Der Thread als schöne Kunst

Text

von  toltec-head

Die Katastrophe der europäischen Künste ist der Rückzug der Straße. Kunst und gerade große Kunst ist nur dort schön, wo auch Jahrmarkt ist. Ohne Bezug zum Karnveval - dem richtigen Karneval, nicht dem Karneval, wie wir ihn als Reservat kennen, sondern dem alltäglichen lebenden, tanzenden Fleisch auf der Straße - ohne Bezug zu diesem Karneval, verkümmert die Kunst.

Natürlich versuchen die organisierten Medien uns immer wieder Kunst mit "street-credibility" zu verkaufen. Typ Indie-Musik. Aber dies sind organisierte Reservate für Lohnempfänger. Das ist schlimmer als der Kölner Karneval als Schwundstufe des echten Karnevals. Das ist die Straße als Tünch. Als vorgegaukeltes Video von Produzenten für Konsumenten. Die Produzenten müssen Drogen nehmen, um diesen Betrug auf Dauer durchzustehen und die Konsumenten versinken langsam aber sicher in Depressionen.

Straße ist nur dort, wo auf einmal Vielstimmigkeit, wo diese Produzenten/Konsumenten-Kacke aufhört.

Der Thread ist für mich die Rückkehr des Jahrmarkts in die Kunst.

Der Thread ist die Straße in eine Welt ohne Produzenten und ohne Konsumenten

Das tiefgefrorene Konsumentenfleisch der Lohnempfänger taut im Thread auf und kehrt in den ewigen Kreislauf des echten, vibrierenden Lebens zurück: Karneval.

Auch ich weiß, dass sich hinter Menschenkind, parkfüralteprofs, Jack und AaronMansfeld in Wirklichkeit arme, kleine, beschissene Lohnempfänger in ihren Wohnklos befinden, die wie ich ihre Impotenz zur Schau stellen. Aber in ihrer elektrifizierten Form als Techno-Avatare sind sie für mich Straße. Ich kann mich in ihnen baden wie in einem mittelalterlichen Jahrmarkt. Und unsere Impotenz ist nur aus der Sicht der Produzenten/Konsumenten-Welt Impotenz. In Wahrheit ist das alles, was wir hier tun, zwar ganz schrecklich unprofessionell und dilletantisch. Aber wahre Potenz ist immer unprofessionell und dilletantisch. Die Stricher kriegen sehr schnell keinen mehr hoch.

Kleist sagt irgendwo in seinen Briefen, die Frau auf der Bühne hätte das Theater zerstört. Die Griechen und die Renaissance kannten keine Frauen auf der Bühne. Die Frauenrollen wurden von Männern gespielt. Trotzdem meint Kleist nicht die Frau schlechthin, sondern einen bestimmten Typus Frau. Die Frau des Hauses, die Hüterin von Mann und Kindern. Die Frau, die die Straße fürchtet. Die Frau, die sich einsperrt. Und die darunter auch leidet. Deswegen hysterisch wird. Und ihre Hysterie auf die Bühne bringt. Die ihren angestammten Ort verlassende, nach überall ausgreifenden Gebärmutter, diese hat das Theater zerstört.

Der Thread ist die Zerstörung der Gebärmutter. Oder ihre Zurechtweisung auf den für sie vorbestimmten Ort. Die Verbannung der Gebärmutter jedenfalls aus den Sphären höherer Vergnügen.

Der Thread ist das wieder auflebende Theater. Wir werden alle wieder zu Griechen werden. Wir leben in großartigen Zeiten! How grand we are this morning!. Es lebe der Thread!

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Kommentare zu diesem Text

Menschenkind (29)
(17.10.12)
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