Es ist sechs Uhr dreissig und der Handywecker klingelt mich aus meinen Träumen. Ich denke den Satz, der zwischen sechs und acht Uhr sicher am meisten gedacht wird: nur noch zehn Minuten nochmal die Augen zu machen - oder ähnliches.
Ich hasse Montage; besonders Montagmorgen. Sie haben so einen ekelhaften Mief von Rechtschaffenheit und Fleiß; von arbeitsamer Moral und Rigidität. Dabei fällt mir das Mädchen ein,die damals sechzehnjährige, die, zynisch formuliert, etwas machte, was heute keinen mehr hinter dem Ofen vorlocken würde: sie lief in ihrer Schule Amok und als Grund nannte sie: "ich mag keine Montage". Ich war damals selber in dem Alter, nee eher jünger. Das muss so 1978 gewesen sein, also war ich etwa 15 Jahre, naja. Jedenfalls empfand ich damals so etwas wie Verständnis, ja Sympathie für sie. Und wie das so kommt, wurde auch gleich ein Lied über sie gemacht. "i dont like mondays" von einer bis dahin eher mäßig bekannten Gruppe namens Boomtown Rats mit dem ein gewisser Bob Geldorf damals zum ersten Mal so etwas wie Prominenz zuteil wurde. Übrigens hatten die Eltern zuvor vergeblich dagegen prozessiert. Der Song wurde ein Hit und später machte er sich durch "Live -Aid" und einen Weihnachtssong über Afrikaner, die scheinbar nichts von Weihnachten wussten - bis dahin jedenfalls - einen Namen und wurde sogar von der Queen geadelt. Nun ja, so können sich zwei Lebenswege, die sich einmal kreuzten, auseinander führen.
Inzwischen ist es zehn vor neun und zur Arbeit komme ich sowieso zu spät. Und so philosophiere ich noch etwas über das Mädchen. Was sie wohl heute macht? Ob sie noch im Knast sitzt oder wieder draußen ist? Mittlerweile müsste sie so um die sechsundvierzig sein. Warum hat die eigentlich kein Buch geschrieben? Macht doch sonst jeder der mit irgendeiner Tat oder Untat aufgefallen ist oder sich ansonsten irgendwie für "trendy" hält.
Plötzlich nicke ich doch nochmal ein und als ich wieder erwache, ist es auch schon weit nach zehn. Ich stehe auf und mache mir erstmal einen Kaffee. Damit gehe ich ins Wohnzimmer und schalte - unvermeidlich - den Fernseher ein. Dort läuft gerade ein Bericht über Herrn Niedrig, der damit bekannt wurde dass er es schaffte seine Heroinsucht gegen die Sucht einen Triathlon zu absolvieren tauschte. Worüber er natürlich ein Buch schrieb. Es geht darum, dass sein Buch gerade verfilmt wird, dass er eine Stiftung ins Leben rief und dass er eine Selbsthilfegruppe gründete. Könnte ich auch - aber egal. Jedenfalls wehrt er sich dagegen, dass es so wäre, dass er eine Sucht gegen die andere getauscht hätte. Er beschäftigt sich jetzt mit oben genannten und sei eben nicht stehen geblieben bei dem "Typen, der vom Junkie zum Supersportler mutiert sei".
