Warum Philosophen anders auftreten

Dialog

von  autoralexanderschwarz

Die Kunst des Starrens (20) - Auftreten

( Warum Philosophen anders auftreten )


"Auch Philosophen treten sichtbar anders auf", sage ich zu Olaf, dem Sohn des Apothekers, nachdem wir eine ganze Weile lebhaft über Castaneda und die "Kunst des Pirschens" diskutiert, irgendwann geschwiegen, schließlich gestarrt und dabei gedacht haben.

"Während der Schamane die Schwerkraft einfach vergisst und sie dadurch zeitweilig aufheben kann, ist sie doch ein unausgesetztes Problem für den Philosophen, der ihr selbst durch die raffiniertesten Gedankengänge nicht entfliehen kann. Beide, das Schamanentum wie die Philosophie, schärfen den Blick, doch es ist eine gänzlich unterschiedliche Schärfe.
Dort, wo der Schamane seinen Blick in den Himmel schleudert, sucht sich der Philosoph einen festen Ast, von dem aus er den Boden argwöhnisch beobachtet. Während dem Schamanen die entferntesten Objekte auf einmal naheliegen, gewöhnen sich die Augen des Philosophen langsam an die Dunkelheit. Dort, wo der Schamane fliegt, beginnt die Verunsicherung des Philosophen, denn sein Studium des Bodens muss ihn zunehmend verunsichern; je genauer er den Boden betrachtet, desto vielfältiger wird das, was er dort erkennt, und wenn er nicht an diesem Punkt der Philosophie den Rücken kehrt und ein normales Leben führt, erreicht sein Blick eine Schärfe, die ihn über die bloße Fläche hinaus und so durch den Boden hindurch blicken lässt. Auf einmal sieht er das morsche Gebälk, auf dem alles ruht, den Abgrund, der sich darunter öffnet und die Abgründe der Abgründe darunter. Auf einmal spürt er auch den Wind, der in solchen Höhen heimtückisch an dem Körper reißt, irgendwann begreift er den Moment als Brücke über diesem Abgrund. Wer eine solche Luft geschmeckt hat, den nenne ich einen wahren Philosophen und ein solcher Philosoph tritt anders auf, eben weil er fühlt, dass der feste Boden, auf dem die anderen stehen, nichts als eine morsche Sprosse ist", sage ich voller Pathos zu Olaf, dem Sohn des Apothekers. So wie die Kunst des Pirschens den Schamanen verrät, verrät das vorsichtige Auftreten den Philosophen."

"Das halte ich aber für arg konstruiert", antwortet Olaf, der Sohn des Apothekers, bevor ich Gelegenheit habe meinen Gedanken weiter auszuführen, "nicht nur weil mir die Verbindung von Philosophie und Schamanentum sehr willkürlich erscheint, sondern auch weil du die Frechheit besitzt, alle Philosophen und alle Schamanen unter einen Hut zu packen", sagt Olaf, der Sohn des Apothekers lächelnd und streicht sich dabei - wie ich denke unbewusst - mit dem Handrücken über seine rote Mütze.

"Du brauchst dir gar nicht so selbstverliebt über deine rote Mütze zu streichen", sage ich zu Olaf, dem Sohn des Apothekers, "und natürlich kann ich alle Schamanen und alle Philosophen unter einen Hut packen, wenn ich über ein konstitutives Element des Schamanentums oder der Philosophie spreche", sage ich und unterdrücke den - unbewussten - Impuls mir über die eigene - blaue - Mütze zu streichen. "Ohnehin wollte ich ja auch nur darauf hinaus, dass die Kunst des Starrens aus einem solchen Blickwinkel eine Vereinigung der Philosophie und des Schamanentums wäre", sage ich und kann nicht verhindern, dass meine Worte dabei fast beleidigt klingen.

"Jetzt wolltest du dir selbst über deine blaue Mütze streichen", sagt Olaf, der Sohn des Apothekers, der mich gut kennt und in solchen Momenten durchschaut, "und du kannst kein stabiles Haus auf einem krummen und schiefen Fundament bauen", ergänzt Olaf, der Sohn des Apothekers, und lacht, weil ihm sein Bild die Möglichkeit gibt, meine Gedanken als "krumm" und "schief" zu bezeichnen, "wenn du all die examinierten, habilitierten und das umso größere Heer der selbsternannten Philosophen und Schamanen befragen würdest, gäbe es da wohl einige, die sich ganz gegensätzlich zu deinem Bild verhalten würden, Hans-guck-in-die-Luft-Philosophen, die sich Geschichten über den Mond ausdenken, ebenso wie deprimierte und zugleich deprimierende Schamanen, die nicht nur den Abgrund unter dem Boden sehen, sondern zugleich auch noch Angst haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, na, was sagst du jetzt, ach ja, ich weiß: das sind ja alles gar keine "wahren" Philosophen und Schamanen, weil sie ja nicht über deine konstitutiven Merkmale verfügen, kurz: wenn du dir anmaßt zu bestimmen, was das Schamanentum oder die Philosophie ausmacht, dann brauchen wir an dieser Stelle gar nicht weiter zu diskutieren."

