„Stop the world, we have teatime!”
Er drehte sich um und schaute in die blau-grauen Augen seiner Arbeitskollegin Maggie. Diese Augen starrten ihn aus einem entsetzten Gesicht an. Sein Blick folgte ihrem ausgestreckten Arm. Drei Touristenbusse fuhren langsam auf den Parkplatz des Burghotels. 150 Gäste. Das um fünf Minuten vor drei. Drei Uhr hieß normalerweise teatime, für Maggie wenigstens. Auch er genoss den Tee dort und den kleinen Plausch mit seinen Arbeitskollegen. Ein kleines „Please“ folgte noch aus Maggies Munde. Lara und Paul, die übrigen Arbeitskollegen schauten ihn gespannt an. Er schaute noch einmal auf Maggie, dann auf die Reise- Busse, holte ruhig den Kassenschlüssel aus seiner Tasche, verschloss die Kasse, drehte sich um 180 Grad und marschierte durch den schmalen Burggang in Richtung Teeküche, gefolgt von seinen teils grinsenden, teils lächelnden Kollegen. Ihre Chefin kam ihnen mit versteinerter Miene entgegen und er vermeinte ein „fucking highlands“ zwischen ihren zusammen gepressten Zähne zu vernehmen.
Die zwei 16 jährigen Mädels, Maggie und Elen, befanden sich auf dem sonntäglichen Gang zur Kirche. Die Nebel hatten sich wieder mal in den schottischen Highlands ausgebreitet. Ihre Eltern schickten sie jeden Sonntag bei Wind und Wetter auf die Straße für den Kirchgang. Die Mädchen murrten zwar, aber auf einer Hinsicht waren sie froh aus ihrem Elternhaus zu entkommen. Nach der Kirche wollten sie noch was mit den Jungs schäkern und mit den anderen Mädels schwatzen.
In dem Nebel erspähten die zwei nach dreiviertel des Weges eine weiße Gestalt. Oder war dies nur ein Gaukelspiel ihrer Augen. Kurz vor der Kirche bog diese Gestalt auf einen Nebenweg ab. Maggie und Elen beschlossen ihr zu folgen, wenigstens ein Stück, denn sie waren doch neugierig geworden, wer diese Person war. Die Gestalt schritt zügig über diesen steinigen, unbefestigten Weg, der mehr einem Trampelpfad glich. Nach einer halben Stunde, die Mädels wollten schon umkehren, sahen sie die weiße Gestalt auf ein großes Gebäude zu eilen.
Die Gestalt öffnete eine Tür an der Frontseite des Gebäudes und glitt hinein. Maggie und Elen folgten. Als sie die Türe öffneten, sahen sie, dass sie in einer kleinen Kirche waren. Beide wussten wohin ihr Weg sie geführt hatte. Sie befanden sich in dem Frauenkloster, das völlig abseits aller Wege lag. Sie hatten schon davon gehört, von diesem geheimnisumwitterten Kloster, gesehen hatten sie das Kloster allerdings nicht. Nach der Messe, die seit ihrer Ankunft stattfand, trauten die beiden sich, eine Nonne nach der weißen Gestalt zu fragen. Die ältere Nonne lächelte und erzählte dann den Mädels, was sie von dieser Person wusste. Maggie und Elen sahen dies als Zeichen an, eilten nach Hause und fragten jeweils die Eltern, ob sie in das Kloster eintreten dürften. Maggies und Elens Eltern bejahten.
Am anderen Morgen machten sich die zwei wieder auf den Weg in das Kloster. Sie kannten ja jetzt ihr Ziel. Sie klopften an der Klosterpforte und fragten, ob sie als Novizinnen in das Kloster eintreten dürften. Die Pfortenschwester holte die Mutter Oberin, diese hörte sich die Geschichte von Maggie und Elen an und entschied dann, dass die beiden eine 5-jährige Probezeit als Novizinnen, zu absolvieren hätten. Die Pfortenschwester zeigte dann Maggie und Elen ihr Zimmer. Das Zimmer war karg ausgestattet. Zwei schmale Betten, ein Schrank für beide, das war`s.
Am anderen Tag begann ihre Arbeit gegen halb fünf mit dem Melken der Kühe. Danach wurde gemeinschaftlich gebetet. Frühstück, Arbeit, Messe, Arbeit, Andacht, Arbeit, dies war ihr Tagesablauf. So vergingen drei Jahre. Maggie und Elen, welche anfangs voller Glück und Zuversicht waren, verzweifelten langsam. Das sollte ihr Weg sein. Sie waren doch noch so jung, gerade neunzehn Jahre. Aber was sollten sie machen? Der Gedanke zur Flucht aus dem Kloster wurde immer stärker in ihnen. Sie wussten, dass sie vorläufig nicht mehr zu ihren Eltern zurück konnten. Die Enttäuschung der Eltern wäre zu groß gewesen. Sie wollten in die nächste Stadt, da Arbeit suchen und dann endlich leben, wie sie sich dies vorgestellt hatten. In einer Frühjahrsnacht waren die zwei endgültig bereit zu fliehen. Gegen Mitternacht als alle Nonnen schliefen, huschten sie lautlos aus der Tür in den Garten, liefen durch diesen und kletterten dann über die Klostermauer. Der Weg zur nächsten Stadt dauerte etwa 8 Stunden. Da die zwei jedoch unterwegs im Gebüsch ein wenig schliefen, trafen sie gegen Mittag in der Stadt ein. Sie hatten beide das Glück nach einiger Fragerei direkt als Hausmädchen engagiert zu werden. In verschiedenen Häusern taten sie ihren Dienst. Ein Jahr später bekam Maggie einen Job in einer Fischfabrik. Maggies und Elens Wege trennten sich mit der Zeit. Jede von ihnen hatte einen festen Freund, den sie heiraten wollten. Doch das Schicksal drehte sich wieder. Maggies Freund verließ sie, als sie schwanger wurde und sie musste sich und das Kind ernähren mit neuer Arbeit. Dies war eine harte Zeit und als Maggie schließlich drei Kinder hatte, heiratete sie einen lieben Mann. Sie zogen in ein kleines Dorf in einen anderen Teil der Highlands, bauten sich dort ein Häuschen und Maggie fand schließlich auch Arbeit in einem Burghotel. Sie arbeitete von Montags bis Freitags dort, in der Saison auch sonntags, nur samstags arbeitete Maggie nicht. Der Samstag war Maggie Day. Dann schlief sie bis 10 Uhr, badete genüsslich, aß und las ein wenig und wartete darauf, dass der Abend kam. Gegen sieben Uhr abends öffnete der Club, in dem Maggie Mitglied war und dort frönte sie ihrer ganzen Leidenschaft, dem Bingo spielen. Bingo and einige Wodkas, wenn sie gewann.
Maggie war schon gut 60 Jahre mittlerweile, hatte 7 Enkelkinder, doch der Samstag blieb der Samstag. Auch am letzten Samstag. Maggie hatte zuerst eine Pechsträhne, doch dann wendete sich das Blatt. Maggie gewann und gewann. Der Wodka floss und gegen 24 Uhr, ja, da war`s soweit. Ihre jetzige Freundin Sheila, Elen hatte sie seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen, baute die Tische zusammen, stopfte die Music-Box voller Münzen und Maggie kletterte auf die Tische.
Maggie wiegte sich in der Musik, öffnete ihren Mund. Sie sang. Und wie sie sang. Die Kraft, welche sie ihr ganzes Leben begleitet hatte, sie durch all ihre Entbehrungen getragen hatte, umzüngelte ihren Körper, glitt in die Zuschauer, umfasste auch diese und die ganze Menge tanzte und stampfte zu Maggies Gesang. Dies war ein unfassbares Glücklichsein, der ewige Schrei nach Freiheit und Glück. Nach den Liedern sprang Maggie, welche jetzt wieder 16 war, vom Tisch und fiel den Zuschauer und Freunden in die Arme. Saturday-night-fever in den Highlands.
Lara, Maggie, Paul und er genossen die ersten Schlucke der frisch aufgebrühten Teeblätter. Seine Zungenspitze spielte langsam in seinem Mund mit dem heißen Getränk und er schluckte den Tee nach einer Weile hinunter. Gedankenverloren zündete er sich eine Zigarette an, blies die Rauchkringel Richtung Zimmerdecke, schaute ihnen nach und hörte sich murmeln: „Tee, Tee schmeckt an und für sich nur in den Highlands.“