Theorie des Scheiterns

Essay zum Thema Philosophie

von  shadowrider1982

Womit auch immer ein Mensch sich bevorzugt befasst, sei es nun die Politik, die Gesellschaft, die Literatur, Wissenschaft und Technik oder das eigene Umfeld, die eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen, er wird früher oder später irgendwann auf den Begriff des Scheiterns stoßen. Man kann wohl auch guten Gewissens sagen, dass jeder Mensch selbst mehr oder weniger von dem betroffen ist, was unser Allgemeinverständnis mit dem Begriff des Scheiterns assoziiert.

Wir nehmen den Begriff des Scheiterns im allgemeinen Sprachgebrauch wohl kaum als etwas Besonderes wahr. Eine gescheiterte Ehe, gescheiterte Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung, Menschen, die an ihren Aufgaben gescheitert sind, das alles kann man in Nachrichten lesen oder hört man im Bekanntenkreis. Kaum jemand dürfte dabei über die tiefere Bedeutung des Scheiterns nachdenken. Jeder weiß mit dem Begriff etwas anzufangen und auch wenn über die Gründe des sogenannten Scheiterns sicher von Fall zu Fall debattiert wird, so wird wohl kaum jemand das Scheitern als solches betrachten.

Es soll an dieser Stelle daher versucht werden, das Scheitern an sich zu betrachten und festzustellen, worum es sich dabei handelt. Die erste Frage, welche sich dabei stellt ist die, nach der eigentlichen Begriffsdefinition des Scheiterns. Was bedeutet eigentlich scheitern auf einer rein sprachlichen Ebene? Die zweite Frage, die sich aus einer gefundenen sprachlichen Bedeutung ableitet, ist die nach der inhaltlichen Bedeutung. Um welche Vorgänge handelt es sich beim Scheitern? Was passiert eigentlich, wenn etwas oder jemand scheitert und wie passiert es? Gibt es vielleicht sogar Rahmenbedingungen, die ein Scheitern im eigentlichen Sinne überhaupt erst ermöglichen? Falls es diese Rahmenbedingungen gibt, können Sie erfüllt werden? Am Ende kristallisiert sich bei einer derartigen Überlegung eine einzige, essenzielle Frage heraus. Kann ein Mensch überhaupt scheitern, und falls ja, woran?

Eine Möglichkeit, sich dem Wort scheitern auf sprachlicher Ebene zu nähern, ist sicher, den Duden zu Rate zu ziehen. Diese Institution der deutschen Sprache gibt uns für das Verb scheitern zwei mögliche Definitionen vor. In der ersten Variante wird das Wort scheitern direkt gleichgesetzt mit "misslingen, missglücken, fehlschlagen". Die zweite mögliche Definition des Scheiterns lautet wie folgt: "ein angestrebtes Ziel o.Ä. nicht erreichen, keinen Erfolg haben". Hierbei fällt auf, dass diese beiden Definitionen nicht ohne weiteres austauschbar sind. Während sich die erste Variante immer auf eine Sache bezieht, die gescheitert ist und diese Sache zumeist ein abstraktes Konstrukt, also kein greifbarer Gegenstand ist, bezieht sich die zweite Bedeutung immer auf einen Menschen, also einen Akteur. Syntaktisch sind diese beiden Definitionen also nicht gleichwertig. Es lässt sich aber zeigen, dass sich die Definition "misslingen, missglücken, fehlschlagen" semantisch stets auf die Definition "ein angestrebtes Ziel o.Ä. nicht erreichen, keinen Erfolg haben" zurückführen lässt. Ein abstraktes Konstrukt, beispielsweise eine Beziehung, eine Verhandlung oder ein Projekt, kann nicht aus sich selbst heraus scheitern. Wird das Wort scheitern also in diesem Kontext verwendet, so wird dadurch immer impliziert, dass mindestens einer der daran beteiligten Akteure gescheitert ist. Um sich dem Scheitern als solches zu nähern kann man seine Definition darauf reduzieren, dass ein Mensch sein Ziel nicht erreicht hat bzw. bei dessen Umsetzung keinen Erfolg hatte.

