Vier Eiskaffee, bitte!
Kurzgeschichte
von Sturmhexe
Eva warf die Tür hinter sich zu und sprang ins Auto. Hauptsache los! Zwei Straßenkreuzungen weiter hielt sie an, zückte ihr Handy und drückte auf Wahlwiederholung.
Nach einigen Klingelzeichen sprang ein Anrufbeantworter an. Sie fluchte leise.
„Silvia, wo treibst du dich rum? Ich kann nicht glauben, dass du nicht da bist! He, wo auch immer du gerade steckst, komm her und nimm den Hörer ab!“ Sie wollte gerade Luft holen, um laut nach Silvia zu rufen, als es in der Leitung knackte.
„Eva? Mensch, du alte Nervensäge, du weißt doch, dass ich Nachtdienst habe. Kannst du mir nicht einmal meinen wohlverdienten Schönheitsschlaf gönnen? Was ist denn so wichtig, dass du wie eine Verrückte nach mir rumbrüllst?“
„Oops, das hatte ich total vergessen, ich dachte du bist erst nächste Woche wieder dran. Tut mir leid. Wie kann ich das nur wieder gutmachen? Wie wär’s mit ’nem Eiskaffee, wenn du jetzt eh schon wach bist?“
Silvia murmelte etwas Unverständliches.
„Soll ich bei dir rumkommen oder treffen wir uns bei Carlo?“
„Wenn du so schon fragst, hol mich ab, aber lass mir wenigstens noch ein paar Minuten, damit ich mich im Spiegel wieder erkenne. In einer Viertelstunde?“
Klaro!“ Eva legte auf. Sie atmete tief durch. Vor wenigen Minuten hatte Karin sich völlig aufgelöst bei ihr gemeldet und sie gefragt, ob sie die Mädels alarmieren und ins Napoli, das Eiscafé ihres gemeinsamen Cousins Carlo, kommen könne. Eva hatte daraufhin Maja angerufen, die vermutlich auch bereits unterwegs war, und grübelte jetzt, was wohl passiert sein könnte, was Karin an den Rand der Hysterie gebracht hatte. Das letzte so plötzlich einberufene Treffen hatte es gegeben, als Robin Hood, ihre völlig durchgeknallte Killerkatze, einen lebenden Vogel ins Haus gebracht hatte und bei der Jagd nach Vogel und Katze das halbe Wohnzimmer ruiniert worden und sie einem Nervenzusammenbruch nahe war. Auf die Freundinnen war eben immer Verlass.
Auf dem Weg von Silvias Haus in die Bückeburger Innenstadt überlegten sie gemeinsam, was geschehen sein könnte. Hatte vielleicht der Große von Karin wieder einmal Ärger in der Schule? Vor ein paar Monaten war er mit ein paar Freunden auf dem Parkplatz an der Kindertagesstätte mit einer Bong erwischt worden. Er hatte zwar standhaft beteuert, selbst nicht geraucht zu haben, sondern nur dabei gewesen zu sein, aber die Klassenkonferenz und das ganze Trara waren mehr als ärgerlich gewesen.
Als sie die Eisdiele betraten, winkte Maja sie zu ihrem Stammplatz ganz hinten im Raum. Beim Näherkommen sahen sie die rot geheulten Augen Karins und ein halbes Dutzend Taschentücher neben ihr auf der Bank. Während Silvia sich sofort neben Karin in die Bank schob und tröstend einen Arm um sie legte, fragte Eva Maja flüsternd:
„Schon was bestellt?“
„Nein, wir hatten auf euch gewartet!“ Sie drehte sich Carlo zu um, der erwartungsvoll am Tresen stand.
„Vier Eiskaffee, bitte!“
Dann wandte auch sie sich Karin zu und sagte: „Nun erzähl den anderen schon, was dein feiner Heiko sich diesmal geleistet hat!“
Karin schnäuzte sich noch einmal.
„Meiner? Diesen Drecksack kannste geschenkt haben! Ich hasse dieses Schwein!“
„Psssst! Ganz ruhig!“, versuchte Eva sie zu beruhigen. „Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?“
Karin setzte zu einer Antwort an, aber dann schossen ihr wieder die Tränen in die Augen und fing an hemmungslos zu weinen. Silvia drückte sie an sich und blickte Maja an.
„Weißt du Bescheid?“
Maja nickte.
„Karin hat mir eben schon erzählt, dass Heiko gestern Abend, als sie mit ihrer Schwester im Kino war, die halbe Bude ausgeräumt hat und nur einen Zettel hinterlassen hat, dass er jetzt mit der Everding vom Empfang bei denen auf dem Amt zusammen ist. Er wohnt jetzt vorläufig in einer Schrebergartenhüttte, die sein Onkel im Bergdorfer Hof hat.“
Ihr Bericht wurde von einem braungebrannten jungen Mann unterbrochen, der mit einem Tablett und ihren Eiskaffees an den Tisch trat.
„Huch, ein neues Gesicht?“, wandte sich Eva an Carlo. „Wer ist denn das?“
„Erkennst du ihn nicht?“, fragte Carlo zurück. „Das ist Cousin Michele, der hat dir früher, wenn wir alle mit Papa in Italien waren, doch immer deine Luftmatratze weggenommen und deine Sachen versteckt! Der Jüngste von Zia Anna! Er ist für den Sommer hier zu Besuch, um ein wenig besser Deutsch zu lernen!“
Eva stand auf. „Ciao, Michele, come stai? Erinnerst du dich an mich, Eva? Und das da drüben ist Silvia, die kennst du sicher auch noch.“ Sie wies auf Silvia, die ihm zu winkte.
