Antrag

Erzählung zum Thema Bürokratie

von  StillerHeld

Stolz weht die Europafahne. Bäume kriechen die Fassade entlang und machen dem Gebäude Licht und Luft streitig. Gleichartige Fensterfronten schauen stumpf ins Nirgendwo. Strenge, gerade Linien unterteilen, strukturieren, ordnen, zerschneiden. Amtlich gesiegelt mit dem Bundesadler graut der verwaschene Beton vor sich hin. In Reih und Glied marschiert eine grün uniformierte Pollerprozession vorbei. Menschen eilen ihrer Bestimmung entgegen.

Stiegen tragen zum dunklen überdachten Eingang empor. Die Thronstufen der Bürokratie. Ich öffne die mittlere von drei Doppelflügeltüren und werde kleiner. Ab hier bin ich ein Bearbeitungsfall. Hektische Menschen hasten an mir vorbei. Vergilbte Plastikbuchstaben hinter Plexiglas weisen mir den Weg: dritter Stock, rechts, Tür 301. Ich krame mein Anliegen hervor. Ganz zerknittert sind die Formulare, wird wohl einen schlechten Eindruck machen. Der Gang ist finster und leer, wenigstens werde ich nicht lange warten müssen.

Eine Mittdreißigerin mit orangefarbenen Brillen schiebt einen Wagen mit Akten auf quietschenden Rollen übers graue Linoleum. Kein Gruß. Eine Sesselreihe entlang der Wand, doch ich setze mich nicht. „Eintritt nur nach Aufruf“ steht auf dem Schild. Aber keiner spricht mich an, ruft mich auf, weist mich ab. Soll ich die Tür öffnen oder wird mir das als eigenmächtiges Handeln übel genommen werden, gar meinem Antrag schaden?

Ich habe keine Zeit mehr, muss zurück zur Arbeit, mein Chef wird mich schief anschauen und mutmaßen, dass ich den Behördenweg mit einem Privatvergnügen verknüpft habe, aber sagen wird er das nicht, nein, dazu ist er nicht fähig, nur mutmaßen kann er und Stirne runzeln statt hinterfragen, er kann froh sein, dass ich für ihn arbeite, so leicht findet er keinen Ersatz.

Ich kann auch anders. Da ist die Tür, die Barriere, die sich mit meiner Unsicherheit verbündet. Aufgehen soll sie, aber von allein bewegt sie sich nicht vom Fleck, steht ungerührt da und wartet. Hör ich da ein Lachen, spottet da wer über mich?

Ich lege die eine Hand auf die Klinke, die andere fasst die gefalteten und gerollten Papiere, ganz fest, sollen sie zerknittert werden, sich die Buchstaben krümmen und winden vor Schmerz. Die Klinke klappt hinunter, die Tür bewegt sich, Licht fällt auf den Gang. —

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(02.02.17)
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 StillerHeld meinte dazu am 05.02.17:
Ich hab ein gutes Gefühl, was den (ungeschriebenen) Fortgang der Geschichte betrifft
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