Die Kommode.

Text zum Thema Ich

von  nihil

Vor einiger Zeit verbrachte ich einige Urlaubstage auf einer kleinen, einsamen Insel am Meer.
Vermutlich irgendwo an der Nord- oder Ostsee, genau habe ich es nicht mehr in Erinnerung.
Aber dieses abgelegene, kleine Ferienhäuschen habe ich noch ziemlich detailliert vor Augen.
Von außen betrachtet war es ein hübscher und solider, anheimelnder Bungalow - Gemütlichkeit, behagliche Melancholie und besinnliche Einsamkeit ausstrahlend.

Doch der äußere Schein trügte.
Das Innere des Ferienhäuschens hielt nicht das, was es von außen versprach.

Es mißfiel mir, daß jene Bleibe auf Zeit alles andere als gepflegt und aufgeräumt war - mitnichten einladend für Urlaubsgäste.
Die zwei kleinen Räume, samt Küche und sanitären Anlagen waren regelrecht verdreckt und heruntergekommen - als wäre seit Jahren keine Menschenseele mehr dort gewesen.
Ja, es machte sogar den Eindruck, als hätte jemand überstürzt und fluchtartig dieses Häuschen vor langer Zeit verlassen, welches seitdem in Vergessenheit geriet.

Trotz allen Ekels und der Abneigung übte diese verlassene Stätte einen gewissen Reiz auf mich aus. Eine Mischung aus Faszination und Abscheu zwangen mich regelrecht, mein Urlaubsdomizil genauer zu inspizieren, zumal ich den Wunsch hatte, meine Urlaubstage trotz der widrigen Umstände zu genießen und meine Bleibe ein wenig wohnlicher zu gestalten.
Immerhin empfand ich es auch als gewissen Nervenkitzel in der Vergangenheit eines fremden Menschen herumzuschnüffeln.
Was war damals geschehen?
Warum hatte der damalige Gast so überstürzt dieses Häuschen verlassen?
Und warum ließ er (oder sie) so viele private Dinge zurück?
Von meiner Neugier getrieben stöberte ich in den umherliegenden Gegenständen - alte Kleidung, Dokumente und allerelei nutzloser Tand.
Alles in allem fand ich nichts Aufschlußreiches oder gar Spannendes.
Auch durchwühlte ich sämtliche Schränke samt Schubladen: nichts weiter als unbrauchbare Dokumente, nutzlose und kaputte Gegenstände, hin und wieder zum Teil nicht zu entzifferndes, wirres Gekrakel.
Jene handschriftlichen Hinterlassenschaften, welche noch vage zu entziffern waren, zeugten von einem wirren, ja, sogar verzweifelten Geisteszustand des ehemaligen Bewohners.
In den verklebten Kühlschrank warf ich nur einen flüchtigen Blick - der Gestank der mumifizierten und verwesten, teilweise verflüssigten Speisereste raubte mir fast den Atem, ich mußte kurzfristig gegen ein Umstülpen meines Magens ankämpfen.
Desillusioniert, erschöpft und niedergeschlagen räumte ich eine Ecke des Sofas frei und nahm Platz, um mich von den Entdeckungen in meinem verwahrlosten Ferienhaus zu erholen.
Dann fiel mein Blick auf diese wuchtige Kommode im Kolonialstil an der Wand zu meiner Rechten.
Eigenartig, daß mir dieses prächtige Möbelstück, welches doch einen großen Teil des Raums füllte und gar nicht so recht zum restlichen Mobiliar paßte, vorher nicht aufgefallen war.
Erneut von meiner üblichen Neugierde gepackt, machte ich mich also ans Werk, diese Kommode zu öffnen.
Und wie riesig sie war!
Man könnte direkt einen erwachsenen Menschen dort hineinstecken, dachte ich mir beim Herumwühlen in diesem ominösen Möbelstück.
Doch was ich dort vorfand irritierte mich -gelinde gesagt- doch ein wenig.
Alles, was sich in jenem Schrank befand, war ein erstaunlich großer Plastiksack.
Leider war ich nicht mehr zu bremsen. Ich mußte diesen unförmigen Sack -koste es, was es wolle- heraushieven.
Ich mußte ihn auspacken, wissen, was sich darin befindet.
Mit beiden Händen zerrte ich an der Plastikverpackung. Der Inhalt war so schwer, daß mir bereits Schweißperlen auf die Stirn traten und ich völlig außer Atem war.
Sicherlich kamen mir beim Herauswuchten und dem anschließenden Entblößen des Inhalts allerlei Bedenken.
Freilich entging mir nicht, daß ich menschliche Formen während des Herausschälens ertastete.
Auf die Idee, Hilfe zu holen, kam ich in jenem Moment nicht - wie besessen zerrte ich an dem Plastik und beseitigte Folie um Folie.
Und mit jeder Plastikschicht, welche ich in meinem blinden Aktionismus entfernte, umso beißender und stechender wurde dieser seltsam widerliche Geruch - der Gestank von Verwesung.
Ich atmtete durch den Mund, um meinem Riechorgan diese abscheulichen Dämpfe weitestgehend zu ersparen, was natürlich bei fortgeschrittener Verwesung ein nahezu sinnloses Unterfangen ist.
Nach einiger Zeit hatte ich die Leiche endlich entblößt. Nackt, wie Gott sie schuf, lag sie nun vor mir, die leblose Hülle eines Menschen.
Zuerst war ich wie paralysiert - selbstverständlich gehört es nicht zu meinen alltäglichen Aufgaben, verwesende Leichname aus Plastikfolien zu befreien.