Michele stellte die Eiskaffees ab, ergriff erst Evas und dann Silvias Hand, deutete jeweils einen Handkuss an und erwiderte strahlend: „Natüüürliche erinnere ich. Due belle ragazze! Aber wer ist questa Signora molto triste?“
„Oh, das ist unsere Freundin Karin. Ihr Mann hat sie gerade verlassen, und deshalb ist sie etwas aufgewühlt. Und das ist Maja, auch eine Freundin von uns.“
Michele nickte den beiden zu und begab sich wieder hinter die Theke, wo er begann, intensiv mit gesenkter Stimme auf Carlo einzureden.
Karin hatte mittlerweile ein wenig vom Eiskaffee genascht und sich wieder etwas beruhigt.
„Dieser Mistkerl hat doch tatsächlich die Stereoanlage, den neuen Fernseher und den Computer mitgenommen, und das tolle alte Sideboard, das wir letztes Jahr aus Frankreich mitgebracht haben, auch. Das Konto ist leer, und vermutlich hat er auch das Sparkonto geplündert, wie ich ihn kenne. Und dann einfach so abzuhauen, hatte nicht mal den Mut, es mir selbst zu sagen. Ich frag mich, wie lange er das mit der blöden Kuh schon hat! Am liebsten würd’ ich ins Rathaus gehen und dem so in die Kronjuwelen treten, dass das blöde Weib die nächsten Wochen nichts von ihm hat. Ich könnte ...“
„Komm mal wieder runter, Süße das bringt nichts.“ Silvia legte ihr die Hand auf den Arm. „Du willst dir doch nicht dein hübsches Knie kaputt machen! Genieß jetzt erstmal deinen Eiskaffee und dann überlegen wir in aller Ruhe, wie wir Heiko richtig drankriegen. Ich glaub, ich kenn da einen wirklich guten Anwalt.“
Eva fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand. Eben hatte sie in den Schaumburger Nachrichten die Mitteilung gelesen, dass am Vorabend in Bückeburg es im Kleingartenverein gebrannt hatte. Sofort hatte sie Maja angerufen, die vor einem Jahr ganz in der Nähe eine wunderschöne Jugendstilvilla gekauft hatte, und gefragt, ob sie etwas mitbekommen habe. Die Antwort war nicht zu fassen.
„Klar haben wir das mitbekommen, die Einsatzfahrzeuge sind ja direkt vor unserer Tür entlanggefahren! Und Uli ist dann sofort hin, falls ein Arzt gebraucht worden wäre. So, und jetzt halt dich fest! Weißt du, wessen Hütte da niedergebrannt ist? Die von Heikos Onkel! Als Uli dort noch stand und sich mit Bekannten unterhielt, kam Heiko kreideweiß den Weg runter gerannt. Der war völlig durch den Wind und hat irgendwas von noch nicht versichert gesagt. Naja, die Hütte ist nur noch ein Haufen Asche, da ist nicht mehr viel von übrig. Karin fragt übrigens an, ob du heute Termine hast, oder ob wir uns um drei noch mal einen Eiskaffee gönnen können.“
„Hm, eigentlich hatte ich mich mit Laura treffen wollen, wenn sie Dienstschluss hat. Auch wenn sie noch hier zu Hause wohnt, sieht man sich kaum noch!“
„Komm, Eva, deine Tochter wird wohl kaum plötzlich was gegen deine allerbesten Freundinnen haben... und vielleicht hat sie ja sogar ein paar Neuigkeiten wegen dieses ach so schrecklichen Brandes! Überred sie einfach! Und ich ruf Maja an und sag ihr Bescheid! Bis nachher dann!“
Als Laura in die Eisdiele kam und sich aus ihrer engen Motorradjacke schälte, saßen die vier Freundinnen schon beieinander. An der Theke blieb sie kurz stehen und warf Carlo eine Kusshand zu.
„Ciao, Carlo! Für mich heute ein Spaghetti-Eis, ich hab heut bereits zweimal die Kaffeemaschine in der Dienststelle leer getrunken und kann keinen Kaffee mehr sehen! Und wo ist unser neuer italienischer Cousin?“
Carlo wies nach draußen, wo Michele gerade die Sonnenschirme aufspannte.
„Aber jetzt husch, Kleines, die alten Damen warten schon!“
Eva wandte sich um: „Carlo, glaub nicht, dass wir das nicht gehört haben! So alt sind wir nicht, und du bist immer noch drei Monate älter als ich, vergiss das nie!“
Laura zog einen Stuhl an den Tisch, streckte ihre langen Beine aus und seufzte.
„Uff, das war mal wieder ein bescheidener Tag. Erst dieser blöde Brand und dann hat mich der Gerland an die Weser geschickt, ne Wasserleiche!“ Sie verzog das Gesicht. „Vermutlich die alte Dame, die letzte Woche in Corvey dem Altersheim abhanden gekommen ist. Ich frag mich, was der gegen mich hat, dass ich immer zu diesen ekligen Sachen hin muss. Vermutlich, weil ich ne Frau bin. Mit Melanie soll er das ja auch gemacht haben, deswegen hat die sich ja auch versetzen lassen. Ein echter Chauvi!“
Die Freundinnen lachten, denn die Schimpftiraden über Lauras Vorgesetzten kannten sie, seit diese in der Bückeburger Polizeidienststelle arbeitete.
Maja beugte sich vor: „Sag mal, Eva, der blöde Brand, den du erwähnt hast, ist doch nicht der in der Gartenanlage?“
„Doch, genau der!“ Sie schaute Karin an. „Dein Mann war ja wirklich durch den Wind. Hat angegeben, dass er Möbel und Geräte für zigtausend Euro dort gehabt hätte und am Wochenende eine Versicherung hatte abschließen wollen. Tja, und nun ist alles futsch und keiner der zahlt. Nachdem was Mom mir am Telefon erzählt hat, kann man nur sagen: Geschieht ihm recht!“
„Und wisst ihr schon, was den Brand ausgelöst hat? Oder darfst du dazu nichts sagen?“, fragte Maja.
