Es sind zarte Hände, die sich einen Weg durch das Dickicht bahnen. Die Dornen schneiden ins Fleisch und hinterlassen kleine, blutende Wunden. Seine Füße, auf maroden Hölzern und Müll, drängen immer weiter. Der Atem rasselt durch die Kehle und entweicht, um mit der heißen Luft zu verschmelzen, die ihm glitzernde Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Es ist ein zitternder Körper, der schließlich ins Licht fällt. Keuchend lässt er sich auf die Knie fallen und vergräbt das Gesicht in den Händen. Wie ausgespuckt kauert er auf dem steinigen Grund und reibt sein Gesicht in die rauen Handflächen.
Als die Wunden mit dem Schweiß in Berührung kommen, hat er das Gefühl, jemand würde kleine Tropfen Säure auf seine Haut rieseln lassen. Zu dem salzigen Saft mischen sich Tränen. Er lässt den Rotz einfach aus der Nase fließen und bald ist sein Gesicht triefend nass. Langsam hebt er den Kopf und richtet seine Augen gen Himmel. Die Wolken hängen tief und haben sich in dunklem Grau aneinender gereiht. Er versucht mit einem strahlenden Lächeln die Wolkenfront auseinander zu treiben, doch sie beharrt darauf, die Sonne hinter sich zu verbergen.
Als er sich umblickt, sieht er eine trostlose Landschaft. Hinter ihm liegt der Wald und vor ihm erstreckt sich eine karge Wüste mit Gleisen, auf denen lange Zeit kein Zug mehr gerollt ist.
Benommen wischt er seine Hände an der Hose ab und der Stoff saugt das Gemisch aus Schweiß, Rotz und Tränen auf, wie der trockene Erdboden den Regen, der im selben Moment einsetzt. Er reißt die Arme hoch und streckt sie den Tropfen entgegen. Sie rinnen in die Ärmel seiner Lederjacke und er öffnet den Mund, um den Regen einzufangen. Die Tropfen zerschellen auf seiner Zunge und kullern in Fetzen seine Zunge hinab.
So sitzt er eine Weile still und durstig, bis er sich schließlich mühsam aufrappelt. Ein Lächeln umspielt seine Lippen und er wendet sich um. Bedrohlich düster stehen die Bäume vor ihm und er hört, wie der Wind die Äste schüttelt. Irgendwo in der Dunkelheit des Waldes liegt sie am Boden. Er weiß nicht, ob das Blut noch warm durch die Adern schießt, ob der Atem ihre Sinne noch erhebt, ob sie schlummert oder gestorben ist.
Ohne sich umzudrehen ist er gerannt und hat sie hinter sich gelassen. In jedem Leben kommt die Zeit, in der man sich für einen Weg entscheiden muss. Er hat darum gefleht, sie verlassen zu dürfen und irgendwann kam der Sturm und die ersten Blätter fielen – da ist er gegangen.
Er hat sie gleichermaßen geliebt und gehasst. Mit den Fingern hat er versucht die blutigen Krusten von ihr abzuschälen. Er wollte gewaltsam die Lider auseinanderreißen und sich in die Augenhöhlen graben, damit sie sehen konnte, was er sieht.
Die Vision hätte sie wieder zusammen geführt und wäre es so gekommen, so stünden sie nun gemeinsam vor diesem Wald. Wäre er bei ihr geblieben, so hätten seine Farben mit der Zeit an Glanz verloren und er wäre verblasst. Das Leben ist wie ein Fluss, der sich in den Stein frisst, um seinem Strom zu folgen.
Er hatte Sandkörner in den Augen, die sich penetrant in die Netzhaut rieben und ihn zwangen mit aller Kraft das Licht zu suchen.
Schulterzuckend wendet er sich ab und kehrt dem Wald den Rücken, in welchem er sie verstümmelt hat. Leise beginnt er ein Lied zu pfeifen und setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Der Schotter knirscht unter den Sohlen und er beginnt kleine Kiesel vor sich her zu kicken. Die Vergangenheit liegt hinter ihm. Im Wald.
Als er ein ganzes Stück gegangen ist, wird plötzlich eine Gestalt auf den Weg geworfen. Sie liegt zu seinen Füßen und krümmt sich vor Schmerzen. Regungslos bleibt er stehen und starrt das Wesen an, welches stöhnend vor ihm am Boden liegt und sich wie ein Wurm windet.
Angewidert tritt er mit dem Fuß gegen das dreckige Bündel, das augenblicklich erstarrt.
„Was willst du?“
Der Regen hat sich erschöpft und spuckt nur noch jämmerliche Tropfen zur Erde.
Als die Gestalt den Kopf hebt und ihn anblickt, fängt sein Herz wieder an zu schlagen.
Es ist sein Ebenbild, das er hinter sich gelassen hatte und welches nun gekommen war, um ihn zu holen. Ängstlich drängt er sich an einen Baum und schlingt die Arme um den Stamm.
„Es war Zeit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen.“, schreit er sich selbst an, der ihm gegenüber steht und nur traurig den Kopf schüttelt.
„Du hast mich vergessen.“, flüstert er und tritt einen Schritt näher.
Als die Gestalt so nah bei ihm steht, daß verwester Gestank in seine Nase kriecht, überfallen ihn Erinnerungen an alte Tage. Damals, als sie noch zusammen in der Vergangenheit gelebt hatten, waren sie zwei Organismen mit einem Herz. Es war eine verschmolzene Symbiose, die nichts auf der Welt hätte trennen können. Aber irgendwann schlich sich die Vision in seine Gedanken und fing an kleine Löcher in die Struktur zu fressen.
Es war an der Zeit gewesen die klebrige Verpflichtung zu durchtrennen. Doch er wollte behalten, was Leben versprach, deswegen hat er es mitgenommen.
„Wenn du gehen willst, geh. Aber das lässt du hier.“
Ein eiserner Arm gräbt sich seinen Schlund hinab und umklammert das Organ, das mit wilden Stößen nach Luft bettelt.
„Wieso?“, wimmert er, als er sich das Herz in den Mund steckt.
„Das ist der Preis. Ich hüte es.“, kauend und schmatzend dreht er sich um und geht, während er Kiesel vor sich her kickt und man eine leise Melodie vernimmt, die alsbald jedoch vom Wind davon getragen wird.