Der Niedergang der Weißen Taube

Reportage zum Thema Veränderung

von  Mutter

Die Eckkneipe mitten in Berlin, Kreuzberg, war noch vor zehn Jahren kiez-berühmt. Merkwürdiges Interieur, in einem gewissen Radius die einzige Pinte, in der es Weizen vom Fass gab und urige Kreuzberger. Ein legendärer Laden, wenn man ein wenig auf Trash steht. Wenn nicht - ist man in Kreuzberg generell nur bedingt gut aufgehoben.

Inzwischen hat sich allerdings einiges geändert -  bei einem Besuch vor ein paar Monaten musste ich einen ähnlichen Verfall feststellen, wie man ihn bei einem älteren, demenz-kranken Verwandten vorfinden mag. Nicht schön, der Niedergang der Weißen Taube.
Das merkwürdige Interieur ist geblieben, hat sich über die Jahre kaum verändert: Das Gummiskelett in dem übergroßen Fischtank direkt unter der Decke, das alte Poster von dem Fight zwischen Tyson und Holyfield, auf dem Evander tatsächlich noch zwei vollständige Ohren hat.

Aber keine Spur vom Weizen-Fass, jedwedes Bier kommt inzwischen aus der Flasche, und die Typen haben sich auch verändert. Vielleicht liegt es allerdings an mir, dass aus 'urig' inzwischen 'alt' und 'kaputt' geworden ist - ich bezweifle, dass ich an dem Abend ein Gespräch mit einem Nicht-Alkoholiker hätte führen können.
Denise, die sympathische Barchefin, die für jede der gescheiterten Existenzen an ihrer Bar ein offenes Ohr hatte, arbeitet ebenfalls nicht mehr hier. Stattdessen bedient uns eine lustlose tättowierte Zwanzigjährige mit dem Charme eines Spätzle-Hobels.

Der legendäre Flipper-Automat aus den Siebzigern ist einer Multi-Funktions-Maschine gewichen, mit der man ins Netz kann, Bingo spielen und vor allem: Die Visiten-Karten druckt. Eine genaue Musterung der Anwesenden fördert allerdings niemanden zutage, der auch nur annähernd Visiten-Karten brauchen könnte.

Alle Dinge in unserem Leben bewegen sich in Zyklen. Ich bin sicher, wenn ich weitere zehn Jahre warte und zurück in die Weiße Taube kehre,  erwartet mich eine Party-Location allererster Güte. Ein Kracher!
Gut, dass ich geduldig bin.


Anmerkung von Mutter:

Fingerübung. Für wo anders.

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Kommentare zu diesem Text

managarm (57)
(01.02.10)
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 Mutter meinte dazu am 01.02.10:
Hehe, danke ... :)

Hab Dir mal was geschickt.
Georg (54)
(01.02.10)
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 Mutter antwortete darauf am 02.02.10:
Falls es mich jemals in meinem Leben nach Düsseldorf verschlagen sollte - warum auc h immer - schaue ich dort mal vorbei.
Klingt, als könne man sich da als Kreuzberger wohlfühlen ... :)
blaubeermund (26)
(02.02.10)
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 Mutter schrieb daraufhin am 02.02.10:
Du bist ein lustiges Mädchen. :)
Warum verstehe ich Dich bloß nie?

Aber ich mag Dich tropsdem ...
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