Meyta
 Inhalt 

Ein erstaunliches Bündnis

Erzählung zum Thema Magie

von  Mehrmeerland

Roebruk rannte weiter. Was sollte er auch anderes tun, schließlich war er ein Ritter. Er lief, bis er zu einer Tür kam, die ihm den Zugang zu der letzten Kammer in der Spitze des Turms verwehrte. Zwei Koboldwachen standen davor. Doch anstatt zu kämpfen, schrien die nur schrill auf, ließen ihre Piken unbenutzt, die scheppernd auf den Steinboden fielen und verschwanden in der Dunkelheit.

Zunächst atmete Roebruk tief durch. Er entschloss sich, die andere Schulter zu nehmen. Und auch diese Tür vermochte seinem Willen und seiner Kraft nicht zu widerstehen. Krachend fiel sie zu Boden. Der Weg war frei. Doch was er nun sah, raubte ihm den Atem. Er kam tatsächlich zu spät. Der dunkle Magier und die böse Hexe hatten sie gebunden und waren bereit, es darauf ankommen zu lassen. Sie hatten mit Kreide wirre Zeichen auf den Boden gemalt, Salz und Pfeffer verstreut und zwei schwarze Kerzen entzündet. Über einer gespannten Leine aus Schlangenhaut hingen eine tote Katze und eine gemordete Möwe. Die beiden Tiere waren ausgenommen und in ihr eigenes Blut getunkt worden, welches nun auf den Boden tropfte.

Als der dunkle Magier Roebruk sah, stutzte er nur kurz, dann lachte er böse.
  „Oh, Herr Ritter, ihr seid zu spät. Wieder einmal. Das ist ein Zeichen, aber ihr wollt es einfach nicht begreifen. Die Tage eurer Art sind gezählt. Niemand braucht heute mehr einen Ritter. Und sie gehört jetzt uns!“
  Er hob seinen Zauberstab und an dessen Spitze zeigte sich schon ein bedrohliches Leuchten, als es ein lautes Krachen gab und die ganze Turmkammer auf einmal bebte. Erstaunt blickte Roebruk nach oben. Denn dort, wo eben noch die massive Steindecke gewesen war, konnte er nun die Sterne sehen. Das blieb aber nicht lange so, denn über ihm erschien das hässliche Gesicht eines Drachen, der sich auch noch frech zu ihnen hinunterbeugte.

Nun weiß natürlich jeder, dass Drachen und Ritter Erzfeinde sind und das, seit die Erde sich dreht. Also hieb Roebruk sofort nach dem unbedachten Lindwurm, traf ihn auch, doch seines Vatervaters Schwert vermochte die dicke schuppige Haut nicht zu durchdringen. Dadurch wurden Kopf und Hals der grässlichen Kreatur jedoch in eine Ecke gedrängt. Mit einem Streich hätte der Ritter ihr beide Augen ausstechen können. Aber etwas ließ ihn zögern und das garstige Vieh wehrte sich ja auch noch nicht einmal.
  „Ja, schlagt zu!“, feuerte die böse Hexe Roebruk an. „Befreit die Menschen von dieser Geißel aller Rechtschaffenden, ihr Tapferster aller Ritter.“
  'Ja, was ist denn das?', dachte Roebruk verwundert. 'Die böse Hex ist auf meiner Seite?'
  Weiter kam er allerdings nicht. Denn da sprach der Drachen zu ihm und seine Stimme war tief und regelmäßig.
  „Höre nicht auf dieses böse Weib. Bedenke, weshalb du hier bist: Du willst sie aus den Fängen der dunklen Macht befreien! Das ist deine Aufgabe! Doch allein vermagst du das nicht mehr. Sie werden sie auf ihre Seite ziehen und dann ist alles verloren und diese Welt wird zu Grunde gehen. Aber ich kann dir helfen. Verschone mich und zusammen werden wir die Ordnung der Dinge wiederherstellen.“
  'Ja ist denn die ganze Welt verrückt?', dachte Roebruk endlich weiter. 'Ist oben unten und schwarz weiß geworden?“

Doch er war ein viel zu erfahrener Ritter um zu begreifen, dass die Worte des Drachen zwar nur ein wenig, die der bösen Hexe jedoch gar keinen Sinn ergaben. Also trat er beiseite. Mit einem gezielten Feuerstrahl aus seinen weit geöffneten Nüstern verbrannte der Drachen erst den dunklen Magier und dann die böse Hexe. Beide vergingen in erbärmlichem Geschrei. Schnell sprang Roebruk zu ihr und befreite sie von den Ketten.

Wie jeder aber wissen sollte, ist Drachenfeuer ganz besonderes Feuer. Es verbrennt selbst den härtesten Stein und ist überhaupt nur schwer zu löschen. Da es nun auch noch durch den ewiglichen Hass des in den Flammen ums Leben gekommenen Bösen genährt wurde, verbreitete es sich in Windeseile. Schon stand der ganze Turm in Flammen und die Tür war durch einen Feuervorhang versperrt. Der Weg die steile Treppe hinab war ungangbar, von den wilden Kobolden, die am Ende sicherlich aus sie warteten, ganz zu schweigen. Sie waren gefangen.

