Herbsttag

Groteske zum Thema Apokalypse

von  Kleist

Tosende Sperlinge in meiner kleinen verschrumpelten Hand und ein Lächeln wie Merkur auf den Lippen, so warte ich auf die U-Bahn, die in drei Minuten kommen soll.
Ein dumpfer Schrat - zwei Meter im Quadrat - sieht mir verzweifelt zu, wie ich versuche, die vor Schreck entflohenen Spatzen wieder einzufangen und bohrt dabei seine Hauer in eine rohe Kartoffel.
Ich stöhne auf, als ich über seinen Schrankkoffer falle und mir die Nase am Rauchverbotsschild blutig schrubbe.
Die U-Bahn fährt ein.
Ich putze mir die blutige Nase an der Krawatte eines aussteigenden Fahrgastes, bedanke mich, betrete den Waggon und denke:
"Wo muss ich eigentlich umsteigen?"



Und ich hörte einen Schall wie tausend Polizeisirenen und eine Gestalt mit einer Dienstmütze richtete sich auf und raunte mir ins Ohr: "Siehe, die S-Bahnen werden sich verspäten."
Und ich sah, und siehe: Die S-Bahn war noch nicht da.
Da hörte ich eine Durchsage über den Bahnsteig schallen, laut wie die Posaunen vor Jericho, und ich fragte die Gestalt, ob ich niederschreiben solle, was die Stimme gesagt hatte, und sie sprach zu mir: "Lasse es niemanden wissen, bis dass die Zeit erfüllt sei, da die S-Bahn kommt.
Da wird sein großes Frohlocken unter den Fahrgästen und die Waggons werden überquellen vor Freude.
Und wer da keinen Fahrschein hat, wird geworfen werden in den feurigen Pfuhl und nicht von dort hinausgelangen, als bis dass sich die Zeit des Sonderfahrplans für Heiligabend und Silvester erfüllt hat."
Da erschienen an der Rolltreppe drei weitere Gestalten, die anzusehen waren wie amerikanische B-Film-Helden und warfen sich vor mir nieder.
Ich segnete sie mit Bahnsteigkarten und sprach:
"Folget mir nach zu der Dönerbude, die da errichtet ist inmitten des Bahnsteiges und labet euch an Ayran und Sigara Börek, denn die Zeit der Vergeltung ist vorüber und es soll erfüllt werden, was da stehet in der Hausordnung der Hochbahn."
Da gab es ein Getöse wie von hundert galoppierenden Zebras, Windzug und Lichter aus dem Tunnel kündeten von der Ankunft des einfahrenden S-Bahn-Zuges.

Bebend vor Erwartung harrten wir unseres Schicksals.

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Kommentare zu diesem Text

Ria (26)
(12.05.09)
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 Kleist meinte dazu am 12.05.09:
"Mensch Meier kam sich vor wie 'ne Ölsardine ... " oder welchen?
Ria (26) antwortete darauf am 12.05.09:
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 Kleist schrieb daraufhin am 13.05.09:
Ach ja, die Scherben ...

Mit Rio is' der Welt schon was verloren gegangen.

Ich weiß noch, wie ich die Nachricht von seinem Tod bekommen habe. War das erste Mal, dass mir der Tod einer "Berühmtheit" richtig nahe gegangen ist.
Ria (26) äußerte darauf am 16.05.09:
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 Kleist ergänzte dazu am 16.09.09:
Jo, die Scherben haben mich in einer gewissen  Schaffensphase ('95/'96 - ich an Gesang und Text) sehr beeinflusst.

 loslosch (12.05.09)
Hammerhart und hammermäßig.- Der Schlusssatz könnte auch einfach wegbleiben, und nichts ginge von der perversen, abstrusen, genialen Komik verloren. Chapeau! Lothar

 Kleist meinte dazu am 13.05.09:
Danke, danke.

Will ihn mal beim nächsten Poetry-Slam darbringen.
Mal seh'n, ob ich damit punkten kann.

Wenn Dir der gefällt, guck' Dir mal meinen "wichtigsten Text" an.

 Kleist meinte dazu am 13.05.09:
( den hier)

 loslosch meinte dazu am 13.05.09:
Hab schon "den hier" gedrückt. Ist schwierig zu lesen und also zu verstehen. Schön zumindest die aufgesetzte, abgehobene Sprache. : Lo

 Kleist meinte dazu am 18.06.09:
Für den Stil stand halt die Lutherbibel Pate ...
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