Aus dem Leben eines Obdachlosen - Morgens am Lagerfeuer

Text

von  pentz

Der Morgen nach dem Todestag

1. Frühmorgens am Lagerfeuer

Müdigkeit steckt mir noch in den Knochen, habe kein warmes Getränk wie heißen Kaffee in meinem Körper. Rasierungsbedürftig bin ich auch, mein Bartwusch fühlt sich Tag für Tag stärker und üppiger an - deshalb, weil öfter ich mich nicht mehr rasieren kann?
Die Glieder fühlen sich klamm an, stecken noch im Schlafmodus oder in der Schlafbetäubung.
Eine Elster springt über meinem Weg, worauf die Sonne scheint. Vögel zwitschern allenthalben verhalten: schön wär’s, wenn das Frühlingsboten wären – aber der Winter ist heimtückisch im März.
Ich blinzle in die stechende Morgensonne.
Ich reibe mir die Augen mit den Knöcheln wach, während von irgendwoher andere Laute erklingen. Stimmen – von Menschen. Ich reiße die Augen sofort auf.
Ein Mann, Hände vor der Brust verschränkt, steht dort, hinter ihm Bauarbeiter, die hinter im Boden buddeln, hocken und werkeln - ein Anführer, ein Reintreiber, ein Hasardeur. Überall nehmen sie Teile der Erde in Besitz, verändern sie und versperren den Zugang, den Du nur kriegst, wenn Du selbst etwas Ähnliches tätest wie Boden-in-Besitz-Nehmen.
Angst: bald würden diese Männer die ganze Erde untertan gemacht haben und wo ist noch ein Platz frei für solche wie ich, die in diesem Tun einfach keinen Sinn erkennen können?

Ein fünf oder sechs Meter breiter Streifen Gebüsch und Gestrüpp trennt die Gruppe vom Fluß und ich ziehe meinen Mantel fester um mich, als mir der bitterkalte Wind, der über die nahe Wasseroberfläche pfeift, ins Gesicht peitscht. Wie man sich freiwillig solcher Unbill aussetzen kann, ist mir schleierhaft, dennoch sitzt eine kleine Gruppe Männer und Frauen dort, offenbar unempfindlich für Kälte und Feuchtigkeit des Morgens, zusammengedrängt um eine Tonne mit brennendem Holz hier unweit vor einem offenen Tor in der Mauer eines heruntergekommenen, zusammengefallenes Lagerhauses.
Wer will schon alleine bleiben? Ich beginne zu verstehen, weshalb sie sich dort zusammengedrängt haben und ich gehe auf sie zu.
Sie mustern mich argwöhnisch, als ich näher komme.
„Hallo!“, sage ich und lasse mich in einer Lücke im Kreis nieder.
„Mein Name ist Sowieso."
Ich ziehe eine Zigarettenschachtel heraus und reiche sie herum. Man muß seinen Einstand machen, wenn man wo anders hinkommt und aufgenommen werden will.
Scheel schaue die Personen aus den Augenwinkeln an, direkt traue ich niemanden ins Gesicht blicken. Ziemlich ruhig sind sie. Aber natürlich wird es etwas stiller geworden sein, als ich als Neuer erschienen bin. Sie werden neugierig sein und mich verdeckt taxieren. In einer offenen Gesellschaft der Obdachlosen ist mit jeder Art von Menschentyp zu rechnen.
Einer aus der Reihe hebt jetzt den Kopf, geneigt zu mir, etwas zaghaft grüßend die Hand erhoben.
Da ich befürchte, mit unangenehmen Fragen behelligt und in Verlegenheit gebracht zu werden, fühle ich mich gedrängt, irgend etwas zu tun. Ich wende mich zu zwei neben mir Sitzenden: „Was trinkt ihr beide?“
Sie heben ihr Bierglas mit jeweils gleichen Flaschenetiketten. „Doppelbock!“
„Jo!“, sagt einer anderer. Ob er das zu uns gesagt hat, ist unklar. Er hat den Blick dabei unentwegt in das Feuer gerichtet und quasi zu sich selbst gesprochen. Wahrscheinlich.
„Und Du?“, fragt einer zu mir her.
„Nichts!“.
„Oh, das geht nicht!“, und langt nach hinten, zieht eine Flasche hervor und reicht sie mir.
„Danke, ist nett!“
„Gern!. Hau rein!“
Ich mache mit meinem Feuerzeug die Flasche auf. „Klack.“
Proste nach vorne zu ihm.
„Auf die Gesundheit aller!“, und wende meinen Kopf im Kreis, dem ein oder anderen das Prost entbietend.
Dann haue ich mir das Gesöff hinter die Binde. Ich bin kein Biertrinker, aber der Gruppendruck zwingt mich dazu. Ich reiße mich zusammen, damit mir das Bittere, wie es immer noch empfinde, des Bieres nicht zu offensichtlich die Lippen verzerrt, um nicht den Eindruck zu vermitteln, Spielverderber zu sein.
Schweigen. Und jeder kann den anderen insgeheim beobachten, obwohl er so tut, als sei nur das Lagerfeuer von Interesse.
Bei einem Jüngeren drückt die schiefe Haltung des Kopfes Durchtriebenheit aus und in den zusammengekniffenen Augen Zynismus. Liegt dieser Eindruck in den Lichtreflexen des Feuers?
Ältere Männer fixieren ihre Flaschen. Einige fluchen zwischendurch wie: "Aufs Leben ist doch geschissen!" Andere schütteln den Kopf, wohl kaum von dieser ordinären Aussage pikiert und schockiert, wohl eher von Erinnerungen beschissener Erlebnisse aus ihrem Leben heimgesucht.
Einer erzählt, daß er in Regensburg an den Donauauen des Nachts von Jugendlichen mit Baseballschlägern zusammengeschlagen worden ist, wobei ihn sämtliche Zähne herausgeschlagen worden sind und lacht dazu mit blendend weißen Kunstzähnen.
Ein ledergesichtiger älterer Mann mit einer dicken Wollmütze kriecht jetzt tiefer in seinen Mantel, als eine scharfe Bö über das Wasser fegt und aus dem brennenden Holz Funken in die Luft jagt. Der Mann fixiert mich. Ich merke, wie ich Angst habe.
Hoffentlich werde ich jetzt nicht als Neuhinzugekommenen geschnitten.
Er grinst und wendet dann s wieder sein mageres Gesicht dem Feuer zu.
„Ich komme ganz gut über die Runden!", sagt ein anderer. Er hat ein Auge, bei dem das Lid fast geschlossen ist, wie ich im flackerndem feuerigen Dämmerlicht zu erkennen vermeine und wirft dabei ein Hölzchen in die lodernden Feuerflammen, die es knisternd empfangen.


