte ich sie in den Schatten hinter meiner Schulter, die schwarz gewandete Gestalt griff aus dem Dunkel nach mir. Erstarrt sah ich zu, sah, wie ihr behandschuhter Griff nach mir schnappte.
Der Teekessel pfiff und die Erstarrung war gelöst, ich wirbelte herum. Die Schatten waren noch da aber kein Mörder näherte sich mir, ich war allein in dieser meiner Wohnung.
Mit den Nerven nun endgültig am Ende vergaß ich den Tee zu trinken, schnappte mir stattdessen schnell meinen Mantel und floh aus dem Haus, floh vor der Angst, dass da doch etwas war.
Vielleicht würde mich ja meine Arbeit ablenken.
Aber dem würde nicht so sein.
III
(Ein Versuch mich abzulenken und weitere Vorfälle)
Ich ging durch die geschäftiger werdenden Straßen der Stadt, mich von allen dunkleren und einsamen Plätzen fernhaltend. Mein Frühstück verlegte ich in die Bibliothek indem ich mir unterwegs etwas Brot und ein Stück Käse kaufte. Zwar wurde das Essen am Arbeitsplatz nicht geduldet doch scherte ich mich einen Dreck darum, die Arbeit war mir eigentlich eh egal, ich befürchtete nur auf dem Trockenen zu sitzen, sollte ich sie verlieren und mein Vater sich weigern mir zu helfen. Aber das konnte er eigentlich nicht tun, solange ich die Arbeit nicht eigenwillig kündigte oder aufgrund von nachweisbar unkonstruktiven Verhalten verlor.
Auf meinem Wege kam ich auch am Park vorbei. Es war mir als würde sich plötzlich die Zeit verlangsamen und der Himmel verdunkeln. Die Bäume des Parks warfen kranke Schatten auf das Pflaster, das Gras erschien mir rottend und unrein, dabei war ich noch gar nicht bei dem einen Hain vorbeigekommen.
Ich fragte mich ob sie wohl noch immer dort läge, eine gewisse Neugier drängte mich. Viel quälender war jedoch die Angst dort nichts zu finden, dass alles nur eine Täuschung und gar nicht passiert war. Obwohl ich das nicht glaubte, es war viel zu realistisch in mein Hirn gebrannt.
Langsam kam der Hain in Sicht und in meiner Vorstellung wuchs er ins Unendliche, nahm mein ganzes Blickfeld ein und ließ mir übel werden. Ich konnte keinen Schritt mehr weiter gehen und musste mich auf eine Bank setzen um nicht schwindelnd umzufallen. Ich versuchte mich zu sammeln und warf einen vorsichtigen Blick zurück zu den Bäumen. Sah ich da nicht ein Stück schwarzen Stoffes zwischen den Stämmen? Zitternd schloss ich die Augen. Da mir fast sofort schwindlig wurde öffnete ich sie wieder. Der Schein schwarzen Stoffes war verschwunden. Ich konnte einfach nicht an dieser Stelle vorbei gehen sondern entschloss mich einen Umweg zu gehen. Der würde mich zwar gute zehn Minuten mehr kosten und ich käme zu spät zur Arbeit, aber ich konnte einfach nicht anders.
Bei der Bibliothek erwartete mich bereits der Bibliothekar und sah mich mit gestrengem Blicke an. Die kleinen harten Augen starrten unter dem schlecht geschnittenen schwarzen Haaren hervor. Das faltenreiche Gesicht guckte über das Pult des Empfangstisches hervor. Die eine knöcherne Hand rückte gerade die eiserne Brille mit den runden Gläsern zurecht, während ich die zweite nicht sehen konnte, da die Vorderwand des Pultes sie verdeckte. Aus Erfahrung konnte ich mir aber hundertprozentig sicher sein, dass sie gerade verärgert einen mit einem Stift auf die blanke Holzplatte des Tisches klopfte. Wenn ich mich anstrengte vermochte ich ein leises Klopf-Klopf zu hören.
„Sie sind zu spät,“ knarrte der alte Geier.
Mehr war nicht zu erwarten. Keine Nennung meines Namens, keine ausführliche Vorhaltung meiner Missetaten, war doch schon alles in diesen paar Wörtern enthalten. Seine Stimme troff fast vor Verachtung, die tranigen Augen sahen halb durch mich durch.
„Tut mir leid, ich mache mich sofort an die Arbeit,“ versuchte ich mich wie jedes Mal nur halbherzig herauszureden.
Seinen Blick ignorierend und noch leicht zitternd von den Vorfällen vor ein paar Minuten hing ich meinen Mantel auf und ging in die Hinterräume der Bibliothek, wo ich als letztes Bücher sortiert und kartiert hatte und dieses noch fortsetzen musste. Auf dem ganzen Weg spürte ich den bohrenden Blick des Bibliothekars in meinem Rücken. Wie sehr ich diesen verknöcherten Hund doch hasste. Aber nein, keine Gefühle an ihn verschwenden, sagte ich mir und versuchte es zu vergessen.
Statt zu arbeiten packte ich lieber die mitgebrachten Sachen aus, setzte mich an einen kleinen Tisch in einem der Lagerräume und versuchte nun endlich etwas zu essen. Ich kam aber nicht weit, bis ich plötzlich draußen über den Holzboden sich klackend nähernde Schritte hörte. Aufschreckend packte ich mein Mahl wieder zusammen und ließ es in einer Schublade des Tisches verschwinden. Dann eilte ich an die Regale und tat so als würde ich arbeiten. Vor allem musste ich erst einmal die störenden Staubschichten entfernen.
