Nur für Isolde

Brief zum Thema Tod

von  Momo

Vor einer Woche erfuhr ich, dass du nicht mehr lebst.

Das war irgendwie bestürzend. Ich hatte dich immer gerne gemocht, wir nannten dich alle Isi. Du warst keine Außenseiterin, aber du warst anders. Du warst nicht so, wie die anderen.
Schon von deiner äußeren Gestalt her wirktest du merkwürdig unproportioniert in der Größe deines Körpers. Ich glaube, das war dir auch bewusst, denn einmal sagtest du zu mir, dass bei mir wohl der Goldene Schnitt zum Einsatz gekommen wäre, der das Ganze in bestimmten Proportionen zueinander aufteilt. Wir waren damals Floristikumschülerinnen und aus diesem Grund mussten wir uns auch mit dieser Proportionslehre beschäftigen. Irgendwie schienen deine Teile nicht so recht zusammenzupassen und du gingst (vielleicht hatte es damit zu tun) immer ein wenig schlurfend und mit leicht hängenden Schultern. Dabei hattest du ein humorvolles Wesen und wenn du lachtest, kam die Fröhlichkeit aus deinem Bauch heraus, während dein Lachen aus deinem Mund kullerte. Nie habe ich dich opportun oder hinter vorgehaltener Hand über andere reden sehen. Du warst eine ehrliche Haut und darum hatte ich dich gerne.

Als unsere Ausbildung sich dem Ende zuneigte, schenktest du mir eine handgefertigte Mappe mit selbst gemalten Bildern und handgeschriebenen Texten, „Der Seelenvogel“ hattest du deine Geschichte genannt. Ich fühlte mich geehrt und nahm sie erfreut und verwundert in Empfang.

Vor einem Jahr traf ich dich noch einmal in der Stadt, es regnete und wir waren beide fast bis zur Unkenntlichkeit in Regenklamotten verpackt. Du hattest keine Arbeit gefunden, dafür aber neu geheiratet. Es ging dir gut.

Jetzt bist du tot. Das ist schon komisch, wähnen wir uns doch unsterblich – meistens, und nur manchmal wird uns bewusst, dass wir alle sterblich sind und in 100 Jahren von niemandem mehr etwas zu finden sein wird. Ja, das Leben hier auf der Erde ist endlich, meins auch, und das wurde mir vor einer Woche wieder sehr bewusst.

Aber so sehr ich mich auch bemühe, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du tot bist. Für mich bist du immer noch lebendig – und vielleicht bist du das ja auch.


Anmerkung von Momo:

Ich war dir noch etwas schuldig.

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Kommentare zu diesem Text

Lena (58)
(28.06.08)
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 Momo meinte dazu am 28.06.08:
Danke, liebe Lena, für deinen Kommentar.
Aber ich glaube, es ist unmöglich, sich dessen immer wirklich bewußt zu sein, ist wohl eher ein bißchen versteckter abgelegt ;)