Als ich der toten Frau ins Antlitz blickte, wußte ich nicht, ob ich wie von Sinnen schreien oder in schallendes Gelächter ausbrechen soll.

Ich kauerte mich in eine Ecke des Zimmers und betrachtete diese tote Frau lange Zeit, die niemand anderes war, als ich selbst.


Anmerkung von nihil:

Hab ich mal geträumt.

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Kommentare zu diesem Text

Dieter Wal (58)
(15.09.16)
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 nihil meinte dazu am 02.10.16:
Lieber Herr Wal, hui, was freu ich mich (wie die Königin des Schneeees!), dass dieser Text nach nach Äonen endlich mal zur Kenntnis genommen wurde (denn offen gestanden ist dies sogar mein Lieblingstext; vielleicht auch aus privaten/intimen Gründen). Poe und Kafka sind wahrlich phantastische Autoren, aber diese Story wurde wohl kaum von Außenstehenden beeinflusst (vermute ich zumindest). Wie ich ja unterm Text anmerkte, habe ich diese seltsame Begebenheit tatsäclich geträumt (mir läuft’s immer noch eiskalt den Rücken herunter, wenn ich daran denke o_O ). Vielleicht sollte man diesen kranken Traum freudianisch interpretieren? Wie dem auch sei: dankefein!

 nihil antwortete darauf am 03.10.16:
Verdammt, ein "nach" zuviel :(
Ich schäme mich :(
(Antwort korrigiert am 03.10.2016)
Dieter Wal (58) schrieb daraufhin am 04.10.16:
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 nihil äußerte darauf am 06.10.16:
Ach, wär das scheee... nö, leider nicht. Ich bin ein Nichts :( Wie eh und je (ich war früher mal nihil; mein jetziger Nick ödet mich voll an). Aber ich spiele mit dem Gedanken, wirklich mal was Größeres zu schreiben. Aber entweder fehlen mir die Ideen oder ich habe keinen Antrieb. Im schlimmsten Falle beides. D:
Dieter Wal (58) ergänzte dazu am 07.10.16:
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Dieter Wal (58) meinte dazu am 18.11.18:
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Dieter Wal (58) meinte dazu am 15.08.21:
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Dieter Wal (58) meinte dazu am 15.08.21:
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 Dieter_Rotmund (27.12.19)
Es ist eine Unart, nach jedem Satz einen Absatz zu machen. Es sei denn, man will damit künstlich eine Art größere Bedeutungsschwere erzielen.
Dieter Wal (58)
(03.01.20)
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