Das letzte sagt er durchaus vorwurfsvoll und obwohl sein Gesicht regungslos bleibt, weiß ich, dass er in diesem Moment ein Lachen unterdrückt. "Das war sehr destruktiv", sage ich schließlich zu Olaf, dem Sohn des Apothekers, nachdem wir eine Weile gestarrt, geschwiegen und dabei gedacht haben, worauf er weiterhin schweigt, aber dabei lächelt, "das war auch äußerst gemein", sage ich, "dass du mir mein Bild zerpflückt und dabei die eigentliche Frage ganz außen vor gelassen hast", sage ich zu Olaf, dem Sohn des Apothekers, und dann: "Glaubst du nicht auch, dass die Kunst des Starrens eine Überschneidung, vielleicht sogar eine Vereinigung der Philosophie und des Schamanentums ist?", frage ich Olaf, den Sohn des Apothekers.
Hierauf schweigen wir, denken und starren, während um uns herum die Zeit verstreicht und wir selbst die Schwerkraft für einen Moment vergessen.
"Vielleicht hast du Recht", sagt Olaf, der Sohn des Apothekers nach einer Weile, aber er sagt es nicht abschließend.

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Kommentare zu diesem Text

Piroschka (55)
(19.11.18)
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 19.11.18:
Grüße zurück und danke für den Kommentar.
Dieter Wal (58)
(19.11.18)
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 autoralexanderschwarz antwortete darauf am 19.11.18:
Also Nietzsche hat mich ohne Frage an vielen Stellen beeinflusst, aber Urheber dieser „Macke“ ist in diesem Fall Thomas Bernhard, genauer die Bücher „Holzfällen“ und „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“. Ich habe damals direkt nach der Lektüre mit der Kunst-des-Starrens-Reihe begonnen. Thomas Bernhards „Frost“ halte ich persönlich (das möchte ich hier noch ergänzen) übrigens für eines der besten Bücher der deutschsprachigen Literatur.
Dieter Wal (58) schrieb daraufhin am 19.11.18:
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 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 20.11.18:
Schlechte Erfahrungen gemacht? Mit Schamanen oder Philosophen? Was hat dich nur so wütend gemacht? Ich mache niemanden für meinen schlechten Stil oder meinen Murks (!) verantwortlich. Und ob du es glaubst oder nicht: die repetitiven Elemente sind nicht Ausdruck mangelnder Überarbeitung sondern Absicht.
Dieter Wal (58) ergänzte dazu am 20.11.18:
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 20.11.18:
Ich persönlich empfinde sie als lustig, zumal der eine der beiden Protagonisten - Olaf, der Sohn des Apothekers - es nicht leiden kann, wenn er auf den Beruf seines Vaters - Apotheker - reduziert wird. In vielen der anderen Kunst-des-Starrens-Texten ist dies sogar noch penetranter. So ähnlich ist das bei Bernhard, wenn bspw. der Protagonist in dem Peymanntext im rustenschacherischen Laden immer wieder "tschechische Ausschussware" sagt oder wenn in Holzfällen der "Ohrensessel" immer wieder benannt wird. .
Dieter Wal (58) meinte dazu am 20.11.18:
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 20.11.18:
Naja, das muss dir ja auch nicht gefallen, aber das du es direkt in dieser Härte geißelst, missfällt mir doch durchaus. Ist das so ne Art Retourkutsche, weil mir dein Aphorismus nicht gefiel bzw. ich dessen Ironie nicht erfassen konnte? Und inwiefern das "grotesk" sein soll, erschließt sich mir (nach meinem Verständnis dieses Begriffes) auch nicht.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 20.11.18:
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 20.11.18:
Ich habe überhaupt nichts gegen Kritik, der Ton macht bekanntlich die Musik. "Murks" und "Scheiß" sind m. E. nur sehr selten Begriffe, die im Rahmen konstruktiver Kritik verwendet werden. Ich verstehe schon, dass dich die Wiederholungen stören. Dass ich das jetzt nicht direkt ändere, heißt auch mitnichten, dass ich aus Selbstherrlichkeit oder gar Faulheit die von dir angeregte Änderung nicht umsetze (was du insinuierst). Ich sehe das einfach anders als du.

Antwort geändert am 20.11.2018 um 17:56 Uhr

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 20.11.18:
Wenn ich aus der Reihe lese, lachen die Leute übrigens zumeist an genau diesen Stellen besonders laut. Das ist auch kein ernsthafter (philosophischer) Text, das ist letztendlich nur Klamauk und diese Wiederholung eine Art Running Gag, der - das nehme ich zur Kenntnis - eben nicht von jedem als solcher empfunden wird.

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 20.11.18:
Und hier mal ein Auszug vom von dir so hoch geschätzten Bernhard (der das ohne Frage besser macht als ich). Wie hättest du dies denn kommentiert?

