Sein letzter Kampf XIV

Erzählung zum Thema Alles und Nichts...

von  pentz

Wir legten einen Affenzahn drauf, ja, ziemlich hurtig waren wir unterwegs, denn sie lief, ganz Busch-, Savannen- und Steppenmensch, mit schnellen, langen Schritten voran, ich musste mich ranhalten, kam aus der Puste und pfiff sie immer wieder zurück: „He, stehen bleiben! Du verrücktes Vieh!“ Gelobt sei’s, dass ich diesen Ausdruck im Dialekt ausstieß, den sie nicht verstand, noch nicht.
Ich war gezwungen, zu solch drastischen Mitteln zu greifen, denn das Steppentier vor mir murmelte wie eine vom Teufel Besessene irgendwelche Gebete, Fürbitten und Formeln vor sich hin. Gewisse Gesten waren unübersehbar. Ich musste sie stoppen, weil es nachgerade auch zu auffällig war. Schauten die Leute schon?
Aber sie sprach mit ihrem Gott oder dem, was davon übriggeblieben war. Dagegen war kein Unkraut gewachsen. „Es ist eine Sünde, Selbstmord zu machen. Es ist eine Sünde!“, stieß sie aus und blieb stehen. Ich atmete auf: „Endlich!“ Ich konnte etwas verschnaufen.
„Das hatte mir gerade noch gefehlt, dass die den Schwanz einzieht, kurz davor!“, stieß ich andererseits sofort aus.
Sie stand zur Salzsäure erstarrt da, ihre Arme gen Himmel gehoben. Sie suchte nach einem Zeichen, nach einem Blitzeinschlag, der sie aufwecken würde, eine Offenbarung. Mir war sofort klar, jetzt waren die entscheidenden Minuten, nun durfte ich nicht versagen. Sonst war alles umsonst, was wir die letzten Wochen geplant, gemacht, konstruiert und gebastelt haben. Es stand zu viel auf dem Spiel, ich glaube, ich hätte sie mit Sicherheit noch mit der MG bedroht, was aber nicht nötig war. Ich war einfach zu allem entschlossen und da ging ich bis zum Letzten und setzte alles aufs Spiel.
Ich schüttelte sie heftig an den Schultern und redete auf sie ein, ihre Selbstzweifel nährte ich, ihre Erzählungen und Gedanken mit und über ihren fehlenden Gott in einer Welt, wo er keinen Platz mehr hatte. Dann schnaufte sie tief aus und rannte wieder los, ich hinterher, noch bestrebter, ihr folgen zu können, allzu oft konnte ich sie nicht von unserem Plan überzeugen. Ich glaubte ja nicht an das, was dieses verrückte, scheue Zebra da antrieb, denn für mich war Gott tot.
Als wir endlich, endlich ankamen, zuckte ich angesichts dieses Gebäudes vor uns zusammen. Ein Plattenbau mit blanken, grauen, betonernen, dicken Platten, zu einem vielgeometrischen Gebilde zusammengefügt, hatte, als pures Reißbrett-Modell, etwas Bestialisches, Insektenhaftes, Kahles an sich, nicht den Funken von Leben in sich.
„Studieren hier zukünftige Akademiker?“
„Ja, das ist schon die passende Beherbergung der Naturwissenschaftler!“, hat sie prompt gesagt, als hätte sie nur auf meine Aussage des Zweifels gewartet. Dann hat sie weiter geredet von wegen, das läge in der Sache der Natur, oder dem Objekt deren Studium, dass die in solchen Kästen büffelten.
„Heißt das nicht aber „In-Der-Natur-Der-Sache“?
„Nein, nein!“, widersprach die Besessene.
Ich verstand das nicht, was sie sagte. Aber egal!
Bei allem Respekt vor dieser Kaste Akademiker, aber sie sank hiermit abrupt wie eine schwerer Sack und gebrochener Lift in den Keller. In so etwas ging man zum Studieren und nicht zum Malochen oder stupiden Industriearbeit? Anderseits, betrachtete ich Willi, der kochte auch bloß mit Wasser, der Herr Philosoph. War er nicht von einer ganz anderen Fakultät?
Letztlich ist es egal, wo die Bombe hochgeht!
„Sie soll schon diejenigen schaden, denen wir diese Erfindung zu verdanken haben!“, hat die Negerin erneut sofort widersprochen. Allmählich zehrte ihr Widerstandsgeist an meinen Nerven, auch wenn sie Recht hatte.
„Wie meinst Du das jetzt?“
„Die haben doch das Pulver, das Dynamit erfunden.“
„Ja, und?“
„Der Nobel war’s! Und seine ehrwürdige Akademie vergibt jedes Jahr einen Friedensnobelpreis. Stinkt das nicht zum Himmel?“
„Ah, wieso?“
„Na, das Geld, das die Nobel-Gesellschaft vom Verkauf und Patent des Dynamits und Pulvers verdient, wird dafür verwendet, um Mensch und Organisationen zu ehren und zu belohnen, die sich angeblich für den Frieden eingesetzt haben?“
Negerlogik, verstehe das, wer will, wenngleich ich ein bisschen ins Grübeln kam, nicht lange, bis ich wieder klar denken konnte: Wurscht. Hauptsache Schaden, Mord, Blut, Verwüstung, Tod, hol’s der Teufel...