Als der Bibliothekar eintrat überraschte er mich völlig mit seiner Frage.
„Geht es ihnen nicht gut?“
Dabei ließ er seine eng zusammengekniffenen Augen die Umgebung erforschen.
„Was... wieso fragen sie?“ stotterte ich, hatte er sich doch noch so gut wie nie für mein Leben interessiert. Ich war es gewöhnt, dass unsere Beziehung auf schlichter Verachtung basierte.
„Sie sehen nicht gut aus. Meinen sie, sie schaffen das heute?“
Damit warf er einen deutlichen Blick auf das Regal hinter mir.
„Ja, danke, ich werde mich schon zusammenreißen,“ sprach ich und fühlte mich wie das Vieh auf der Schlachtbank.
Der Alte nickte nur, drehte sich um und ging zurück zu seinem kleinen Thron, dem Eingang seines Reiches in dem er alle Macht hatte. Die Tür ließ er dabei offen. Ich trat an sie heran und legte eine Hand auf den Griff um sie zu schließen. Der Alte war gerade am Ende der ersten Reihe Regale angekommen, welche die Lagerkammer vom Vordereingang trennten.
In dem Moment in dem meine Hand die Tür berührte, veränderte sich für mich die Welt. Mir wurde leicht schwindlig und es war als rückte mein Selbst tiefer in mein Bewusstsein und schwebte gleichzeitig leicht über mir als stände ich neben mir. Ein dunkler Blitz zuckte durch mein Blickfeld und meine Sicht färbte sich sonnenuntergangsrot, als wäre etwas außerhalb des Gebäudes explodiert und nun brannte es gerade außerhalb meiner schwammigen, entrückten Sicht.
Gleichzeitig sah ich ihn. Nur undeutlich, doch würde ich ihn sicherlich nicht verwechseln. Während der Alte langsam weiterging huschte die schwarze Gestalt gerade um eine Ecke. Lautlos bewegte er sich hinter den Alten. Dieser ging weiter als würde er nicht das Geringste bemerken, als würde er nicht ahnen, dass der pure grauenvolle Tod nur Stiftlängen hinter ihm stand. Dieser Tod hob langsam die Hand, der Dolch zielte auf des Alten Rücken. Würde er diese sehnerne Knochenplatte überhaupt durchdringen können?
„Nein!“
Wer war das? Wer hatte da geschrieen? Der Ruf brach den auf mir lastenden Bann. Ein zweiter Blitz klärte meine Sicht, mir wurde schlecht und schwindeliger denn je. Während ich zurücktaumelte und rücklings auf den Stuhl am Tisch plumpste, bemerkte ich noch, wie der Alte mich skeptisch musterte. Der Schwarze aber war verschwunden.
„Was meinen sie?“
Ich bemerkte, diese Frage kam von dem Bibliothekar, welcher plötzlich vor mir stand und mich ansah wie jemanden, der gerade verkündet hatte für nun an immer unter den Tieren leben zu wollen. Da ich aber geistig weiterhin gelähmt war entbehrte dieses Gespräch eines jeden Kommentars von mir.
„Ich kann hier niemanden gebrauchen der mir einfach zusammenklappt,“ begann der Alte eine seiner mir bekannten Tiraden. „Sie sind offensichtlich doch nicht in der Lage ihren Aufgaben nachzukommen. Also gehen sie jetzt nach Hause und kommen erst wieder zurück wenn sie meinen, es gehe ihnen wieder besser! Ihr Gehalt bekommen sie für ihre Fehlzeit natürlich nicht ausgezahlt!“
Er begleitet mich noch bis zum Ausgang, dort entließ er mich ohne jedes weitere Wort. Wie im Delirium ging ich heim und erinnerte mich später nicht mehr im Geringsten daran, welchen Weg ich nahm.
Zuhause legte ich mich für ein paar Stunden ins Bett.
Mein Frühstück hatte ich in der Bibliothek vergessen.
IV
Meine Erlebnisse des letzten Tages auf vollkommen arrogante Art ignorierend rückte die Zeit des großen Umzuges am Abend immer näher und ich war nicht im Mindesten geneigt diesen zu verpassen. Also verließ ich die beklemmende Enge meiner Wohnung am Nachmittag wieder um den Markt zu besuchen bevor alle Stände geschlossen hätten. Ich kaufte mir dort genug Nahrung zusammen um endlich meinen Hunger zu stillen und zusätzlich noch eine Maske und einen kunstvollen Umhang für den Abend, besuchte man den Umzug doch stets verkleidet. Weiterhin kaufte ich eine dieser langen weißen Kerzen, die auf ellbogenlangen Holzstangen steckten und die man später vor sich hertragen würde.
Die Verkäufer, übrigens seltsamerweise größtenteils Frauen, waren wie stets geradezu nervig freundlich und einige fragten mich sogar nach meinem Befinden, sah ich ihrer Meinung nach doch bleich und kränklich aus. Mir war aber nicht im Geringsten danach über meine Probleme mit diesen mir fremden Leuten zu plaudern.
Ich begab mich zur alten Hauptstraße, welche gerade für den Abend geschmückt wurde und beobachtete das Treiben der Leute. Alte Frauen waren gerade damit beschäftigt
[...]
© Andre Schuchardt
kaltric@gmx.net
Anmerkung von kaltric:
Dies ist erst der Anfang...