In der Stille eines Alptraums

Kurzgeschichte zum Thema Horror

von  RainerMScholz

In der Stille eines Alptraums

Allein sitze ich in der Dunkelheit und der Stille in
dem Zimmer zur Straße und warte und sehe auf das blaue Licht der Neonlaternen, die den regennassen Asphalt schimmernd schwarz erhellen. Ich warte auf die Tiere, die unweigerlich kommen werden. Neulich Nacht haben sie mich fast gekriegt, als ich einen Moment nicht aufgepasst hatte. Ich war wohl kurz eingenickt - und dann waren sie da. Überall. Auf dem Tisch, an den Fensterscheiben, an der Decke, auf der Lampe in der Zimmernische, unter dem Sessel und den Stühlen, – schier überall. Sie starrten mich an wie tolle Kinder. Brennende Augäpfel, gierige Napfaugen, schwarzspiegelnde Facettenaugen, Rattenknopfaugen die mich hungrig anstarren, gierig, lüstern, mordheischend starren, und nur darauf warten, daß ich eine falsche Bewegung mache, lauern, auf ein Keuchen oder ein vorsichtiges Husten, eine fahrige Bewegung zum Gesicht, eine Fluchtbewegung gar. Nicht bewegen. Ich darf mich nicht bewegen, nicht die leiseste Spur eines Fingerzeigs, nicht einen Hauch des Nachlassens konzentriertester Aufmerksamkeit.
Seit geraumer Zeit schon habe ich das Haus nicht mehr verlassen. Wochen oder Monate schon nicht mehr. Ich weiß es nicht mehr so genau. Kaum daß ich das Zimmer verlasse, in dem es ständig dunkel ist, da die Fenster verrammelt sind mittlerweile. Auch die Türen habe ich mit Brettern vernagelt, damit ich hören kann, wenn sie versuchen sollten, hier einzudringen. Ich warte. Ich lauere auf diese verdammten Monstrositäten, auf diese Mollusken und Arachnoiden. Heute müssen sie kommen, sonst werde ich die Nacht nicht überstehen.
Ich habe vorhin unvorsichtigerweise in den Spiegel geschaut. Ja, ich glaube es war wirklich mein Spiegelbild. Ein kaum zu ertragender Anblick: Grau und schütter gewordenes Haar, eingefallene Wangen, Augen, die tief in die Höhlen hineingeschraubt sind - Hunger spricht aus diesem Totengesicht. Hunger nach Licht, und Leben eigentlich. Gierig. Wölfisch. Ich hab's besser wieder verdrängt. Vergessen.
Heute müssen sie zurückkehren, diese Tiere. Diese Tiere. Alles liegt bereit. Mit einem Sprung werde ich den Lichtschalter erwischen können und dann - dann bringe ich sie alle um! Ich werde sie alle ausradieren. Niemals gebe ich auf, ihr Drecksvieh. Ihr Vieh! Ich lege euch alle um. Ich bin bereit, ja, bereit, euch alle hochgehen zu lassen. Mich macht ihr nicht fertig.
Hoffentlich funktioniert das Licht noch, wenn es darauf ankommt. Mein Gott, wenn das Licht nicht angeht!? Steifbeinig stehe ich auf und knipse die Lampe an, und aus und wieder an. Licht an, Licht aus. Und so fort.
Nein, ich darf nicht einschlafen. Was war das? Da war ein Geräusch. Ich habe es genau gehört. Jetzt ist es soweit. Jetzt kommt es `drauf an!
Es wiederholt sich nicht. Das Scharren, oder was auch immer es war. Das Geräusch wiederholt sich nicht. Vielleicht ist es eine Falle? Vielleicht habe ich mich getäuscht? Im Dunkeln kann man sich ja alles Mögliche einbilden, ha, ha.
Was?!? Nein, ich hab´ nicht geschlafen. Ist es soweit? Wie lange sitze ich nun bereits hier? Nein, ich kann das Licht jetzt nicht einschalten. Ich darf nicht. Ich kann nicht.
Ich rieche sie. Da sind die kleinen Biester. Aus jeder Ritze, aus jedem Loch in der Wand kriechen und krabbeln sie auf mich zu, um mich aufzufressen, einzuspinnen und auszusaugen. Jetzt wird es gleich losgehen! Wo ist die Knarre! Licht an! Los! Feuer! Feuer! Feuer!
Ja, ihr kleinen Bastarde, ihr Schweinepriester. Oh Gott, überall weiße rotäugige Mäuse! Da kriechen schmierige Schlangen, sich windend die Wände hindurch. Dort seilen sich riesige, giftige Spinnen von der Decke, die Hauer ihrer geifernden Mäuler glänzend von ätzendem Mageninhalt. Nachladen - Feuer! Und Feuer! Ich liebe eure zerfetzten Körper. Die Detonationen, die die Stille zerreißen - endlich! Und da! Ich mache euch fertig.
Sie sind überall. Die ersten krabbeln auf mir herum, klettern meine Beine empor. Die Munition geht aus. Herrgott, laß das nicht geschehen. Das ist das Ende. Spinnweben hüllen mich ein von Kopf bis Fuß. Es frisst und saugt und beißt und kratzt. Das ist die Hölle - die blutige Hölle öffnet sich und offenbart ihre häßliche Fratze.
Ja, ich weiß. Sie werden meinen Leichnam erst nach Wochen finden, wenn es schon ziemlich mulmig-süßlich verwest riecht. Die Wohnung wird in einem verheerenden Zustand sein. Niemand wird mich gekannt und niemand mich vermißt haben. Die Nachbarn werden sich wundern, die Zeitungen irgendwo auf der letzten Seite ihr Verwundern, vielleicht geheucheltes Bedauern zum Ausdruck zu bringen versuchen. Und ich werde irgendwo verscharrt werden, namenlos und vergessen. Es werden sich gar keine Tierkadaver in irgendeiner Form in der  Wohnung befunden haben werden, vielleicht abgesehen von ein paar verhungerten Kakerlaken und Silberfischchen im Bad. Ich werde auch keine Flinte in der Faust halten und keinen Revolver. In der Decke sind keine Löcher, und auch sonst werden keine Einschüsse zu entdecken sein. Keine Patronen-hülsen, kein heroischer Kampf mit den Ausgeburten der Hölle oder was auch immer. Nur ich selbst werde den Alptraum gekannt haben. Ich selbst war der Alptraum. Und ich werde grau und kalt und tot sein.




© Rainer M. Scholz

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