Wenn wir also das Scheitern an sich verstehen wollen, müssen wir verstehen, was es bedeutet, dass ein Mensch sein Ziel nicht erreicht. Hierzu ist es nun zuerst notwendig, dieses zu erreichende Ziel zu definieren. Einen sprachlichen Zugang zu diesem Wort kann man auf triviale Weise finden. Befragt man den Duden nach einer Definition, so findet man: "etwas, worauf jemandes Handeln, Tun o. Ä. ganz bewusst gerichtet ist, was jemand als Sinn und Zweck, angestrebtes Ergebnis seines Handelns, Tuns zu erreichen sucht". Natürlich kann man das Wort Ziel auf andere Weise definieren, jedoch ergibt es sich aus dem hier untersuchten Zusammenhang, dass die Bedeutung als geografischer Ort, Angriffsziel, Ziellinie im Sport o.Ä. hier nicht in Betracht gezogen werden muss. Man könnte nun in Versuchung geraten, die Kernfrage danach, ob ein Mensch überhaupt scheitern kann, auf triviale Art und Weise mit ja zu beantworten. Die handelnde Person könnte ein Ziel verfolgen, welches per Definition nicht erreichbar ist und müsste damit zwangsläufig scheitern. Unsere Definition fordert aber bewusstes Handeln, welches auf das Ziel gerichtet ist. Wenn wir der Person nun geistige Gesundheit unterstellen, so lässt sich daraus ableiten, dass das gesteckte Ziel generell erreichbar sein muss. Kein Mensch bei klarem Verstand wird bewusst handeln um etwas Unerreichbares zu erreichen. Wir können nun eine Abgrenzung vornehmen. Wir können das Ziel dahingehend vom Wunsch oder einer Hoffnung abgrenzen, dass es durch bewusstes Handeln erreichbar sein muss, um überhaupt ein Ziel zu sein.

Wir können an dieser Stelle nun das Scheitern eines Menschen bereits hinreichend gut beschreiben. Wenn ein Mensch an etwas scheitert, so bedeutet dies, dass er ein erreichbares Ziel nicht erreicht. Außerdem haben wir damit bereits die Frage nach der notwendigen Rahmenbedingung des Scheiterns beantwortet. Es muss ein Ziel geben, welches durch bewusstes Handeln erreicht werden kann.

Es muss nun festgestellt werden, ob und wie diese Bedingung erfüllt werden kann. Wie kann also sichergestellt werden, dass ein Ziel durch bewusstes Handeln erreichbar ist? Wäre der Akteur ein isoliertes System, so würde es hierzu ausreichen, wenn es eine definierte Abfolge von Aktionen durch den Akteur gibt, welche von dessen Ausgangssituation zum angestrebten Ergebnis führt. Da der Akteur aber niemals ein isoliertes System sein kann, sondern immer einem gewissen Maß an Wechselwirkungen mit seiner Umwelt und bestimmten Zufallsgrößen unterliegt, ist die gefundene Bedingung nicht hinreichend. Der Akteur muss also einen gewissen Handlungsspielraum besitzen. Er muss nicht nur bewusst agieren, sondern auch bewusst reagieren, um äußere Einflüsse kompensieren zu können. Ein Mensch kann sich also nur dann ein eigentliches Ziel setzen, wenn er selbst über alle notwendigen Qualifikationen, Kräfte und den notwendigen Handlungsspielraum verfügt, um dieses Ziel unter allen möglichen äußeren Bedingungen durch bewusstes Handeln zu erreichen.

Wir müssen an dieser Stelle erkennen, dass die Rahmenbedingung, welche ein Ziel erst zum Ziel macht, welche das Scheitern überhaupt erst ermöglicht, praktisch nicht erfüllt werden kann. Der Mensch kann nicht scheitern, weil das, was er als Ziele ansieht, niemals wirkliche Ziele sein können. Der Mensch hat Wünsche, Hoffnungen und Träume, vielleicht sogar große, bedeutende Pläne. Es fehlt ihm jedoch die notwendige Allmacht, sie zu wirklichen Zielen zu machen.

