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Kurzgeschichte zum Thema Verlassenheit

von  RainerMScholz

Anette rief im Sekretariat an, um Sandra den Entschluss zur vorläufigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mitzuteilen. Sie sei krank, es gehe ihr nicht gut. Nein, Sandra müsse nicht vorbeikommen, um sie zu pflegen. Es ist nur - eine Grippe, ein Unwohlsein. Das Büro mache sie krank, die Luft und das Zwischen-Tür-und-Angel und so weiter. Es ist einfach so. Sie kann nicht mehr weitermachen. Es tue ihr sehr leid. Sie fahre nächste Woche ihre Schwester besuchen und dann sehe man schon. Sie werde ihr schreiben. Einen Brief. Oder zwei. Auf Wiedersehen...sehr leid...auf Wiedersehen.
Sandra legte verstört den Hörer auf und blickte verständnislos auf den Stapel Akten, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Was war denn nur geschehen? Sie kaute auf dem hölzernen Ende des Bleistifts. Was war denn nur los? Durch eine hektische Handbewegung ergoss sich der lauwarme Kaffee aus der Tasse über die Unterlagen, die vor ihr ausgebreitet lagen und Sandra sprang hektisch von ihrem Stuhl auf, um einen Lappen aus der Spüle zu holen.

Anette hatte unmittelbar nach dem Telefonat mit Sandra das Kabel aus der Wand gerissen und saß zusammengekauert am Boden, die zitternden Hände vor dem Gesicht. Ihr Adressbuch lag auf der aufgeschlitzten Couch, zwischen all dem anderen verwüsteten Mobiliar. Ihr nackter Körper war übersät mit Blutergüssen und geronnenem Blut, das von den Schnitten an Armen und Beinen stammte, und anderen Stellen. Ihr Mund klaffte schwarz wie zum Schrei, ein tränenloser Weinkrampf schüttelte sie, als die Erinnerung wiederkehrte. Mühsam zog sie sich an der Fensterbank hoch, als ihre Beine einknickten. Sie ging ins Schlafzimmer. Anette würde jetzt ihre Sachen packen. Sie wusste wie er heißt, kannte nun seinen Namen. Es tat sehr weh, tief innen, in ihr.

Um nie zurückzukehren.

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