Als sie in diesem Gebilde verschwand, atmete ich auf – zunächst.
Etwas vorübergebeugt, meinen Rücken übermäßig gewölbt, stand ich abgestützt auf meinem Rollator, und schaute spitzwinklig von unten herauf auf das vor mir in die alte Stadtmauer-Fassaden hineingebaute und –gezwängte Gebäude. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass hier einmal so ein schönes klassizistisches Gebäude gestanden hat, dass man für dieses neue Beton-Konstrukt eliminiert haben musste.
Ich wankte.
Mann, wo war mein Deutschland geblieben? Wer hat es mir weggenommen?
Mein  Brustkorb hob und senkte sich und ich schnaubte stark.
Ich kannte mich hier nicht mehr aus. Aber ich war doch hier zu Hause?
Ich war außer Atem.
Wie oft bin ich hier hin und hergegangen? In die Schule, nach Hause, in den Kindergarten...
Meine Hände verkrampften sich um die Haltegriffe meines Gefährtes, ich drückte fester zu, weil ich wusste, sie zitterten.
Bekam ich bald die Parkinson-Krankheit?
Was sich hier so radikal verändert hat, waren doch nicht die Bomben der Feinde gewesen, nein. Das war der innere Feind, sozusagen. Wer ist das? Mit wem habe ich es zu tun? Wo versteckt er sich? Ich sehe ihn nicht, kein Gesicht taucht vor mir auf, keine Vorstellung. Was geht hier vor? Was macht man mit mir?
Sofort begann das Zittern wieder, schwindlig, übel, sehr unbehaglich wurde mir.
Wo ist das gute, alte Deutschland hinverschwunden? Wer will ihm an den Kraken und warum? Und was ist mit mir los? Ich würde doch nicht vorher, bevor das große Spektakel begann, zusammenbrechen?
Dann fasste ich mich wieder. Wahrscheinlich lag es an meinen Überlegungen, Gedanken, denen ich nachhing.

Die Lage peilen, die Situation einschätzen! Wo stand ich? Was ging vor? Was war angesagt?
Ich schaute an mir herunter.
Ich dachte, gut, dieses Mal hast du dich nicht einer Nazi-Zierde entsprechenden Verkleidung in Schale geworfen, sondern deinem Aussehen noch eine besondere Note gegeben – Stulpenstiefeln. Das war verwegen, ich gestehe. Aber schick! Flott! Akkurat! Martialisch.
Unter dem weiten SS-Mantel, unter dem mein Sturmgewehr versteckt war und bereitlag, lugte diesen Stulpenstiefeln hervor. Sie waren blank geputzt und leuchteten jetzt auf herunterscheinenden Sonne! Ich war so etwas von stolz!
Das andere, an das ich nun dachte, war mit nichtsdestotrotz etwas zwiespältig.
Sicherlich, die beste Idee war eine Faschingsmaske aus Pappmaschee um meinen Quadratschädel gebunden. Sonderanfertigung im Seniorenheim bei einer Sozialtante, Aktion, wir-kneten-und-basteln-uns-unsere eigene-Maske. Das hat mir wirklich Spaß gemacht!
Mit dem Neonazi und der Negerin haben wir folgendes Spiel fortgesetzt: wir-schnüren-uns-unsere-selbstgebastelte-Bombe. Und Mann, das hat noch mehr Spaß gemacht!
Aber zurück zur Realität. Ein gutes Wort, das hier total schief liegt. Es ist immerhin noch Faschingszeit, wer spricht da von Normalität?
Immerhin fällt meine Aufmachung nicht auf. Die perfekte Tarnung also!
Bände sprachen die flüchtigen Blicke, die zuckenden Augenbrauen, das erstickte Staunen, gefolgt von sich beschleunigenden Schritten hinein in den Trubel, in den großen Uniball, in der meine schwarze Kampfgefährtin wartete, bereit, ihren Kordel zu ziehen, damit diejenigen, die es verdient hatten, die ganz großen Großkopferten, dorthin zu befördern, wo sie hingehörten: ins Jenseits.
Das verrückte Huhn wünschte sich sowieso selbst nur noch dorthin, konnte es kaum erwarten...
Wie schwer mir doch dieser Stein vom Herzen gefallen war, als ich sie endlich hineingehen sah, ja.
Aber jetzt hieß es, verlier keine Zeit mehr!
Abrupt setzte ich mich in Position.
Aber schon ein bisschen verrückt. Welcher Clown sitzt schon auf einem Rollator?
Die Passanten dachten, ich sei Artist, Künstler, Animateur, einer derjenigen, die den Uniball ein bisschen beleben, bunter machen und am Laufen halten. Vielleicht ein verrückter Jecke, der sich in diese Ecke Deutschlands verirrt und es verschlagen hat, weil ein Faschingsland war diese Region hier nicht gerade.
Dass ich hinter dieser traurigen Gestalt steckte, berührte mich nicht. Ich würde überleben, das nur zählte. Ich fühlte mich nicht gedemüdigt, mit solchen Sorten Menschen in eine Schublade gesteckt zu werden, mit Clowns, mit traurigen Narren, denn für den finalen Endsieg war mir nichts zu teuer, nichts zu schmutzig, nichts zu blöd!

