Steingarten

Gedicht zum Thema Achtung/Missachtung

von  Isaban

Bleivoll zeigt der Himmel Mauern;
blässlich blinzelt dürres Licht.
Stein um Stein erzählt Bedauern.
Wer dort wohnt, den sieht man nicht.

Von weit her kreischt eine Säge.
Gartenbänke stehn bereit.
Auf den Wegen picken träge
dicke Tauben und die Zeit

scheint hier andersrum zu ticken.
In Parzellen häuft sich Leid,
glitzert in Besucherblicken,
macht sich hinter Stirnen breit,

doch die Friedhofsvögel singen
sanft und süß. Ihr Winterlied
wird auch morgen noch erklingen,
einerlei, was uns geschieht.

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(11.02.12)
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 Isaban meinte dazu am 13.02.12:
Sie singen, als wollten sie uns das Hiersein versüßen, als wollten sie demonstrieren, wie schön das Leben ist, je nach Stimmungslage Trost oder Hohn, auf jeden Fall so schön, dass es dort im "Steingarten" fast unpassend klingt.

Ich freu mich, dass der Text dich berühren konnte, Janna.
Danke für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße,

Sabine

 AZU20 (11.02.12)
Irgendwie deprimierende Atmosphäre. LG

 Isaban antwortete darauf am 13.02.12:
Das könnte die Gegend so an sich haben. ;)
Liebe Grüße,

Sabine
Gruszka (62)
(11.02.12)
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 Isaban schrieb daraufhin am 13.02.12:
Habe ich dir eigentlich schon einml klar und deutlich gesagt, wie sehr ich deine ausführlichen und empathischen Interpretationen schätze, liebe Irene? Falls nicht, sei es hiermit ausdrücklich erwähnt. Ich freue mich jedes einzelne Mal, wenn du dich mit einem meiner Texte beschäftigen magst und um so mehr, wenn der Text dich zu einer solch herrlichen Rückmeldung veranlassen konnte.

Ich lese hier nicht nur den Friedhof, sondern, wenn ich das Wort "Parzelle" nicht so wörtlich nehme, sondern es auf eine
(kleine) Sozialwohnung eines Ballungszentrums/Brennpunktes
beziehe, dann kommt mir der Titel "Steingarten" auch sehr gelegen.

Bei diesem Text habe ich versucht, so viel Interpretatiosnspielraum zu lassen, dass sich jeder Leser seinen eigenen Steingarten "erlesen" kann, wenn er will. Wohnsilos, beziehungsweise soziale Brennpunkte passen da sehr gut zu meinen Intentionen - hach, du bist schon ne Gute!

"Stein um Stein erzählt Bedauern"= Bedauern, dass man hier wohnen muss, Bedauern seitens des Wohnenden, oder seitens des Passanten, der einen solchen Siedlungsmoloch betrachtet.

Richtig. Ob man hier nun lieber Grabsteine, Steine aus selbsterrichteten Mauern oder Besucherkiesel auf einem Mazevot sehen will, jeder trägt Bedauern in sich, das der dort eingeschlossenen und das der "Touristen", der Besucher, die nicht zur anderen Seite durchdringen können.

"Von weit her kreischt eine Säge"= in solchen Siedlungen wird immer renoviert, seitens der Wohngesellschaft, oder seitens
der Bewohner. Bänke stehen dort auch und auch Tauben sind vorhanden und die Zeit scheint dort auch andersrum zu ticken.
Hoffnungslosigkeit macht sich breit=die Zeit scheint zu stehen, weil es oft keine Zukunft gibt für die vielen Arbeitslosen in solchen Silos. Jeder heutige Tag gleicht dem morgigen.
Und die Friedhofsvögel singen in der Tat so manchem das
besagte Endruhe-Lied, weil die Aussicht auf eine Verbesserung kaum vorhanden ist. Man vegetiert oft so dahin - da ist der Weg zur ewigen Ruhe oft nicht so weit, die Verlockung Schluss zu machen schillert oft bunt. Ein Steingarten ist es in der Tat, solch ein Siedlungsmoloch: Block an Block, Grau an Grau...

Wie gesagt: eine tolle Interpretation!
Um mal ein bisschen aus meinem Nähkästchen zu plaudern: Eigentlich hatte ich die Säge auch um der "Beschneidung" willen miteingebaut, um dieses Verlustes, der Vakanz willen, die immer mit einem Begräbnis einhergeht, sei es nun der Verlust der Freiheit, der Möglichkeiten, des Lebens, eine geliebten Menschen, der Träume oder auch nur der Freizeit - wir verlieren jemanden oder etwas unwiederbringlich, als sei es wie mit einer großen Säge abgeschnitten. Und wie passend, dass auch immer gleich Bänke bereit stehen - nicht wirklich gemütlich, aber zum längeren Sitzen geeignet - damit wir bequemer verharren können; so bleiben wir dem verhaftet, was wir loslassen mussten.

Irene, dein Kommi war mir eine Freude. Danke!

Liebe Grüße,

Sabine
Caty (71)
(12.02.12)
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 Isaban äußerte darauf am 13.02.12:
Ob Großstadt, Fabrik, Bürohäuser, Kinderzimmer, Hühner-, Hinter-, oder Friedhof, Tod wohnt überall dort, wo man das Leben nicht mehr sehen und spüren kann, liebe Caty. Manchmal ist der Wellensittich das Lebendigste in einem Hochhausgrab, manchmal singen die Vögel vor dem Fenster vom Leben, das man nicht oder nicht mehr führen kann, manchmal - Steingärten kann man überall anlegen. Im Lied der Vögel liegt so viel reine Lebenslust, dass für uns immer ein bisschen Wehmut und Sehnsucht mitschwingt.

Hab besten Dank für die Beschäftigung mit meinem Text und die Rückmeldung.
Liebe Grüße,

Sabine
Schneewanderer (52)
(13.02.12)
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 Isaban ergänzte dazu am 13.02.12:
Auch eine spannende Interpretation, lieber Reiner!
Es freut mich sehr, dass der Text so viele Aspekte bietet.
Herzlichen Dank für die Rückmeldung und liebe Grüße,

Sabine

Edit: Wegschauen ist selten eine gute Lösung. Genaues Hinsehen enthüllt zwar manchmal Peinlichkeiten, macht das Leben aber um einiges interessanter. ;)
(Antwort korrigiert am 13.02.2012)

 kirchheimrunner (16.02.12)
man braucht nicht mehr viel dazu zu sagen... Das Gedicht ist ein kleines Meisterwerk. Wundervoll schwungvoll... dann nachdenklich... und mit einem klasse Rhytmus..
Hans

 Isaban meinte dazu am 16.02.12:
Danke schön, lieber Hans. Es freut mich sehr, dass du meine Verse magst.

Liebe Grüße,

Sabine
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