„Naja, so viel, wie der Presse gesagt wird, kann ich euch wohl auch sagen: Wir wissen es nicht genau. Es gibt keine deutlichen Spuren eines Brandbeschleunigers, aber die Hütte war fast nur aus Holz, es hat seit geraumer Zeit nicht geregnet, und da braucht es nicht viel, um so ein Häuschen abzufackeln. Wenn da erst mal etwas brennt ...“
Maja und die anderen nickten. Karin räusperte sich.
„Könnt ihr euch vorstellen, dass Heiko vorhin angerufen hat? Er hat die letzte Nacht im Ambiente verbracht, und weil ihm das auf Dauer wohl zu teuer ist, hat er gefragt, ob er fürs erste wieder zurück zu uns ziehen könne. Seine Holde hat sich wohl noch nicht von ihrem Noch-Ehemann getrennt, und da kann er nicht unterschlupfen.“
„Und was hast du ihm geantwortet?“, fragte Silvia neugierig.
„ Ich hab ihm unser altes Zelt angeboten, das kann er im Garten seines Onkels aufschlagen!“ Karin tippte sich an die Stirn. „Der soll ja nicht glauben, dass der bei mir noch einen Fuß über die Schwelle setzt. Alles Weitere kann der Anwalt klären. Morgen hab ich einen Termin. Danke übrigens, Silvia, für den Tipp, ich glaub die Kanzlei ist wirklich gut!“
Die Freundinnen lachten.
„Wenn du irgendwie anders reagiert hättest“, meinte Eva, „dann hätten wir dich auch für verrückt erklärt. Der Kerl soll ruhig sehen wo er bleibt!“
„Mom, hast du heut Mittag kurz Zeit?“ Evas Augenbrauen wanderten bis unter den Haaransatz. Wann schon rief ihre Tochter vom Dienst aus an, um sich mit ihr zu verabreden?
„Ist etwas passiert, Laura? Soll ich zu dir auf die Dienststelle kommen?“
„Nee, Mom, das eben nicht! Ich muss dir ganz dringend was erzählen, aber nicht hier! Wir können uns doch wieder bei Carlo treffen, ich hab mich da zu um zwei sowieso verabredet, weil ich mit jemandem sprechen muss, den ich nicht aufs Revier bitten möchte.... Was meinst du, so gegen eins?“
Eva sah auf ihre von Blumenerde schmutzigen Hände und dachte an die ganzen Pflanzen, die noch umgetopft werden mussten. Aber die konnten im Zweifelsfalle warten.
„Klar, ich komme, Kind, wir sehen uns dann!“
Eva und Laura trafen fast zeitgleich am Napoli ein. Michele rückte ihnen die Stühle am Stammtisch der Freundinnen zurecht.
„Zwei Eiskaffee“, bat Eva und wandte sich Laura zu. „Oder hast du schon wieder die Kaffeemaschine bei euch leer gesoffen?“
Laura stöhnte. „Fast, aber Eiskaffee ist in Ordnung. Für mich also auch, Michele!“
Eva schaute ihre Tochter fragend an: „Und? Was ist los, dass du mich so dringend sprechen wolltest?“
„Mom, ich muss es einfach jemandem erzählen, und auf dem Revier würde mich Gerland vierteilen, wenn ich auch nur andeutungsweise darüber lachen würde!“, begann Laura mit breiten Grinsen. „Kannst du dir das vorstellen? Gestern Nacht haben sie das Auto vom Gerland gestohlen. Bei ihm vom Hof, einfach so. Ein Kollege musste ihn heute Morgen mit dem Streifenwagen abholen, weil er sonst nicht zum Dienst gekommen wäre! Mann, hat der getobt! Sein nagelneuer Volvo, ihm, einem Polizeihauptkommissar, gestohlen!“
Eva lachte. „Na, endlich mal jemand, der es verdient hat. Da kann ich verstehen, dass du so lachst!“
„Ach, das ist ja erst der Anfang“, meinte Laura und grinste noch breiter. „Wart’s ab, das Beste kommt erst noch. Gerland hat rumgetobt ohne Ende, wir sind alle soweit wir konnten geflüchtet, weil wir seine Tiraden nicht mehr hören konnten. Und dann kam der Anruf. Ein Bauer aus Hespe hatte auf seinem Hof ein fremdes Fahrzeug gefunden, direkt neben dem Güllewagen, mit dem er heute aufs Feld wollte. Ventil des Güllewagens und Seitenfenster des Fahrzeugs geöffnet... Güllewagen leer, Fahrzeug voll und in einer riesigen, stinkenden Lache.“ Sie schüttelte sich vor Lachen. „Und rate mal, wessen Fahrzeug das war?“
Eva fiel in das Lachen ein. „Da brauch ich wohl nicht lange raten!“
„Natürlich hat dieses Stinktier mich hingeschickt, die Sache aufzunehmen, aber, Mom, ich kann dir sagen, das war es mir wert, vor allem, als er sich anschließen die Fotos von seinem Prachtstück auf dem Rechner angesehen hat. Ein Bild für die Götter! Ich frag mich, ob man den Wagen überhaupt jemals wieder nutzen kann!“
Gemeinsam genossen sie ihren Eiskaffee, den Michele mittlerweile gebracht hatte, und unterhielten sich über alles Mögliche. Als Eva gerade zahlen wollte, kam eine ältere Dame herein und steuerte auf ihren Tisch zu. Eva blickte auf.