So stand ich bereit, sobald die wenigen, die der Explosion flohen und aus dem Ausgang rannten, mit meinem Sturmgewehr zu empfangen und möglichst viele von ihnen am Schlawittchen zu packen - und danach unerkannt zu entkommen. Ich verspürte keine Lust, mich erwischen zu lassen, dafür lebte ich zu gerne. Revolutionäre, worunter Nazis in ihrer reinsten Form zählten, gehen schließlich nicht in Rente! Sie geben niemals auf! Wer weiß, was die Zukunft noch zu bieten hatte für mich einen!
Der Aufzug war mir egal, rettete sie mich nur. Ich wollte schnell nach dem Massaker um die Ecke rollen, mich danach sofort meiner Aufmachung entledigen und als harmloser alter Mann mit seinem Rollator durch die Menschenmassen der Fußgängerzone entkommen, unterzutauchen, bevor der Zirkus so richtig anfing, sprich Polizei, Ambulanz und Feuerwehr mit ihrem TaTü-TaTa an den Schauplatz des Ereignisses gedonnert kamen.
Mein Leben war mit dieser Tat erfüllt! Bis zum bitteren Ende hatte ich gekämpft, für meine Sache. Danach durfte ich ruhig in die Alterdemenz untertauchen, verschwinden. Sollte ich über die Geschehnisse etwas brabbeln, würde das ohnehin keiner für bare Münze nehmen.
Andernfalls, kam man mir auf die Schliche, so würde ich, bevor ich etwas ausplauderte, einfach mein Zyankali schlucken. Daran verschluckten sich schon viele meiner Vorkämpfer.
Tradition!
Nichtsdestoweniger!
Wenn es übernötig war. Im Gefängnis lässt es sich auch gut leben, als älterer Mann.
Na ja, ich konnte mir es in Ruhe überlegen. Mein Zahnloch war wohl präpariert. Nur nicht, dass das Gift über die Jahrzehnte seine Wirkung verloren hatte, unwahrscheinlich!
Aber klar, dessen war ich mir bewisst, die Chance zu entrinnen, standen ziemlich schlecht.
Was aber hatte ich schon noch vom Leben? Essen, trinken, onanieren, wenn’s hochkommt mal einen abgewichst bekommen, das war’s. Ist das ein menschwürdiges Leben für einen Kämpfer?
Plötzlich sah ich ein Gesicht nah über meinem, ein junger Student, der sich zu mir heruntergebeugt hatte: „Geht es Ihnen nicht gut? Was ist mit ihnen los? Soll ich Hilfe holen?“
„Wieso?“, stieß ich erschrocken aus.
„Weil sie so rote und blaue Flecken im Gesicht haben?“
Jetzt merkte ich es erst, dass ich unbewusst meine Maske abgesetzt hatte - was man nicht alles tat, wenn man ins Grübeln gerät? Man ist gar nicht mehr Herr seiner eigenen Handlungen.
Aber das hat mir gerade noch gefehlt: Mitleid. Wenn einem Kämpfer von seiner Umwelt Mitgefühl entgegengebracht wird, bedeutete dies nur eins: er wurde nicht mehr erst genommen und war als Kämpfer gestorben.
„Nein, junger Mann, sie täuschen sich, das kommt von der Maske.“ Ich zeigte auf diese und setzte sie mir wieder akkurat auf. So, verpiss Dich, Junge!
Der junge Mann ging weiter, als wäre nichts geschehen. Recht so!
Plötzlich standen zwei blau Uniformierte vor mir. Polizei!
Bildete ich es mir ein oder stimmte es: des einen Gesicht erschien mir bekannt? Nur woher?

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(07.12.16)
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 pentz meinte dazu am 10.12.16:
hochgeschätzter Kritiker,

alles klar bei Ihnen, ODER beginnt nun die Schwächelphase in Ihrem Leben, denn leider, oder ich schwächele, ist es tatsächlich das KAPITEL XIV.

gruela
Graeculus (69) antwortete darauf am 10.12.16:
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