AUF DER FLUCHT
Neulich entwarf ich
meine Grabschrift
Sie ist besser als
jedes Gedicht
das ich je schrieb
und noch schreiben werde
hier auf dieser Erde
bzw noch von mir
wird geschrieben werden
hier auf Erden
Meine Grabsteininschrift
gefällt mir sehr
um so mehr
da sie semantische,
grammatikalische
und reimrhythmische Probleme
aufwirft
und außerdem ist sie
alles andere als romantisch
HIER RUHT
DER VOR IHM GEFLOHEN IST
BIS ZULETZT
SO DASS ES IHN NICHT
FRÜHER GEFLOHEN
ALS JETZT
Es ist eine überzählige Silbe
in den letzten beiden Zeilen
Doch man sollte nicht beckmesserisch
im Reimtechnischen verweilen
Semantisch ist es etwas wirr und irr:
denn DER - IHM - ES - IHN
sind teilweise verschiedene Wesen
und Persönlichkeiten,
bei denen man sich schwer tut
sie zu unterscheiden
Und diese wechselseitige Flucht
überhalb und vor und im Angesicht
der Gruft
strengt zum Nachdenken an
wie man den Spruch verstehen kann :
HIER RUHT DER ( ICH)
DER VOR IHM (DEM TOD )
GEFLOHEN IST BIS ZULETZT
SO DASS ES ( DAS LEBEN )
IHN NICHT FRÜHER GEFLOHEN
IST ALS JETZT ( ALS IHN DER TOD
EINHOLTE )
Wieviel einfacher war es da schon,
eine sinnige , schöne und passende
Grabinschrift für meinen verstorbenen
Hund zu verfassen, die sich ebenfalls
kann sehen lassen:
ER WAR MIR IMMER
EIN PAAR SCHRITTE VORAUS
Aber es ist nie geflohen
dieses tapfere Tier
im Gegensatz zu mir ...
Auf der Rückseite meines Grabsteines
wird stehen :
NESCIS QUID
VESPER SERUS
VEHAT
Aber da muß man erst herumgehen
um es zu sehen
Es ist weder
von Samuel Beckett
noch von mir
sondern eine altrömische
Grabinschrift
welche die Ungewissheit
nach dem Ableben
auf den Nagel trifft
Du weißt nicht,
was der späte Abend bringt
Gebetene oder ungebetene
Gäste:
Vampire, Maria , Incubusse
Succubusse , das Jesuskind,
den Teufel
oder irgendeinen besoffenen
Kleufel , der dir pinkelt an
den Grabstein :
Es kann auch ein scheißender
Köter sein ...
Rauschende Feste
bachantisch , christlich ,
höllisch, paradiesisch -
-biblisch ...
oder nur
monotones Einerlei ...
stupid und verdrießlich
immerwährende Langweiligkeit
in aeternitatem
in Ewigkeit: Amen
bis zum Ende von Raum
und Zeit ...
... das hat die größte
Wahrscheinlichkeit ...