„Frau Stahlhut? Ach, das ist ja schön, Sie mal wieder zu sehen! Sind Sie immer noch am Adolfinum? Wie geht es Ihnen?“
„Danke, gut. Und Ihnen, Frau Brunsen? Hallo Laura! Oder muss ich jetzt auch zu dir Frau Brunsen sagen?“
„Ach, bloß nicht, Frau Stahlhut, das haben Sie doch früher auch nie! Laura passt schon! Mom, das ist übrigens der Termin, von dem ich dir erzählt hab ...“
„Oh, dann breche ich am besten jetzt wirklich auf, und lass euch allein!“
„Ach, Frau Brunsen, bleiben Sie doch hier. Mir ist das alles ein wenig unangenehm, und Laura ist doch noch so jung ... Ich wäre sehr froh, wenn Sie dabei wären!“
„Frau Stahlhut, eigentlich darf ich das nicht, aber da wir dies Gespräch eh nicht in der Dienststelle führen, bekomm ich sowieso eins auf die Mütze, wenn mein Chef das erfährt.“ Sie fing wieder an zu kichern. „Aber der ist ja zum Glück momentan anderweitig beschäftigt. Mom, ich muss dich aber bitten, dies alles ganz vertraulich zu behandeln!“
Eva nickte. „Selbstverständlich, Liebes, ich kann schweigen!“
Laura wandte sich ihrer alten Lehrerin zu: „Frau Stahlhut, weswegen haben Sie mich denn um dies Treffen gebeten?“
„Oh, Laura, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Um es ganz kurz zu sagen: Zwei meiner Schülerinnen in der 7. Klasse, die bislang zu den besten der Klasse gehörten, sind in den letzten Wochen plötzlich sehr still geworden undhaben immer schlechtere Noten geschrieben. Als ich beide zu einem Gespräch gebeten habe, weigerten sie sich zunächst. Ich habe jedoch immer wieder nachgehakt, und schließlich sind sie dann doch gekommen. Als ich ein paar Fragen stellte, brachen sie plötzlich in Tränen aus und erzählten mir, dass sie beide vor einiger Zeit von diesem neuen Aushilfshausmeister, der sich um die Sporthalle kümmert, nach dem Schulsport in der Umkleide eingeschlossen worden waren. Erst dachten sie, es sei ein Versehen gewesen, und nachdem sie eine Weile vergeblich gerufen hatten, öffnete er schließlich die Tür. Doch statt die Mädchen rauszulassen, versperrte er sie hinter sich wieder. Und dann hat er ...“, sie unterbrach sich und blickte hilfesuchend zu Eva. Eva schaute bestürzt zwischen ihr und ihrer Tochter hin und her. Laura wandte sich um.
„Carlo, bitte schnell mal ein Mineralwasser!“
Sie nahm die Hand ihrer Lehrerin.
„Ganz ruhig!“
Michele stellte ein Glas auf den Tisch.
„Hier, trinken Sie erst einmal!“
Die Lehrerin nahm einen tiefen Schluck und fuhr fort: „Die Mädchen haben mir genau beschrieben, was er getan hat, aber ich kann das einfach nicht wiedergeben. Kurz und gut, der Mann hat sie missbraucht und sie bedroht, dass er sie umbringen würde, wenn sie etwas erzählten.“ Sie seufzte tief und trank erneut aus dem Glas. „Was soll ich nur machen?“
Laura blickte ihre Mutter an und sprach dann beruhigend zu ihrer Lehrerin: „Frau Stahlhut, das Wichtigste, was Sie tun können, haben Sie bereits getan, nämlich mir die Sache mitgeteilt. Leider müssen wir diese Sache aber doch auf der Dienststelle aufnehmen, und dann brauche ich auch die Namen der Mädchen. Und dann wird die Sache ihren Lauf nehmen. Danke, dass Sie damit zu mir gekommen sind!“
Eva erhob sich, gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und nickte der Lehrerin zu. „Ich glaube, ich verabschiede mich jetzt wirklich besser! Das ist wirklich mehr etwas für die Fachfrau! Bist du zum Abendessen da?“
„Ich denke schon, Mom, man sieht sich!“
Als am übernächsten Morgen in der Zeitung berichtet wurde, dass am Vortag ein gewisser Martin Z., 53 Jahre, der aushilfsweise als Hallenwart der Kreissporthalle gearbeitet hatte, tot im Schlossgraben gefunden worden war, verspürte Eva zunächst Genugtuung. Sie dachte an das Gespräch im Napoli und die Wut, die sie verspürt hatte. Doch dann stutzte sie, dachte an die anderen Gespräche in den Tagen zuvor. Langsam kam ihr ein unangenehmer Gedanke, ein Verdacht. Sie griff zum Telefon, wählte die Nummern der drei Freundinnen, sagte nur „Vier Eiskaffee, sofort“ und legte wieder auf. Dann schnappte sie sich die Autoschlüssel und fuhr in die Innenstadt.
Sie war die Erste im Napoli, begrüßte Carlo und bestellte die obligatorischen Eiskaffees.
„Die anderen kommen gleich nach“, meinte sie, sah sich um und fragte dann irritiert: „Sag mal, wo ist eigentlich Michele?“
„Oh, der musste ganz plötzlich wieder nach Italien, wichtige Familienangelegenheit. Du weißt doch, wenn so ein sizilianischer Papa ruft ... dann kommt man.“
Eva seufzte. Wie schade, der Mann hatte wirklich ein einmaliges Gespür bewiesen für das, was Frauen gut tut.
Nach einigen Klingelzeichen sprang ein Anrufbeantworter an. Sie fluchte leise.
„Silvia, wo treibst du dich rum? Ich kann nicht glauben, dass du nicht da bist! He, wo auch immer du gerade steckst, komm her und nimm den Hörer ab!“ Sie wollte gerade Luft holen, um laut nach Silvia zu rufen, als es in der Leitung knackte.
