Aus dem Rahmen gefallen

Bild zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  Irma

Romina und Giulio - ein Trauerspiel in drei Akten

Prolog: Langsam öffnet Giulio den schweren Vorhang, und das Sonnenlicht fällt auf die vergilbte Bildergalerie an der grau getünchten Wand des verfallenen Hinterhofzimmers in Verona.

Akt I: Ein kurzer Liebesakt

1. Bild: Ein römischer Soldat steht vor dem Schaufenster eines Brautmodengeschäftes, in welchem eine hübsche Italienerin mit dem Herrichten eines Brautkleides beschäftigt ist. Der Soldat betritt den Laden, lädt das Mädchen zu einem Gelato ein, aber dazu kommt es nicht. Beide fallen sich in die Arme und anschließend in die Kleiderauslage des Schaufensters. Diese Rahmenhandlung bleibt nicht ohne Folgen: Neun Monate später erblickt Romina (benannt nach dem Ort ihrer Zeugung) das Licht der Welt. Leider kann der Soldat sein Versprechen, die junge Mutter zu heiraten, nicht einhalten, da er kurz darauf im Krieg fällt. 

Akt II: Ein Akt voller Aktbilder

1. Bild: Das Kind der Liebe ist zu einer wunderschönen Jungfrau (Abbild einer römischen Göttin) herangereift: Goldene Löckchen umrahmen das zarte Gesicht, aus dem zwei tiefschwarze Augen liebeshungrig in die Welt schauen. Die Mutter ist bemüht, ihre Tochter alleine aufzu- und zu erziehen. Sie tut ihr jedweden Gefallen und versucht alles, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist. Es fällt ihr allerdings schwer, Romina, die immer wieder (und nicht nur beim Ballett) aus der Reihe tanzt, irgendwelche Grenzen zu setzen. Nachdem sie durch die Tanzprüfung gefallen ist, bricht Romina ihre Ausbildung ab.

2. bis 99. Bild: Die Mutter lernt einen Fotografen kennen, der jedoch nicht nur an ihr, sondern auch an der Bambina Gefallen findet. Er überredet das Mädchen, sich von ihm nackt ablichten zu lassen. Romina weiß sich perfekt in Szene zu setzen. Es gefällt ihr, den Männern zu gefallen, die ihr allesamt zu Füßen liegen. Schon bald ist Romina nicht nur auf dem Cover des Playboys zu sehen. Ihr Bild ist im Kopf der Männer und ziert die Wände ihrer Wohnungen. (Die Beschreibung jedes einzelnen Bildes würde den Rahmen sprengen.)

Akt III: Ein Akt der Verzweiflung

1. Bild: Romina bildet sich ein, dass sie jeden Mann, der ihr gefällt, bekommen kann. Dann lernt sie den smarten Giulio (ein Bild von einem Mann!) kennen und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Ihm zuliebe zieht sie mit nach Verona. Sie malt sich ein Leben an seiner Seite als vorbildliche Ehefrau und Mutter aus. Als sie Giulio im Bett mit einer anderen Frau erwischt, fällt sie aus allen Wolken. Sie macht ihrem Geliebten auf dem Balkon ihrer Wohnung eine Szene (Balkonszene). Gleich darauf fällt sie vor ihm auf die Füße und fleht ihn an, bei ihr zu bleiben. Gigolo Giulio liebt alle schönen Frauen, aber keinerlei Verantwortung. Kaum teilt ihm Romina mit, dass sie schwanger ist, verschwindet er von der Bildfläche. Rominas Mutter verstirbt einsam und vom Leben gezeichnet.

2. Bild: Romina erkennt, auf wen sie hereingefallen ist. Die Bilder von Giulios Untreue verfolgen sie, und sie verfällt zunehmend dem Alkohol. Mit gebrochenem Herzen steht sie vor den Scherben ihrer Beziehung. Weil sie bei einem Fotoshooting stark angetrunken erscheint und aus dem Rahmen fällt, lässt auch ihr Fotograf und Manager sie fallen. Das schlechte Bild, das man sich von ihr macht, erscheint auf allen Titelblättern der Boulevardpresse. Romina wird bewusst, wie tief sie gefallen ist. Nachdem sie einen Schlaftrunk zu sich genommen hat, beschließt sie in der Schlussszene, mit allem Schluss zu machen. Sie stürzt zum offenen Fenster und klammert sich noch für einen Augenblick an den Rahmen. Dann verschwindet sie aus dem Bild. So endet der dritte Akt, wie der erste begonnen hat: mit einer Rahmenhandlung.

3. Bild: Der tiefschwarze Rahmen ist leer, es ist kein Bild mehr darin.

Epilog: Gedankenverloren greift Giulio zum Handfeger und kehrt den Scherbenhaufen zu seinen Füßen zusammen. Anschließend steckt er das Bild von Romina, das in seinem Kopf mehr und mehr verblasst ist, wieder zurück in den Rahmen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (10.12.18)
das Trauerspiel stellt das traditionelle Bild von Romeo und Julia als einer unverbrüchlichen Liebe in Frage und fällt damit aus dem Rahmen.
LG
Ekki

 Irma meinte dazu am 07.01.19:
Ja, ich habe versucht, hier ein vollkommen überzeichnetes Bild zu malen, das in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fällt.

Ein spätes, aber ganz liebes Dankeschön für Kommentar und Empfehlung. Liebe Grüße, wünsche dir noch ein frohes neues Jahr, Irma.

 Isaban (10.12.18)
Spannende Rahmenhandlung!

 AZU20 antwortete darauf am 11.12.18:
Ja, stimmt. LG

 Irma schrieb daraufhin am 07.01.19:
Dankeschön ihr zwei! LG Irma

 plotzn (16.12.18)
Bildreich beschrieben, liebe Irma!
Und gespickt mit Schmankerln (Kleiderauslage, Balkonszene).

Will mir bis zum gefallenen Vorhang gefallen.

Liebe Grüße,
Stefan

 Irma äußerte darauf am 07.01.19:
Lieber Stefan, es handelt sich hier um einen Wettbewerbsbeitrag (Ausschreibung zum 5. Bonner Literaturpreis 2018) vom 'Dichtungsring' (Ulli Bergmann und Co.) zum Thema "Aus dem Rahmen gefallen".

Da ich dort von der Jury (verständlicherweiseI) keinerlei Rückmeldung bekommen habe, wollte ich den Text mal hier zur Diskussion stellen und schauen, welche Resonanz ich bekomme.

Umso mehr habe ich mich über dein positives Feedback gefreut! Dankeschön! Ganz liebe Grüße und noch ein frohes neues Jahr, Irma.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram