Der Museumswärter und sein Moleskine

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von  toltec-head

Bevor ich, was noch gar nicht so lange her ist, die Vorhölle der Internetliteraturforen kennen lernte, kam mir die bürgerliche Existenz als Schriftsteller immer komisch vor. Ich habe vergessen, welcher italienische Dichter seine post-symbolistischen Gedichte als Nachwächter in einer Schuhfabrik schrieb. Aber Faulkner fand, sein bester Job sei Laufbursche in einem Bordell in St. Louis mit viel Zeit zum Lesen und Schreiben gewesen. Hatte Genet sich nicht gar als Strichjunge und Kleinkrimineller durchschlagen müssen? Und da die Literatur selbst wohl ein Parasit ist, kann man konsequenter Weise doch auch gleich als Parasit existieren - als seine Mutter anbettelnder Proust oder mit Tütenmadelaine und Teebeutel von Aldi als Hartz4-Empfänger. Man sagt in Anbetracht der Tatsache, dass selbst arrivierte Schriftsteller, deren Bücher in der FAZ besprochen werden, von ihren Verkaufszahlen her nur auf Hartz4-Niveau leben könnten, täten unsere Literaturpreise viel gutes. Ich bin da aber nicht so sicher. Es ist wie Entenfüttern und es wäre besser, wenn alle sich durchschlagen müßten. Denn wer im alltäglichen Existenzkampf nicht besteht, der hat dort, wo die Luft um so vieles dünner wird, erst recht keine Chance. Die Entenliteratur der Literaturpreise mag ich denn meist auch überhaupt nicht. Wenn aber die Alternative zu bürgerlichen Schriftstellerexistenzen Internetliteraturforen sein sollten, dann bin ich doch für die bürgerlichen Schriftstellerexistenzen. Jenny Erpenbeck, Daniel Kehlmann,  Burkhardt Spinnen und anderes mittlere Elend. Denn die können wenigstens schreiben.

Das schönste Museum Deutschlands ist das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln. Es liegt am Aachener Weiher und ist somit von einem der größten Cruisingareas Deutschlands umgeben. Oft würde ich mich unter der Woche nach dem Mittagessen davonstehlen, am Bahnhof Süd aussteigen und an den Büschen vorbei, wo um diese Uhrzeit sich aber nur Trolle und Gnome ein Stelldichein geben, zum Museum spazieren. Ich würde mit Blick auf den Weiher oder den Japangarten einen Tee trinken und dann vor chinesischen Landschaftsgemälden das langsame, mit Kunst nicht unangenehm gemischte Hochkochen meines Sex-Drives spüren. Unter der Woche ist das Museum meist ganz leer oder es gibt nur ein paar Leute, die pflichtschuldigst durchhuschen. Ein Pärchen etwa, das schnell feststellt, dass es vor den Riesenrollen mit Landschaften ein genauso langweiliges Pärchen ist wie draußen vor dem Museum - es würde meine Meditationen nicht wirklich oder nur kurz stören.

Aber es gab einen Wärter, der mich störte. Er war eine Gestalt wie aus einem Dostojewski Roman. Obwohl noch jung hätte er gut zu den Trollen und Gnomen in den Büschen gepasst. Groß, schlacksig mit Wuschelkopf, damals noch unmodischem Backenbart und dicker Brille schrieb er ständig etwas in sein großes Moleskinebuch, das einen nicht unerheblichen Bruchteil seines Monatnettogehalts gekostet haben musste. Er würde sich in dem gleichen Raum wie ich auf einen Stuhl setzen, mich eines bösen, kurzen Blickes würdigen und dann wie ein Verrückter in sein Moleskine schreiben. Was er wohl schrieb? Heute, wo ich Internetliteraturforen kenne, weiß ich es und es würde mir heute gelingen, was mir damals nicht gelang: Ihn und seine Existenz und sein Moelskine mit Hilfe der Landschaftsmalereien aus der Welt zu ignorieren. Damals dachte ich, er wär vielleicht ein Dostojewski, der sich, was ich sehr passend fand, statt mit Literaturstipendien durch den Museumsjob über Wasser hielt. Außerdem dachte ich, dass so wohl jemand aussehen musste, der den Sexus nach langen verzweifelten Kämpfen überwunden hatte, und deshalb anders als ich den Anspruch erheben konnte, wirklicher Literat zu sein. Heute denke ich, dass er eher zu der nicht ganz seltenen Sorte schlacksiger junger Männer mit Wuschelkopf gehörte, die sich in ständigen Ausweichmanöver vor der brutalen Gewalt des Sexus verfangen, etwa indem sie wie wild, ihre immer schlechter werdenden Augen nicht schonend, etwas in ein Moleskine skribbeln, was nie ein Mensch je lesen mag.

Als ich das Museum verließ, regnete es und die Büsche waren leer. Da ich nass zu werden anfing, wollte ich traurig schnellst möglich zum Bahnhof eilen. Aber da stand am Ende der Büsche ein hübscher junger Mann mit Barbour-Jacke und Regenschirm. So einer vom Typus sauber geschnittener "Junger Liberaler", der mich ob seiner Undostojewskihaftigkeit immer so rattig macht, mit korrektem Seitenscheitel.

Er sagte:

- Nur Wichsen.

Ich verstand: der Regenschirm war sein Moleskine und Wichsen war für ihn wie Schreiben. Ohne den Lack war auch er eine Gestalt aus einem Roman von Dostojewski. Ich überlegte kurz, hatte aber keine Lust, unter dem Regenschirm mit ihm zu wichsen, ließ ihn stattdessen wortlos alleine dort stehen und eilte durch den Regen zum Bahnhof. Im Zug saß ich dann erst mal nass und musste ein wenig lachen. An diesem Abend hatte ich den Sexus tatsächlich ein Stück weit überwunden.

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Kommentare zu diesem Text

Menschenkind (29)
(12.12.12)
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 toltec-head meinte dazu am 12.12.12:
Hey, danke. Freu mich immer, wenn Du was unter meine Texte schreibst. Hab mich von der Thread-Idee ja noch nicht ganz verabschiedet, leider ist aber schon mal schlecht, dass die Kommentare bei KV optisch gegenüber dem Text herabgestuft sind. So kommt dann von Anfang an keine Threadstimmung auf.

Sakralbronze in einer cruising area sein! Das wär´s. Stattdessen muss ich nur gleich hier mein Wohnklo sauber machen. Und nach Aufschnitt laufen, wie Benn immer so schön sagte. Sind Sakralbronzen eigentlich immer Vegetarier? Glaub´s beinah schon. Also könnt ich ja mal wieder damit anfangen, mach´s eigentlich ständig, bis mir diese eine Zeile aus dem ABC-Song in den Kopf kommt: "She´s vegetarian except when it comes to Sex."

Was, Du sagst Sakralbronzen haben den Sexus auch ganz überwunden? Ah, so. Na, dann.

Pauli gegoogelt. Hatte mich erst erschrocken und gedacht, Du meintest Wolfgang Petry. Nein, den Atomphysiker also. Oha!

Das Pauli-Prinzip: Identische Teilchen sind ununterscheidbar. In der Tat ein brauchbares Cruising-Prinzip!
AronManfeld (43)
(13.12.12)
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 toltec-head antwortete darauf am 13.12.12:
Mich ein wenig amüsieren.
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