„Eva? Mensch, du alte Nervensäge, du weißt doch, dass ich Nachtdienst habe. Kannst du mir nicht einmal meinen wohlverdienten Schönheitsschlaf gönnen? Was ist denn so wichtig, dass du wie eine Verrückte nach mir rumbrüllst?“
„Oops, das hatte ich total vergessen, ich dachte du bist erst nächste Woche wieder dran. Tut mir leid. Wie kann ich das nur wieder gutmachen? Wie wär’s mit ’nem Eiskaffee, wenn du jetzt eh schon wach bist?“
Silvia murmelte etwas Unverständliches.
„Soll ich bei dir rumkommen oder treffen wir uns bei Carlo?“
„Wenn du so schon fragst, hol mich ab, aber lass mir wenigstens noch ein paar Minuten, damit ich mich im Spiegel wieder erkenne. In einer Viertelstunde?“
Klaro!“ Eva legte auf. Sie atmete tief durch. Vor wenigen Minuten hatte Karin sich völlig aufgelöst bei ihr gemeldet und sie gefragt, ob sie die Mädels alarmieren und ins Napoli, das Eiscafé ihres gemeinsamen Cousins Carlo, kommen könne. Eva hatte daraufhin Maja angerufen, die vermutlich auch bereits unterwegs war, und grübelte jetzt, was wohl passiert sein könnte, was Karin an den Rand der Hysterie gebracht hatte. Das letzte so plötzlich einberufene Treffen hatte es gegeben, als Robin Hood, ihre völlig durchgeknallte Killerkatze, einen lebenden Vogel ins Haus gebracht hatte und bei der Jagd nach Vogel und Katze das halbe Wohnzimmer ruiniert worden und sie einem Nervenzusammenbruch nahe war. Auf die Freundinnen war eben immer Verlass.
Auf dem Weg von Silvias Haus in die Bückeburger Innenstadt überlegten sie gemeinsam, was geschehen sein könnte. Hatte vielleicht der Große von Karin wieder einmal Ärger in der Schule? Vor ein paar Monaten war er mit ein paar Freunden auf dem Parkplatz an der Kindertagesstätte mit einer Bong erwischt worden. Er hatte zwar standhaft beteuert, selbst nicht geraucht zu haben, sondern nur dabei gewesen zu sein, aber die Klassenkonferenz und das ganze Trara waren mehr als ärgerlich gewesen.
Als sie die Eisdiele betraten, winkte Maja sie zu ihrem Stammplatz ganz hinten im Raum. Beim Näherkommen sahen sie die rot geheulten Augen Karins und ein halbes Dutzend Taschentücher neben ihr auf der Bank. Während Silvia sich sofort neben Karin in die Bank schob und tröstend einen Arm um sie legte, fragte Eva Maja flüsternd:
„Schon was bestellt?“
„Nein, wir hatten auf euch gewartet!“ Sie drehte sich Carlo zu um, der erwartungsvoll am Tresen stand.
„Vier Eiskaffee, bitte!“
Dann wandte auch sie sich Karin zu und sagte: „Nun erzähl den anderen schon, was dein feiner Heiko sich diesmal geleistet hat!“
Karin schnäuzte sich noch einmal.
„Meiner? Diesen Drecksack kannste geschenkt haben! Ich hasse dieses Schwein!“
„Psssst! Ganz ruhig!“, versuchte Eva sie zu beruhigen. „Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?“
Karin setzte zu einer Antwort an, aber dann schossen ihr wieder die Tränen in die Augen und fing an hemmungslos zu weinen. Silvia drückte sie an sich und blickte Maja an.
„Weißt du Bescheid?“
Maja nickte.
„Karin hat mir eben schon erzählt, dass Heiko gestern Abend, als sie mit ihrer Schwester im Kino war, die halbe Bude ausgeräumt hat und nur einen Zettel hinterlassen hat, dass er jetzt mit der Everding vom Empfang bei denen auf dem Amt zusammen ist. Er wohnt jetzt vorläufig in einer Schrebergartenhüttte, die sein Onkel im Bergdorfer Hof hat.“
Ihr Bericht wurde von einem braungebrannten jungen Mann unterbrochen, der mit einem Tablett und ihren Eiskaffees an den Tisch trat.
„Huch, ein neues Gesicht?“, wandte sich Eva an Carlo. „Wer ist denn das?“
„Erkennst du ihn nicht?“, fragte Carlo zurück. „Das ist Cousin Michele, der hat dir früher, wenn wir alle mit Papa in Italien waren, doch immer deine Luftmatratze weggenommen und deine Sachen versteckt! Der Jüngste von Zia Anna! Er ist für den Sommer hier zu Besuch, um ein wenig besser Deutsch zu lernen!“
Eva stand auf. „Ciao, Michele, come stai? Erinnerst du dich an mich, Eva? Und das da drüben ist Silvia, die kennst du sicher auch noch.“ Sie wies auf Silvia, die ihm zu winkte.
Michele stellte die Eiskaffees ab, ergriff erst Evas und dann Silvias Hand, deutete jeweils einen Handkuss an und erwiderte strahlend: „Natüüürliche erinnere ich. Due belle ragazze! Aber wer ist questa Signora molto triste?“
„Oh, das ist unsere Freundin Karin. Ihr Mann hat sie gerade verlassen, und deshalb ist sie etwas aufgewühlt. Und das ist Maja, auch eine Freundin von uns.“
Michele nickte den beiden zu und begab sich wieder hinter die Theke, wo er begann, intensiv mit gesenkter Stimme auf Carlo einzureden.
Karin hatte mittlerweile ein wenig vom Eiskaffee genascht und sich wieder etwas beruhigt.