Kein Mensch kann scheitern. Kein Mensch ist mächtig genug, um zu scheitern. Wenn wir den Begriff des Scheiterns verwenden wollen, so sollten wir ihn neu definieren. Wir sollten den Vorgang des Scheiterns als etwas definieren, wozu der Mensch auch tatsächlich in der Lage ist. Wir könnten beispielsweise sagen, wenn ein Mensch scheitert, so heißt das, er ist unfähig, seine eigene Beschränktheit, seine Ohnmacht und seinen Größenwahn zu erkennen. Dann könnten wir guten Gewissens über jeden, der von seinen Zielen spricht behaupten, er sei gescheitert. Wenn wir uns auf diese Definition einigen könnten, wer von uns wäre dann nicht gescheitert?


Anmerkung von shadowrider1982:

Geschrieben am 28.11.2017

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(29.11.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 shadowrider1982 meinte dazu am 29.11.17:
Interessante These, die du aufstellst. Aber was ist mit den ganzen Selbstmordkandidaten? Bleibt man bei der klassischen Definition des Scheiterns, würde aus deiner Betrachtung folgen, dass die Suizidalen letztendlich die einzigen sind, die nicht zwangsläufig scheitern müssen.

Zugegeben, rein akademisch betrachtet, ist das ein interessanter Gedanke.

 GastIltis antwortete darauf am 01.12.17:
Die Geschichte mit den Selbstmordkandidaten hat einen Haken. Ich habe in einem Buch gelesen, es hieß wohl "Der scharlachrote Buchstabe", dass ein Selbstmordkandidat das "Glück" hatte, ermordet zu werden. Er wäre demnach also mit seinem eigentlichen Vorhaben gescheitert. Oder? Verhext.

 princess (29.11.17)
Diese Perspektive auf das Scheitern gefällt mir.

Liebe Grüße
princess

 shadowrider1982 schrieb daraufhin am 29.11.17:
Freut mich, dass du was mit dieser Perspektive anfangen kannst.
Sinshenatty (53)
(29.11.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Graeculus (69) äußerte darauf am 29.11.17:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 shadowrider1982 ergänzte dazu am 29.11.17:
Jedenfalls ist die Gesellschaft auf Grund ihrer größeren Macht gegenüber dem Individuum eher zum Scheitern fähig.
Sinshenatty (53) meinte dazu am 29.11.17:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg (29.11.17)
Lieber Shadow,
wenn alle Menschen deine Definition des Scheiterns übernehmen würden, könnte die Summe des Unglücks, die aus Scheitern mit falschen Zielvorstellungen resultiert, erheblich rduzieert werden.
LG
Ekki

 shadowrider1982 meinte dazu am 30.11.17:
Hallo Ekki,

Danke für deinen wohlwollenden Kommentar und die Empfehlung.

Ja, ich denke, ein generelles Überdenken dessen, was wir als Zielvorstellungen bezeichnen, würde sehr wohl das Leid vieler Menschen mindern.

Lg
shadowrider

 Dieter_Rotmund (30.11.17)
Schön geschreiben, scheint mir aber eher eine sehr wortreich formulierte Pauschal-Ausrede zu sein.

 shadowrider1982 meinte dazu am 30.11.17:
Zugegeben, man kann diesen Text durchaus als eine Art Pauschalausrede interpretieren. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich hierbei doch eher um eine theoretische Betrachtung des Scheiterns handelt.

Ich will damit natürlich nicht sagen, dass man jeden Misserfolg mit einem Schulterzucken abtun und das Schicksal oder Pech für die eigenen Unzulänglichkeiten verantwortlich machen soll. Ich möchte viel mehr dazu anregen, diese eigenen Unzulänglichkeiten bewusst wahrzunehmen und die sogenannten "Ziele" unter der Maßgabe der eigenen Fähigkeiten bzw. Unfähigkeiten neu zu überdenken.

Kurz gefasst:
1. Man kann nur an einem tatsächlich erreichbaren Ziel scheitern.
2. Ein tatsächlich erreichbares Ziel kann (per Definition) erreicht werden, wenn man es konsequent verfolgt.
3. Daraus folgt: Es gibt kein Scheitern im eigentlichen Sinn, es gibt nur eine gnadenlose Selbstüberschätzung.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram