Dionysische Elegie

Elegie

von  Georg Maria Wilke

Wem kann ich klagen, wenn die Nacht fieberhaft erglüht
in meinen Träumen?

Kein Weg führt ins Tageslicht zurück,
nahe sind Nachtmahr und Dämonen,

sie schmälern den lichten Augenblick,
die als Bilder in meiner Seele wohnen,

sich machtvoll wie die Wellen bäumen
und als Verderb am Ufer bricht.

Wer weiß von all den verborgenen Orten
halbversunkener Gier nach frivolen Taten,

die mich drängen in diese Schattenwelt
mit lodernd aufgeblühten Saaten,

die tief mich peinigen, gebunden an diese Welt

als sei ich ein wildes Tier mit primitiver Lust

und aufgewühlter fremder Leidenschaft,
die wie roter Saft durch meine Adern rinnt

und es nicht schafft, dass ich der Bosheit hadere
als wäre ich ein unschuldiges Kind

und meinen freien Geist belacht,
mich aber dennoch zum Schmerz verführt

als sei ich Freund, ein Bruder gar, des Dionysus,
der mich bedacht mit einem Kuss
als ich in bedrängter Nacht erwacht.


So muss ich lodern als nachtgeborene Flamme,
die dem Morgen ausgebrannt entgegen schnellt

und warten, sehnsuchtsvoll, auf gnadenreiche Mittagsstunde
und Apollons Segen für diese Welt

als sei dies das wahre Ziel all meiner tausend Leben.

Doch dunkle Schatten reiten auf dem Nachtross heiter
wie schaumgekrönte Wellen hin und her,

es ist Poseidons aufgewühltes Meer,
das schrille Schreie eines Alps zum Himmel sendet,

erwacht, geheimnisvolle Worte dieser dunklen Nacht
und erfasst der Seele Chaos mit titanischer Macht.

So streite ich mit hart geschmiedeter Vernunft, meine Wehr,

und werde unbekannten Kräften Halt gebieten
wie trockner Sand am Strand dem regennassen Meer

als Grenzstein zwischen uralten Zeiten, die ich suche nimmermehr.

Im Schenkel, der vor Begierde lechzt nach Freudentaumel,
warst du getragen als ungeborener Gast
der sterbenden und auferstehenden Natur.

Die Lust am Chaos störte den Lebenssinn der Alten, doch du verhöhntes jede Signatur.

Das visionäre Gesicht der rätselhaften Welt, die mit ihrer
Tragik zusammenfällt

hat überholte Ordnung weggerissen, bohrte sich ins lustverzückte Fleisch.

die Schönheit wird kein Mensch vermissen in diesem toten Reich,
das Hässliche, das aus der Quelle Qual gerissen
ist kein Ort, der Tugend je begehrt, die lüstern sich erwehrt
des stolzen Zweifels und nur Tränen schafft

die hinter vorgehaltner Hand begafft mit einem Lächeln,

das keine Gegenwelt aus Formen, die der Schönheit dienen, schöpfen kann.

Apollon legt das Gleichmaß aller Dinge an
die tageshelle Leichtigkeit,

dass ihm die Schöpfung voller Harmonie gelinge
als ein ausgeglichenes Gegenreich,

denn Leiden ist nicht höchstes Ziel des Lebens,
ist kein Wert des vernünftigen Strebens,
kein Ziel und Grund der Endlichkeit.


Anmerkung von Georg Maria Wilke:

Im klassischen (gr.) Altertum waren Elegien im elegischen Versmaß gedichtet, d. h. sie bestanden aus Distichen (Verbindung von Hexameter und Pentameter), sie waren das Trauer- oder Klagegedichte, lyrisch epische Gedichte. Goethes „Römische Elegien“ sind zwar formal Elegien, aber inhaltlich wird dort eine „Idylle“ dargestellt und Goethes Marienbader Elegie, der 2. Teil „Trilogie der Leidenschaft“ ist ohne elegisches Versmaß geschrieben. Bei Schiller finden wir Elegien im wechselnden Vermaß, teils in Reimstrophen geschrieben, aber auch das strenge Versmaß beibehaltend, nur aus der Trauer wird eine Begeisterung für das Ideal und die Überwindung der Trauer. In der neueren Dichtung wird die Form der Elegie von Rilke wieder aufgenommen in seinen „Duineser Elegien“, das Versmaß ist frei und wechselnd, nur die vierte und achte Elegie ist strenger gebaut. Es findet sich zwar die einheitliche Stimmung der Trauer am Anfang der Elegien, die aber in der zweiten Hälfte einen Umschwung erfährt: von der Klage zum Rühmen, zur Bewältigung des Leids, von der Todesbejahung zur Daseinsbejahung.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (16.01.12)
[denn Leiden ist nicht höchstes Ziel des Lebens,
ist kein Wert des vernünftigen Strebens,
kein Ziel und Grund der Endlichkeit.]

Danke!

 Songline meinte dazu am 16.01.12:
Es ist dieselbe Stelle, der ich ein Ausrufezeichen setze!

Toller Text, Georg.
Liebe Grüße
Song
Mahisha (69) antwortete darauf am 16.01.12:
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 Georg Maria Wilke schrieb daraufhin am 17.01.12:
Ein freudiges Dankeschön an euch . Es gibt so Tage, da werde ich so recht verlegen, denn ich kann nicht anders schreiben, ich habe diese Lust und verspüre den Drang, es in meine Worte, meine Form zu fassen. Aber wem sage ich das.Es ist schön, dass es solche Leser und Kommentatoren gibt, natürlich auch die weibliche Form, denn sie scheint mir die sensiblere zu sein.
Liebe Grüße, Georg
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