„Dieser Mistkerl hat doch tatsächlich die Stereoanlage, den neuen Fernseher und den Computer mitgenommen, und das tolle alte Sideboard, das wir letztes Jahr aus Frankreich mitgebracht haben, auch. Das Konto ist leer, und vermutlich hat er auch das Sparkonto geplündert, wie ich ihn kenne. Und dann einfach so abzuhauen, hatte nicht mal den Mut, es mir selbst zu sagen. Ich frag mich, wie lange er das mit der blöden Kuh schon hat! Am liebsten würd’ ich ins Rathaus gehen und dem so in die Kronjuwelen treten, dass das blöde Weib die nächsten Wochen nichts von ihm hat. Ich könnte ...“
„Komm mal wieder runter, Süße das bringt nichts.“ Silvia legte ihr die Hand auf den Arm. „Du willst dir doch nicht dein hübsches Knie kaputt machen! Genieß jetzt erstmal deinen Eiskaffee und dann überlegen wir in aller Ruhe, wie wir Heiko richtig drankriegen. Ich glaub, ich kenn da einen wirklich guten Anwalt.“
Eva fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand. Eben hatte sie in den Schaumburger Nachrichten die Mitteilung gelesen, dass am Vorabend in Bückeburg es im Kleingartenverein gebrannt hatte. Sofort hatte sie Maja angerufen, die vor einem Jahr ganz in der Nähe eine wunderschöne Jugendstilvilla gekauft hatte, und gefragt, ob sie etwas mitbekommen habe. Die Antwort war nicht zu fassen.
„Klar haben wir das mitbekommen, die Einsatzfahrzeuge sind ja direkt vor unserer Tür entlanggefahren! Und Uli ist dann sofort hin, falls ein Arzt gebraucht worden wäre. So, und jetzt halt dich fest! Weißt du, wessen Hütte da niedergebrannt ist? Die von Heikos Onkel! Als Uli dort noch stand und sich mit Bekannten unterhielt, kam Heiko kreideweiß den Weg runter gerannt. Der war völlig durch den Wind und hat irgendwas von noch nicht versichert gesagt. Naja, die Hütte ist nur noch ein Haufen Asche, da ist nicht mehr viel von übrig. Karin fragt übrigens an, ob du heute Termine hast, oder ob wir uns um drei noch mal einen Eiskaffee gönnen können.“
„Hm, eigentlich hatte ich mich mit Laura treffen wollen, wenn sie Dienstschluss hat. Auch wenn sie noch hier zu Hause wohnt, sieht man sich kaum noch!“
„Komm, Eva, deine Tochter wird wohl kaum plötzlich was gegen deine allerbesten Freundinnen haben... und vielleicht hat sie ja sogar ein paar Neuigkeiten wegen dieses ach so schrecklichen Brandes! Überred sie einfach! Und ich ruf Maja an und sag ihr Bescheid! Bis nachher dann!“
Als Laura in die Eisdiele kam und sich aus ihrer engen Motorradjacke schälte, saßen die vier Freundinnen schon beieinander. An der Theke blieb sie kurz stehen und warf Carlo eine Kusshand zu.
„Ciao, Carlo! Für mich heute ein Spaghetti-Eis, ich hab heut bereits zweimal die Kaffeemaschine in der Dienststelle leer getrunken und kann keinen Kaffee mehr sehen! Und wo ist unser neuer italienischer Cousin?“
Carlo wies nach draußen, wo Michele gerade die Sonnenschirme aufspannte.
„Aber jetzt husch, Kleines, die alten Damen warten schon!“
Eva wandte sich um: „Carlo, glaub nicht, dass wir das nicht gehört haben! So alt sind wir nicht, und du bist immer noch drei Monate älter als ich, vergiss das nie!“
Laura zog einen Stuhl an den Tisch, streckte ihre langen Beine aus und seufzte.
„Uff, das war mal wieder ein bescheidener Tag. Erst dieser blöde Brand und dann hat mich der Gerland an die Weser geschickt, ne Wasserleiche!“ Sie verzog das Gesicht. „Vermutlich die alte Dame, die letzte Woche in Corvey dem Altersheim abhanden gekommen ist. Ich frag mich, was der gegen mich hat, dass ich immer zu diesen ekligen Sachen hin muss. Vermutlich, weil ich ne Frau bin. Mit Melanie soll er das ja auch gemacht haben, deswegen hat die sich ja auch versetzen lassen. Ein echter Chauvi!“
Die Freundinnen lachten, denn die Schimpftiraden über Lauras Vorgesetzten kannten sie, seit diese in der Bückeburger Polizeidienststelle arbeitete.
Maja beugte sich vor: „Sag mal, Eva, der blöde Brand, den du erwähnt hast, ist doch nicht der in der Gartenanlage?“
„Doch, genau der!“ Sie schaute Karin an. „Dein Mann war ja wirklich durch den Wind. Hat angegeben, dass er Möbel und Geräte für zigtausend Euro dort gehabt hätte und am Wochenende eine Versicherung hatte abschließen wollen. Tja, und nun ist alles futsch und keiner der zahlt. Nachdem was Mom mir am Telefon erzählt hat, kann man nur sagen: Geschieht ihm recht!“
„Und wisst ihr schon, was den Brand ausgelöst hat? Oder darfst du dazu nichts sagen?“, fragte Maja.
„Naja, so viel, wie der Presse gesagt wird, kann ich euch wohl auch sagen: Wir wissen es nicht genau. Es gibt keine deutlichen Spuren eines Brandbeschleunigers, aber die Hütte war fast nur aus Holz, es hat seit geraumer Zeit nicht geregnet, und da braucht es nicht viel, um so ein Häuschen abzufackeln. Wenn da erst mal etwas brennt ...“
Maja und die anderen nickten. Karin räusperte sich.
„Könnt ihr euch vorstellen, dass Heiko vorhin angerufen hat? Er hat die letzte Nacht im Ambiente verbracht, und weil ihm das auf Dauer wohl zu teuer ist, hat er gefragt, ob er fürs erste wieder zurück zu uns ziehen könne. Seine Holde hat sich wohl noch nicht von ihrem Noch-Ehemann getrennt, und da kann er nicht unterschlupfen.“
„Und was hast du ihm geantwortet?“, fragte Silvia neugierig.