Während ich, bevor Karrer verrückt geworden ist, nur am Mittwoch mit Oehler gegangen bin, gehe ich jetzt nachdem Karrer verrückt geworden ist, auch am Montag mit Oehler. Weil Karrer am Montag mit mir gegangen ist, gehen Sie, nachdem Karrer am Montag nicht mehr mit mir geht, auch am Montag mit mir, sagt Oehler, nachdem Karrer verrückt und sofort nach Steinhof hinaufgekommen ist. Und ohne zu zögern, habe ich zu Oehler gesagt, gut, gehen wir auch am Montag, nachdem Karrer verrückt geworden ist und in Steinhof ist. Während wir am Mittwoch immer in die eine (in die östliche) Richtung gehen, gehen wir am Montag in die westliche, auffallenderweise gehen wir am Montag viel schneller als am Mittwoch, wahrscheinlich, denke ich, ist Oehler mit Karrer immer viel schneller gegangen als mit mir, weil er am Mittwoch viel langsamer, am Montag viel schneller geht. Aus Gewohnheit gehe ich, sehen Sie, sagt Oehler, am Montag viel schneller als am Mittwoch, weil ich mit Karrer (also am Montag) immer viel schneller gegangen bin als mit Ihnen (am Mittwoch). Weil Sie, nachdem Karrer verrückt geworden ist, nicht mehr nur am Mittwoch, sondern auch am Montag mit mir gehen, brauche ich meine Gewohnheit, am Montag und am Mittwoch zu gehen, nicht zu ändern, sagt Oehler, freilich haben Sie, weil Sie jetzt Mittwoch und Montag mit mir gehen, Ihre Gewohnheit sehr wohl verändern müssen und zwar in für Sie wahrscheinlich unglaublicher Weise verändern müssen, sagt Oehler. Es sei aber gut, sagt Oehler und er sagt in unmissverständlich belehrendem Ton, von größter Wichtigkeit für den Organismus, ab und zu nicht in zu großem Zeitabstand, die Gewohnheit zu ändern, und er denke nicht nur an ändern, sondern an ein radikales Ändern der Gewohnheit. Sie ändern Ihre Gewohnheit, sagt Oehler, indem Sie jetzt nicht nur am Mittwoch, sondern auch am Montag mit mir gehen und das heißt jetzt abwechselnd mit mir in die eine (in die Mittwoch-) und in die andere (in die Montag-) Richtung, während ich meine Gewohnheit dadurch ändere, dass ich bis jetzt immer Mittwoch mit Ihnen, Montag aber mit Karrer gegangen bin, jetzt aber Montag und Mittwoch und also auch Montag mit Ihnen gehe und also mit Ihnen Mittwoch in die eine (in die östliche) und Montag mit Ihnen in die andere (in die westliche) Richtung. Außerdem gehe ich zweifellos und naturgemäß mit Ihnen anders als mit Karrer, sagt Oehler, weil es sich bei Karrer um einen ganz anderen Menschen als bei Ihnen und also bei Karrers Gehen (und also Denken) um ein ganz anderes Gehen (und also Denken) handelt, sagt Oehler. Er, Oehler, habe durch die Tatsache, dass ich, nachdem Karrer verrückt geworden und nach Steinhof, Oehler sagt, wahrscheinlich endgültig nach Steinhof gekommen ist, Oehler vor der Entsetzlichkeit, so er selbst, gerettet, am Montag allein gehen zu müssen; dann wäre ich am Montag überhaupt nicht mehr gegangen, sagt Oehler, denn es gibt nichts Entsetzlicheres, als am Montag allein gehen zu müssen. Montag, sagt Oehler und allein gehen zu müssen, ist das Entsetzlichste. Mir ist der Gedanke ganz einfach unvorstellbar, sagt Oehler, dass Sie Montag nicht mit mir gehen. Und dass ich also Montag allein gehen muss, was mir ganz unvorstellbar ist. Während Oehler die Gewohnheit hat, seinen Mantel vollkommen geschlossen zu tragen, trage ich meinen Mantel vollkommen offen. Was, denke ich, bei ihm auf eine fortwährende Angst vor Verkühlung und Erkältung bei offenem Mantel zurückzuführen ist, ist bei mir auf meine fortwährende Angst, in geschlossenem Mantel ersticken zu müssen, zurückzuführen. Und so hat Oehler tatsächlich fortwährend Angst, erfrieren zu müssen, während ich fortwährend Angst habe, ersticken zu müssen. Während Oehler hohe, bis über seine Knöchel hinaufreichende Schuhe anhat, habe ich Halbschuhe an, weil ich nichts mehr hasse als hohe, wie Oehler nichts mehr als Halbschuhe hasst. Eine Ungezogenheit (und eine Dummheit!), sagt Oehler immer wieder, in Halbschuhen zu gehen, eine Unsinnigkeit, in solchen hohen schweren Schuhen zu gehen, sage ich.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 20.11.18:
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 20.11.18:
Das kann ich vollkommen nachvollziehen, denke, dass das zwar deine subjektive Rezeption ist, aber wohl den meisten anderen Lesern ähnlich geht. Ganz ungeachtet dessen hat mir unser kleiner Disput gerade Lust gemacht, etwas Neues mit Wiederholungen zu schreiben. Dafür Dank & Gruß
AlX
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