Wie schön für ihn. Aber was weiss ich schon? Vielleicht hat er ja recht und alles wird gut wenn man das macht was er gemacht hat, wenn man - ja was eigentlich? Jedenfalls wohl eher nicht noch um elf herumsitzt, seine Arbeitszeit vertrödelt und stattdessen lieber fleißig an sich arbeitet. Ich trinke inzwischen meinen zweiten Kaffee und nehme meine zweite Subutex, ein Ersatzmittel für Kodeintabletten, die ich 15 Jahre konsumierte. Eine habe ich noch für heute Abend. der Arzt hat mich gerade von vier Zweier auf drei Zweier täglich herunterdosiert. Leider habe ich an dem Tag auch erfahren, dass meine Interferon-therapie nun doch nicht angeschlagen hat. Was nach der ersten Untersuchung - ein Vierteljahr nach der elfmonatigen "Spritztortour" noch negativ, sprich positiv für mich, aussah, entpupte sich nun als Trugschluss und so ist möglicherweise auch meine Arbeitsmoral, bzw. das Fehlen einer eben solchen, - ohne nach einer Ausrede suchen zu wollen - zu erklären. Jedenfalls habe ich nach jahrelanger Arbeitslosigkeit wieder angefangen "einzusteigen" in die Arbeitswelt, falls man sie so nennen kann. Es hat etwas von "drittem", nicht etwa zweitem Arbeitsmarkt, wenn dort Leute arbeiten, die alle mit einem Suchtproblem zu kämpfen haben bzw. hatten und mehr oder weniger unregelmäßig zur Arbeit kommen und dieses auch - zu Recht - nicht gemaßregelt wird. Nur: dass dann in der Statistik groß darüber gejubelt wird wir hätten wieder soundsoviel weniger Arbeitslose, ist gelinde gesagt, ein Euphemismus.
Egal, jetzt haben wir längst zwölf Uhr und das Mittagsmagazin auf RTL beginnt. Mit der lispenden Anja Burghardt. Es geht um die "Superstars", um den Sumpf bei Siemens und um den Rücktritt von Sachsens Ministerpräsidenten Millbradt. Also nichts Neues. Warum schaut man sich eigentlich die Nachrichten an, wenn sowieso immer dasselbe passiert?
Herr Bohlen hat auch wieder ein Buch geschrieben. Darüber wie man sich beim "Casting" am besten verkauft. Mit anderen Worten: wie man ihm am schnellsten in den Allerwertesten kriecht. Okay, das mag etwas übertrieben klingen, ist vielleicht sogar unfair, aber mir ist dieser Typ und diese ganzen geklonten "Stars" ein Gräuel. Ich überlege ob es sich noch lohnt zur Arbeit zu gehen und beschließe lieber noch einen Kaffee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Dabei denke ich an alberne Sprüche wie "Arbeit macht Spaß, aber aus Spaß wird leicht Ernst", "man hats nicht leicht, aber leicht hats einen" oder auch daran, dass die Arbeit ja nicht überall diesen übertriebenen Status besitzt wie hier. Zum Beispiel lässt man es bei den Arabern ja eher lockerer angehen; wegen der Hitze und dort steht die Religion mehr im Mittelpunkt. Fünf Mal am Tag beten oder so - nee das wäre doch nichts für mich. Aber irgendwie sind wir auch Opfer unserer Mentalität.
Jetzt ist es zwei und es lohnt sich absolut nicht mehr zur Arbeit zu gehen. Vielleicht sollte ich lieber anrufen, aber dann lass ich es doch. Und lese lieber etwas. Darüber wie man sich das Rauchen abgewöhnen könne. Der Autor schreibt, dass er selbst Kettenraucher war, bevor ihm DAS Erfolgsrezept einfiel und dass man - wenn alle Anweisungen befolgt werden - zum Nichtraucher wird. Mmh, hört sich irgendwie simpel an; während ich gebannt seine Tipps lese, stecke ich mir die dritte Zigarette heute an. Währenddessen hat "Barbara Salisch" begonnen und ich verschiebe das Weiterlesen - "hören sie erst auf wenn sie das Buch zu Ende gelesen haben" - auf später. Als Barbara Salisch Recht gesprochen hat und die nächste Gerichtsshow angekündigt wird, bin ich irgenwie froh, denn jetzt habe ich Feierabend - falls ich zur Arbeit gegangen wäre. Bin ich zwar nicht, trotzdem habe ich dieses "Feierabend"-Gefühl.
Vielleicht sollte ich auch ein Buch schreiben.
Über das Nichtstun. Oder was tun und dann ein Buch darüber schreiben. Laufen und dann ein Buch darüber schreiben. Oder Amok laufen und dann ein Buch darüber schreiben.
Ja - Amok laufen.
Vielleicht mach ich das, ja vielleicht mach ich das ja sogar.