„ Ich hab ihm unser altes Zelt angeboten, das kann er im Garten seines Onkels aufschlagen!“ Karin tippte sich an die Stirn. „Der soll ja nicht glauben, dass der bei mir noch einen Fuß über die Schwelle setzt. Alles Weitere kann der Anwalt klären. Morgen hab ich einen Termin. Danke übrigens, Silvia, für den Tipp, ich glaub die Kanzlei ist wirklich gut!“
Die Freundinnen lachten.
„Wenn du irgendwie anders reagiert hättest“, meinte Eva, „dann hätten wir dich auch für verrückt erklärt. Der Kerl soll ruhig sehen wo er bleibt!“
„Mom, hast du heut Mittag kurz Zeit?“ Evas Augenbrauen wanderten bis unter den Haaransatz. Wann schon rief ihre Tochter vom Dienst aus an, um sich mit ihr zu verabreden?
„Ist etwas passiert, Laura? Soll ich zu dir auf die Dienststelle kommen?“
„Nee, Mom, das eben nicht! Ich muss dir ganz dringend was erzählen, aber nicht hier! Wir können uns doch wieder bei Carlo treffen, ich hab mich da zu um zwei sowieso verabredet, weil ich mit jemandem sprechen muss, den ich nicht aufs Revier bitten möchte.... Was meinst du, so gegen eins?“
Eva sah auf ihre von Blumenerde schmutzigen Hände und dachte an die ganzen Pflanzen, die noch umgetopft werden mussten. Aber die konnten im Zweifelsfalle warten.
„Klar, ich komme, Kind, wir sehen uns dann!“
Eva und Laura trafen fast zeitgleich am Napoli ein. Michele rückte ihnen die Stühle am Stammtisch der Freundinnen zurecht.
„Zwei Eiskaffee“, bat Eva und wandte sich Laura zu. „Oder hast du schon wieder die Kaffeemaschine bei euch leer gesoffen?“
Laura stöhnte. „Fast, aber Eiskaffee ist in Ordnung. Für mich also auch, Michele!“
Eva schaute ihre Tochter fragend an: „Und? Was ist los, dass du mich so dringend sprechen wolltest?“
„Mom, ich muss es einfach jemandem erzählen, und auf dem Revier würde mich Gerland vierteilen, wenn ich auch nur andeutungsweise darüber lachen würde!“, begann Laura mit breiten Grinsen. „Kannst du dir das vorstellen? Gestern Nacht haben sie das Auto vom Gerland gestohlen. Bei ihm vom Hof, einfach so. Ein Kollege musste ihn heute Morgen mit dem Streifenwagen abholen, weil er sonst nicht zum Dienst gekommen wäre! Mann, hat der getobt! Sein nagelneuer Volvo, ihm, einem Polizeihauptkommissar, gestohlen!“
Eva lachte. „Na, endlich mal jemand, der es verdient hat. Da kann ich verstehen, dass du so lachst!“
„Ach, das ist ja erst der Anfang“, meinte Laura und grinste noch breiter. „Wart’s ab, das Beste kommt erst noch. Gerland hat rumgetobt ohne Ende, wir sind alle soweit wir konnten geflüchtet, weil wir seine Tiraden nicht mehr hören konnten. Und dann kam der Anruf. Ein Bauer aus Hespe hatte auf seinem Hof ein fremdes Fahrzeug gefunden, direkt neben dem Güllewagen, mit dem er heute aufs Feld wollte. Ventil des Güllewagens und Seitenfenster des Fahrzeugs geöffnet... Güllewagen leer, Fahrzeug voll und in einer riesigen, stinkenden Lache.“ Sie schüttelte sich vor Lachen. „Und rate mal, wessen Fahrzeug das war?“
Eva fiel in das Lachen ein. „Da brauch ich wohl nicht lange raten!“
„Natürlich hat dieses Stinktier mich hingeschickt, die Sache aufzunehmen, aber, Mom, ich kann dir sagen, das war es mir wert, vor allem, als er sich anschließen die Fotos von seinem Prachtstück auf dem Rechner angesehen hat. Ein Bild für die Götter! Ich frag mich, ob man den Wagen überhaupt jemals wieder nutzen kann!“
Gemeinsam genossen sie ihren Eiskaffee, den Michele mittlerweile gebracht hatte, und unterhielten sich über alles Mögliche. Als Eva gerade zahlen wollte, kam eine ältere Dame herein und steuerte auf ihren Tisch zu. Eva blickte auf.
„Frau Stahlhut? Ach, das ist ja schön, Sie mal wieder zu sehen! Sind Sie immer noch am Adolfinum? Wie geht es Ihnen?“
„Danke, gut. Und Ihnen, Frau Brunsen? Hallo Laura! Oder muss ich jetzt auch zu dir Frau Brunsen sagen?“
„Ach, bloß nicht, Frau Stahlhut, das haben Sie doch früher auch nie! Laura passt schon! Mom, das ist übrigens der Termin, von dem ich dir erzählt hab ...“
„Oh, dann breche ich am besten jetzt wirklich auf, und lass euch allein!“
„Ach, Frau Brunsen, bleiben Sie doch hier. Mir ist das alles ein wenig unangenehm, und Laura ist doch noch so jung ... Ich wäre sehr froh, wenn Sie dabei wären!“
„Frau Stahlhut, eigentlich darf ich das nicht, aber da wir dies Gespräch eh nicht in der Dienststelle führen, bekomm ich sowieso eins auf die Mütze, wenn mein Chef das erfährt.“ Sie fing wieder an zu kichern. „Aber der ist ja zum Glück momentan anderweitig beschäftigt. Mom, ich muss dich aber bitten, dies alles ganz vertraulich zu behandeln!“
Eva nickte. „Selbstverständlich, Liebes, ich kann schweigen!“
Laura wandte sich ihrer alten Lehrerin zu: „Frau Stahlhut, weswegen haben Sie mich denn um dies Treffen gebeten?“
„Oh, Laura, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Um es ganz kurz zu sagen: Zwei meiner Schülerinnen in der 7. Klasse, die bislang zu den besten der Klasse gehörten, sind in den letzten Wochen plötzlich sehr still geworden undhaben immer schlechtere Noten geschrieben. Als ich beide zu einem Gespräch gebeten habe, weigerten sie sich zunächst. Ich habe jedoch immer wieder nachgehakt, und schließlich sind sie dann doch gekommen. Als ich ein paar Fragen stellte, brachen sie plötzlich in Tränen aus und erzählten mir, dass sie beide vor einiger Zeit von diesem neuen Aushilfshausmeister, der sich um die Sporthalle kümmert, nach dem Schulsport in der Umkleide eingeschlossen worden waren. Erst dachten sie, es sei ein Versehen gewesen, und nachdem sie eine Weile vergeblich gerufen hatten, öffnete er schließlich die Tür. Doch statt die Mädchen rauszulassen, versperrte er sie hinter sich wieder. Und dann hat er ...“, sie unterbrach sich und blickte hilfesuchend zu Eva. Eva schaute bestürzt zwischen ihr und ihrer Tochter hin und her. Laura wandte sich um.
