Esodu, Atée

Dialog

von  m.o.bryé

Ein leerer Raum.
Esodu sitzt auf dem Boden, um sie herum ein Haufen Flaschen und halbvolle Gläser. Sie lässt Eiswürfel von einer Hand in die andere gleiten.


Esodu
Ah… Monsieur… Aidez moi.

Sie legt sich das Eis in den Nacken und lässt es ihren Rücken herunterrutschen.

Esodu
Und wenn ich dich jetzt anrufe…?
verstellt die Stimme
Wie, du weißt nicht, was du machen sollst? Mach was an deiner Hausarbeit, ich denk, da muss noch was passieren?
spricht wieder normal
Ich schaff‘s nicht. Ich hab‘s schon versucht. Willst du kommen und mit mir trinken?
verstellte Stimme
Also, ich weiß nicht, was mit dir los ist. Geh duschen und setz dich an deine Hausarbeit. Hast du schon die Leute angerufen, von denen ich dir die Nummern besorgt hab?
normale Stimme
Ich schaff‘s nicht.
halbherzig verstellte Stimme
Ah, wie oft hatten wir das jetzt schon? Was heißt das, du kannst nicht, was ist so schwer daran, eine Nummer zu tippen und einfach loszureden, du weißt doch, was du fragen willst, du weißt doch, welche Informationen du brauchst, bla. blabla. bla.

Lässt den Kopf hängen und atmet mit einem leisen, hohen Ton lange aus.

Stimme
Esodu?

Esodu unterbricht ihren Ton nicht.

Stimme
Esodu?

Esodu
Wer spricht zu dem, der nicht lebt?

Stimme
Esodu?

Esodu
Ja?

Stimme
Esodu?

Esodu
Wer spricht zu einem, der nichts sagen kann?

Stille.

Esodu
Wer hält den, der nicht zu greifen ist? Wen fasst man nicht? Wie kann man..?

Sie bricht ab. Legt den Kopf in den Nacken und nimmt ihren Ton wieder auf. Sie nimmt ein Glas, steht auf, nimmt einen Schluck und schleudert das Glas genussvoll auf den Boden. Als es zerschellt, kichert sie unkontrolliert. Atée kommt.

Atée
Alles klar, du?

Esodu wird ernst.

Esodu
Ich hab getrunken.

Atée
Ja, das seh ich.

Esodu
Willst du auch?

Atée
Nee, lass mal. Denkst du dran, die Kalkulation noch fertigzumachen?

Esodu
Nein.

Atée
Witzig. Ich kann sonst nicht weiterarbeiten. Morgen früh brauch ich die Unterlagen.

Er schaut auf die Uhr.

Atée
In fünf Stunden. Viel Spaß.

Ab.

Esodu
äfft Atée nach
Fünf Stunden. Viel Spaß.

Sie nimmt eines der Gläser, leert es langsam und ohne abzusetzen. Sie summt leise, schließt die Augen und webt.

Esodu
singt
Meine Oma fährt im Hühnerstall Motooorrad, Motooorrad, Motoooooooo…

Sie hält den Ton, bis ihr die Luft ausgeht.

Esodu
singt leise
Meine Oma fährt im Hühnerstall Motooorrad, Motooorrad, Motoooooooooooooooorrad.

Sie nimmt ein anderes Glas und setzt es an die Lippen, ohne zu trinken. Verharrt. Setzt es ab. Sie tastet ihre Taschen ab und zieht aus einer einen Spiegel hervor.

Esodu
zu ihrem Spiegelbild
Na, mein Herz? Was fürchtest du? Die Flucht? Oder das Bleiben?

Leert ein neues Glas.

Esodu
schreit
Papier!

Atée kommt entnervt und wirft Esodu einen Block in den Schoß.

Atée
Hör auf zu saufen!

Nimmt ihr das Glas ab und leert es im Weggehen. Ab. Esodu nimmt den Block.

Esodu
ruft Atée nach
Stift!

Ein Stift wird ihr zugeworfen. Er fällt auf den Boden. Sie hebt ihn auf.

Esodu
schreibt
Liebste Aurie. Letzten Schlaf träumte ich von dir. Du hattest mich verlassen – der Teil kam mir bekannt vor – und ich weinte nach dir – der auch. Ich liebte dich mit allem, was ich hatte. Nun, das war nicht viel. Wenn auch viel wert. Ich blamierte dich (es war viel Wahres an dem Traum) und du liefst mir fort, als ich die Konsequenzen trug. Im Feuerschein verlor ich dich an jemanden. Zwar steckte ein Messer in meinem Bauch, doch ich betrank mich nichtsdestotrotz und tat, was ich nicht wollte.

Sie zerreißt den Brief ansatzlos.

Esodu
schreibt
Liebste Aurie. Gerade zerriss ich einen peinlich egozentrischen Brief an dich. Mir fällt nichts Gutes ein. Ich wollte dir von einem Traum erzählen… zur Abwechslung mal was Schönes. Ich verlor dich – der Teil kam mir bekannt vor, nicht? – doch du sehntest dich nach mir (insgeheim). Ich wünschte, es wäre wieder ein Theater im Ort, eine Oper vielleicht, das wäre schön.

