Am ersten Tag, als ich meine neue Arbeitsstelle antrat, führte mich mein neuer Chef – ein verbissen wirkender Endvierziger mit ergrautem Schnurrbart – nach einer kurzen trockenen Ansprache, in der er mich auf umständlichste Weise willkommen hieß, einen langen neonhellen Gang entlang und sperrte die letzte Tür auf.
Ein Geruch von Staub und Möbelpolitur schlug mir aus dem finstern Zimmer entgegen. Das Neonlicht flammte nur widerwillig auf, und da sah ich einen grünen Teppich, der – ergraut und Wellen schlagend – sichtlich mit seinem Alter rang und schwere dunkle Eichenholzmöbel, die wie trotzige alte Tanten an den fleckigen Wänden lehnten. Mir blieb die Luft weg. Als ich mich umdrehte, war mein Chef bereits gegangen, und ich konnte es ihm auch nicht verübeln, denn ich hätte mich an seiner Stelle auch nicht länger als nötig in diesem muffigen Möbeldepot aufgehalten. Ich beschloss, fortan viel zu arbeiten, um von dieser unwirtlichen Umgebung möglichst wenig wahrnehmen zu müssen.
Ich hielt meinen Vorsatz: Acht, neun, zehn Stunden saß ich von nun an im Schein einer Schreibtischlampe, die so aussah, als hätte sie schon unterm Kaiser ihren Dienst verrichtet. Ich betrat das Büro in der Früh, wenn es noch finster war, und ich verließ es am Abend, wenn es wieder finster war, und dazwischen hielt mich die Arbeit gefangen.
Eines Abends öffnete eine Kollegin – ja, es gab Kollegen! – die Tür und fragte mich, ob ich noch lebte. Welche das war, weiß ich bis heute nicht, denn dazu war es einfach zu dunkel im Zimmer. Sie schloss die Tür und kam nie wieder. Eine andere Kollegin stand eines Morgens plötzlich im Raum, da war es heller, und an ihrem schüchternen Gehabe erkannte ich, dass die andern sie geschickt hatten. Fast schien es, als würden ihre Schritte immer kleiner, je näher sie kam. Der Bürobote sei erkrankt, flüsterte sie befangen und reichte mir den Gehaltszettel. Schnell war sie wieder draußen und kam auch nicht wieder.
Mit den Jahren erweiterte ich meinen Aktionsradius über die Grenzen des grünen Teppichs hinaus, wagte mich sogar über den Gang und schloss mich einer Kaffeerunde an. Das Kränzchen hatte nicht viel mehr als Klatsch und Intrige zu bieten. Zu meiner Freude erkannte ich jedoch die schüchterne Aushilfs-Bürobotin wieder. Sabine, so hieß sie, versüßte mir fortan den regelmäßigen Nachmittagskaffee, zumal sie mir über die dampfende Tasse hinweg stets ein verbindliches Lächeln schenkte, sodass ich auf ihr Interesse an mir schloss. Da wir keine Gelegenheit zum vertraulichen Tête-à-Tête bekamen, beschloss ich die Dinge voranzutreiben und schickte ihr Blumen, leider anonym, sodass sie nie erfuhr, von wem sie kamen. Vielleicht hat sie’s ja geahnt, aber so sicher bin ich mir da nicht.