„Carlo, bitte schnell mal ein Mineralwasser!“
Sie nahm die Hand ihrer Lehrerin.
„Ganz ruhig!“
Michele stellte ein Glas auf den Tisch.
„Hier, trinken Sie erst einmal!“
Die Lehrerin nahm einen tiefen Schluck und fuhr fort: „Die Mädchen haben mir genau beschrieben, was er getan hat, aber ich kann das einfach nicht wiedergeben. Kurz und gut, der Mann hat sie missbraucht und sie bedroht, dass er sie umbringen würde, wenn sie etwas erzählten.“ Sie seufzte tief und trank erneut aus dem Glas. „Was soll ich nur machen?“
Laura blickte ihre Mutter an und sprach dann beruhigend zu ihrer Lehrerin: „Frau Stahlhut, das Wichtigste, was Sie tun können, haben Sie bereits getan, nämlich mir die Sache mitgeteilt. Leider müssen wir diese Sache aber doch auf der Dienststelle aufnehmen, und dann brauche ich auch die Namen der Mädchen. Und dann wird die Sache ihren Lauf nehmen. Danke, dass Sie damit zu mir gekommen sind!“
Eva erhob sich, gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und nickte der Lehrerin zu. „Ich glaube, ich verabschiede mich jetzt wirklich besser! Das ist wirklich mehr etwas für die Fachfrau! Bist du zum Abendessen da?“
„Ich denke schon, Mom, man sieht sich!“
Als am übernächsten Morgen in der Zeitung berichtet wurde, dass am Vortag ein gewisser Martin Z., 53 Jahre, der aushilfsweise als Hallenwart der Kreissporthalle gearbeitet hatte, tot im Schlossgraben gefunden worden war, verspürte Eva zunächst Genugtuung. Sie dachte an das Gespräch im Napoli und die Wut, die sie verspürt hatte. Doch dann stutzte sie, dachte an die anderen Gespräche in den Tagen zuvor. Langsam kam ihr ein unangenehmer Gedanke, ein Verdacht. Sie griff zum Telefon, wählte die Nummern der drei Freundinnen, sagte nur „Vier Eiskaffee, sofort“ und legte wieder auf. Dann schnappte sie sich die Autoschlüssel und fuhr in die Innenstadt.
Sie war die Erste im Napoli, begrüßte Carlo und bestellte die obligatorischen Eiskaffees.
„Die anderen kommen gleich nach“, meinte sie, sah sich um und fragte dann irritiert: „Sag mal, wo ist eigentlich Michele?“
„Oh, der musste ganz plötzlich wieder nach Italien, wichtige Familienangelegenheit. Du weißt doch, wenn so ein sizilianischer Papa ruft ... dann kommt man.“
Eva seufzte. Wie schade, der Mann hatte wirklich ein einmaliges Gespür bewiesen für das, was Frauen gut tut.
Anmerkung von Sturmhexe:
Noch in Bearbeitung.... Dies ist eine Version, die von der Länge her begrenzt war.... Tipps?
Kommentare zu diesem Text
Hallo Sturmhexe,
es geht ja ziemlich stürmisch zu in der Kleinstadt.
Ich hab bisher nur gehört, dass Männer nach der Arbeit in die leergeräumte Wohnung kommen )
Und Eva = Mom kann wahrscheinlich so gut schweigen wie ihre Kaffeebande.
Ernsthaft, flüssig geschrieben, hat Spaß gemacht!
Mein Vorschlag, wenn Zeit- oder Ortswechsel stattgefunden hat, nicht nur neuen Absatz, sondern noch eine Leerzeile dazwischen, erleichtert das Verstehen des Ablaufs.
Liebe Grüße TT
es geht ja ziemlich stürmisch zu in der Kleinstadt.
Ich hab bisher nur gehört, dass Männer nach der Arbeit in die leergeräumte Wohnung kommen )
Und Eva = Mom kann wahrscheinlich so gut schweigen wie ihre Kaffeebande.
Ernsthaft, flüssig geschrieben, hat Spaß gemacht!
Mein Vorschlag, wenn Zeit- oder Ortswechsel stattgefunden hat, nicht nur neuen Absatz, sondern noch eine Leerzeile dazwischen, erleichtert das Verstehen des Ablaufs.
Liebe Grüße TT
Danke für das Kompliment! Auf den Vorschlag mit den Extrazeilen komme ich zurück, sobald ich mal wieder an nem Rechner mit richtiger Tastatur sitze und nicht nur auf diesem eipädd rumtipseln kann!