Sie stockt. Sie zerreißt den Brief.

Esodu
schreibt
Geliebte Aurie.

Zögert.

Atée
ruft aus dem Off
Esodu?

Esodu
Ja?

Atée
aus dem Off
Kaffee?

Esodu
Nein. Danke.

Atée schaut herein.

Atée
Geht’s? Kann ich dir helfen?

Esodu
Nein, nein. Es geht.

Atée
Wie weit bist denn?

Esodu
Vertraust du mir nicht?

Atée
lacht
Ist ja gut.

Ab.

Esodu
murmelt
Ich könnt‘s ja verstehn, so ist es nicht.
schreibt weiter
In einem Traum war ich in einem Haus, das war ein riesiges Zimmer über zwei Etagen, und im zweiten Stock war es mittig geteilt (mit einer löchrigen Blechwand). Ich weiß nicht, ob ich dort wohnte, doch jemand suchte mich da. Ich wusste, es war nicht gut, und öffnete die Tür nicht, sie hatte ohnehin kein Schloss. Doch jemand war noch da, und ihn konnte ich nicht halten. Als die Panik mich riss, suchte ich Zuflucht in einem Schrank im zweiten Stock, gerade, als der törichte Öffner fiel. Die Suchende wandte sich ans Fenster und rief nach mir. In mir wuchs ein Grauen, allein von meinem Namen in ihrer Stimme. Plötzlich bemerkte ich, dass unter meinen Füßen nur Glas war, der Schrank war aus Glas und auch der Boden darunter. Ich brach durch, und landete zerschnitten in Scherben. Als die Suchende sich lächelnd umwandte, erinnerte ihr Gesicht mich an wen und ich wurde mir jäh gewahr, dass wir uns in einer enormen Eishöhle befanden, in einem ausgehöhlten, weichgeformten Ei aus Eis, das unmöglich unmittig auf einem hohen Eiskegel ausbalanciert war. Ich wagte keine Bewegung mehr.
Es war einer dieser Träume… Du weißt.
Ich flog über ein Feld, ich schaffte es nicht weiter als einen Meter über den Boden und hatte Furcht, etwas würde mich aus dem Gras anspringen und sich in meinen Füßen verbeißen.
(Ich war barfuß und hatte besondere Sorge um meine nackten Sohlen.)
Dann kam eine Klippe und ich stürzte nicht – wie erwartet – ab, sondern war plötzlich frei in der Luft. Bloß zog eine seltsame Kraft mich sanft in eine bestimmte Richtung, ich hielt auf eine Ansammlung grüner Hügel zu. Als ich sie erreichte, klafften unter mir eisige Abgründe auf, die mich an sich rissen, ich konnte nicht ankämpfen dagegen und glitt auf einen hohen Eiskegel zu – er kam mir bekannt vor, eine unregelmäßige Eiskugel lag auf der Spitze. Ein fester Sog (ich musste an eine Schlange denken, die sich pulsierend um meine Hand legt) zog mich durch eine Öffnung hinein und ich landete in einer Wolke Glassplitter zu Füßen der Suchenden, die lächelte.
Ich meine, dich in ihren Zügen zu erkennen, doch vielleicht ist das Projektion.
Aurie, ich liebe es, dir pathetische Briefe zu schreiben. Ich liebe dich, komm zurück, blabla, wie sag ich‘s nur in schön? Fuck it off, my dear, I love you, come back.
You realize all 25 Mes of this letter begging for you?
Esodu starrt auf das Papier, nimmt eines der Gläser und leert den Inhalt über den Brief und ihren Schoß. Sie legt alles beiseite und sich auf den Rücken wie aufgebahrt.

Esodu
singt
Meine Oma fährt im Hühnerstall Motooooorrad, Motoooorrad, Motooooooorrad, meine Oma fährt im Hühnerstall Motooooooorrad, sonst kaaaann siiiiie nichts.

Atée
ruft
Esodu? Hilf mir mal grad, bitte!

Esodu
Bah!

Atée
Esodu?

Esodu
Jap.

Sie schläft ein.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (05.01.11)
Könnte im zweiten und dritten Drittel etwas straffer sein. Gefällt mir, der ich sonst ungern "Stücke" lese, recht gut. Macht einen etwas fragmentarischen Eindruck, das Ende ist irgendwie keines, auch kein offenes...

 m.o.bryé meinte dazu am 05.01.11:
merci.
Liebe Grüße,
Lena
wupperzeit (58)
(08.01.11)
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 m.o.bryé antwortete darauf am 23.01.11:
Und das gefällt mir. Dankeschön.
Liebe Grüße,
Lena
Samhain (23)
(23.01.11)
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 m.o.bryé schrieb daraufhin am 01.02.11:
ich hab dir ja noch gar nicht gedankt für diese motivation.. hiermt also: danke.
ich arbeite an nachschub, es ist auch schon einiges fertig, aber gerade die zweite szene bedarf noch einiger nachbearbeitung.
liebe grüße,
lena
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