Ich wünsche dir auch ein schönes Wochende.
L.G.
Momo
mbkreativ (61)
(28.06.08)
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 Momo antwortete darauf am 28.06.08:
Ja, ich glaube auch. Ich hatte eigentlich gar nicht vor, den letzten Absatz noch zu schreiben, aber irgend etwas schien noch zu fehlen.
Und so schrieb ich auch das noch, ich denke, es wird schon seine Gründe haben.
Herzliche Grüße
und auch dir ein schönes Wochenende, Moni
Momo
LudwigJanssen (54)
(28.06.08)
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 Momo schrieb daraufhin am 28.06.08:
Ja, hür. Der Titel scheint ein Widerspruch in sich zu sein, da ich ja diesen Brief veröffentliche und dazu dann ja wohl auch ein Bedürfnis hatte, auch wenn er deiner Meinung nach für andere Leser bzw. für die Öffentlichkeit von keinerlei literarischem Wert sein dürfte. Das ist deine Meinung.
Ich habe das vielleicht ein bißchen anders gesehen.
Auch war meiner Titelwahl nicht implitzit, dass an diesem Text nicht gerüttelt werden dürfe, hätte ich ihn dann veröffentlicht? Vielleicht wollte ich mit ihm die vorhandene Freundschaft und Nähe ausdrücken, die mich mit ihr verband.
Was willst du mit deinem letzten Satz des vorletzten Absatzes sagen?
Er verwirrt mich. Kannst du dich da vielleicht ein bißchen deutlicher ausdrücken?
... nicht nur für Isolde. :)
L.G.
Momo
LudwigJanssen (54) äußerte darauf am 28.06.08:
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 Momo ergänzte dazu am 29.06.08:
Zunächst einmal kann ich mir mittlerweile ziemlich sicher sein, dass ich auf das, was an mich herangetragen wird, angemessen reagiere. Wenn du also das Gefühl hast, dass ich dich permanent missverstehe, solltest du dich einmal fragen, woran das liegt.
Es ist schwierig, den Begriff Literatur so einzugrenzen, dass man ihn genau definieren kann. Du schreibst, der *nicht literarische, sondern eher zwischenmenschliche Qualitäten hat*. Wo ist da die Grenze zu ziehen. Hat Literatur nicht auch zwischenmenschliche Qualitäten? Früher war sie nur auf Wissenschaftlichkeit begrenzt, ja, aber heute? Heute werden doch schon Bücher zu Bestsellern, die sich ausschließlich mit den eher niedrigeren Funktionen des menschlichen Körpers beschäftigen. Ist das dann keine Literatur?
Ich denke, es gibt Literatur, die ausschließlichen Unterhaltungswert hat und Literatur, die Botschaften rüberbringen will. Welche Form dabei verwandt wird, sollte dem jeweiligen Autor überlassen bleiben. Es gibt Briefe, die sind ausschließlich privater Natur und solche, die privat zu sein scheinen, aber veröffentlicht werden. Wenn sie das werden, kann man wohl davon ausgehen, dass sie auch Anderen etwas vermitteln möchten.
Das hast du offensichtlich nicht gesehen, weil du schreibst *Ich lese auch nicht, dass irgendwas anderes nur für Isolde sein sollte als dieser Text selbst.*
Ich wollte mit ihm tatsächlich nur zum Ausdruck bringen, dass das menschliche Leben endlich und zerbrechlich ist und dass die Welt jederzeit ein anderes Gesicht bekommen kann, wenn etwas nicht mehr da ist, dass uns doch so selbstverständlich war. Und nicht zuletzt auch, dass ich unaufrichtige, intrigante Menschen nicht schätze.

Was mich verwirrte, ist jetzt klar geworden. Du interpretierst in meinem Brief etwas rein, was gar nicht da ist. Ich wollte mit dem Goldenen Schnitt nicht mehr und nicht weniger aussagen als das, auf was er verweist, nämlich, dass das Ganze in einem ganz bestimmten Proportionsverhältnis zueinander aufgeteilt ist und manche Menschen offenbar darunter leiden, wenn dieses Verhältnis bei ihnen nicht stimmt.
Ich glaube nicht, dass man das GANZE menschliche Leben an diesem Proportionsverhältnis messen kann – oder vielleicht doch? Ich weiß es nicht.

Danke für deinen Tipp über die Zitierfunktion. Ich hab’s wirklich nicht gewusst, aber ich bin ja auch noch ein ziemlicher Frischling. Das nächste Mal werde ich sie benutzen.

Liebe Grüße
Momo
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 29.06.08:
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Angelika Dirksen (62)
(28.06.08)
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 Momo meinte dazu am 28.06.08:
Ja, Angelika, ich denke auch, dass mit dem Tod nicht alles endet, aber dennoch bin ich betroffen, wenn ein relativ junger Mensch, den ich gut kannte, plötzlich nicht mehr da ist, also für mich nicht mehr erreichbar.

Wie ja auch aus meiner Anmerkung hervorgeht, war ich ihr noch etwas schuldig. Ich habe und hatte aber nicht das Gefühl, damals etwas versäumt zu haben, ich denke, es war o.k. so und sie wußte, dass ich ihr Geschenk gewürdigt habe.
L.G.
Momo
Herzwärmegefühl (53)
(28.06.08)
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 Momo meinte dazu am 28.06.08:
Diese Anmahnung oder Botschaft war auch von mir so gedacht, denn ich denke, viele Menschen setzen ganz selbstverständlich voraus, dass es immer ein Morgen gibt. Das wollte ich auch mit diesem Brief in Frage stellen.
Danke für's Lesen und kommentieren, Moni
Liebe Grüße
Momo
MarieM (55)
(01.07.08)
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 Momo meinte dazu am 02.07.08:
Danke, Marie, für's Vorbeischauen und Lesen.
Es ist ein leiser Text, ja, leise wie der Tod, der ja eigentlich auch schon immer da ist, aber sich nur hin und wieder einmal zeigt.

Manchmal reicht es ja auch schon, wenn wir etwas nur intuitiv verstehen, man muss nicht alles ins klare Bewußtsein heben - nicht alles, denke ich.
Liebe Grüße
Momo
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