„Kommt, steigt auf meinen Rücken“, sagte da der Drachen.
  Roebruk schaute ihn mit großen Augen an.
  „Habt keine Angst, ich werde euch nicht fressen. Habe meine Ration Jungfrauen und Ritter für diesen Monat schon intus.“ Der Lindwurm grinste.
  Blieb ihnen da etwas anderes übrig, wenn sie nicht von den Flammen verzehrt werden wollten? So bestieg zuerst sie und dann Roebruk den Rücken des Drachen. Der erhob sich in die Lüfte und brachte sie in die Freiheit. Dabei flog die alte Eule neben ihnen her und kreischte vor Vergnügen.



Roebruk stand auf seines Vatervaters Schwert gestützt am Strand und erinnerte sich endlich an alles.
  „Ja, ja, so ist es gewesen. Wir haben sie befreit, gerettet aus den dunklen Fängen von Magier und Hexe, ja, ja. Aber was ist mit der Burg passiert?“
  „Niedergebrannt, bis auf die Grundmauern“, antwortete der Lindwurm. „Aber das gehört zur Geschäftsidee. Wir Drachen speien ja nicht oft Feuer, aber wenn wir es tun, blasen wir alles ratzekahl weg. Ist nicht schön, ist aber so.“
  Der Ritter nickte verstehend, doch nach einigen Augenblicken des Nachdenkens schüttelte er den Kopf.

„Aber das Ganze ergibt keinen Sinn. Wenn wir sie gerettet haben, wieso erlebe ich dann nicht wieder spannende Abenteuer? Stattdessen jage ich den Kobolden hinterher und einer von ihnen hatte sogar das Buch! Was soll das alles?“
  Der Drachen druckste ein wenig herum, bevor er antwortete.
  „Ich habe sie verloren.“
  „Du hast was?“ Roebruk war entsetzt.
  „Ja, verloren. Ich weiß, es ist mein Fehler.“ Schuldbewusst senkte der mächtige Feuerspucker den Kopf. „Ich habe ein großes Gewicht auf meinem Rücken gespürt und nicht begriffen, dass du das warst, du und deine schwere Rüstung. Und es war eine stürmische Nacht. Viele Böen brachten mich beim Fliegen aus dem Konzept und dann war da ja noch diese schwatzhafte alte Eule.“
  „Nenn sie nicht schwatzhaft!“, wies der Ritter ihn zurecht. „Es lohnt sich immer, ihr zuzuhören!“
  „Wie dem auch sein: Du saßt hinter meinen Flügelansatz und sie davor. Dazwischen habe ich einen dicken, schwer gepanzerten Buckel. Irgendwann muss sie heruntergefallen sein. Ich habe es nicht bemerkt und du hast es nicht sehen können.“

Beide schwiegen betroffen.
  „Und was nun?“, wollte Roebruk nach einer ganzen Weile wissen.
  „Die Kobolde müssen sie gefunden haben. Wie sonst hätten sie wieder auftauchen und das Buch in ihre Hände fallen können.“
  „Das ist mir schon klar. Aber ich frage noch einmal: Was nun?“
  Nach einem sehr langen Zögern antwortete der Drachen: „Das Königreich der Wasserfälle!“



Wie ihr sicherlich wisst, ist das Königreich der Wasserfälle die Heimat aller Kobolde oder zumindest derer, die nichts Gutes im Schilde führen. Hierher kommen sie, wenn sie sich von ihren üblen Taten ausruhen wollen, finstere Pläne schmieden oder üben, mit den Zähnen zu knirschen. Niemand, der kein Kobold ist, wagt sich dorthin und selbst die edlen Adler überfliegen es nur in großer Höhe.

Doch Roebruk mit dem Drachen an seiner Seite (oder umgekehrt) wagte es und so begann der große Krieg gegen die Kobolde. Wenn ihr nur die Hälfte von dem gehört habt, was ich gehört habe und wenn davon auch nur ein Viertel davon wahr ist, dann wisst ihr, dass des Ritters Schwert und des Drachen Feuer ein blutiges Fest unter den Kobolden feierten. Trauer und Mitleid sind jedoch unangebracht, denn ein jeder von ihnen hatte den Tod mehrfach verdient, so übel waren ihre früheren Taten gewesen. Eine Festung nach der anderen fiel, Burg um Burg wurde geschliffen und so manche Koboldstadt verbrannte unter des Drachen heißem Atem. Heere wurden aufgerieben und schon bald wagte sich kein langohriger grauhäutiger Schwertträger mehr in die Nähe der beiden Freunde, denn das waren sie inzwischen geworden.

So kam es, dass sie fast ungehindert tief in das Reich ihrer Feinde marschieren konnten. Sie drangen bis zu jenem See vor, der von einem großen Wasserfall gespeist wird. Hinter diesem Wasserfall verbarg sich der Palast des Koboldkönigs, in dem er all sein Gold hortete. Und auch Savitsch diente diesem hässlichen kleinen Zwerg. (Der natürlich kein Zwerg, sondern ein Kobold war. Das dürft ihr nicht vertauschen! Zwerge hassen es, wenn man sie für Kobolde hält und können dann sehr rabiat werden. Aber ansonsten sind es recht angenehme Zeitgenossen, wenn man ihren seltsamen Humor versteht.)

Durch ihr bloßes Erscheinen vertrieben Roebruk und der Drachen die Koboldbesatzung einer Kriegsbrigg, die im Hafen einer Stadt am See vor Anker lag und machten sich mit ihr auf den Weg zu dem Wasserfall. Sie standen zu beiden Seiten des Schiffsstevens, als sie sich ihm näherten. Und die alte Eule war auch nicht weit entfernt...

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