2. Mit jemanden ins Gespräch kommen

„Hör nicht auf den!“, flüstert mir eine Frau links neben mir ins Ohr.
Sie hat sich auf eine Tasche mit daran hängenden Taschen gestützt und da sie auf etwas Erhöhtem sitzt, umfasst sie sie mit den Armen, als wolle sie sie nicht loslassen.
„Der munkelt nur. Glaube denen nicht, die sagen, es gehe ihnen blendend, zumal wenn sie sagen, sie haben Unterschlupf, eine Übernachtungsmöglichkeit, Bekannte, wo sie unterkommen können. Meist sieht es bei allen nicht rosig aus, wie sie tun und sagen. Jeder schämt sich natürlich, daß er auf der Straße ist. Bis auf ein paar Ausnahmen. Die prahlen sogar damit. Aber, wie gesagt, bei den wenigsten sieht es ganz schön düster aus.“
Und dazu nickt sie vielsagend mit dem Kopf. Diesen hält sie aber ständig geradeaus, als wolle sie vertuschen und das niemand sehen kann, wie sie etwas spricht.
Es gibt mir zu denken, denn eins ist mir schon aufgefallen, daß in der Tat viele sagen, sie hätten schon ein Dach übern Kopf, aber nichtsdestotrotz ihre wenigen Habseligkeiten und Sachen nicht bei ihren Bleiben liegen lassen, stattdessen mit sich herumschleppen, was oftmals eine große logistische Herausforderung darstellt, zum Beispiel die Handrollatoren über Treppen, Stufen und Stegen zu schleppen oder eine Rolltasche, in dessen Behälter Plastiksäcke, - beutel und Papiertäschchen mit bescheidenem Hab und Gut stecken und hängen. Soweit man da immer tiefer hineinsehen kann in diesen Kuddelmuddel von Tüten, offenbaren sich selbst wieder Hunderte Tüten und Fächer, als könnten die Inhaber nichts loslassen und wegwerfen, gleich Messis alles aufbewahren müssen, womöglich mit dem Unterschied, daß sie bei ihren chaotisch wirkenden Säckchen, Beutelchen und Tütchen eine Ordnung, eine Systematik und Aufgeräumtheit haben, die ein wirklicher Chaot nicht hat.
Ja, was mir diese Obdachlose erzählt, flößt mir Vertrauen ein und ich kann es mit meinen Beobachtungen in Einklang bringen. Letzthin erst hat einer getönt: "Bei mir ist alles in  Butter, ich habe immer eine Möglichkeit, nachts unterzukriechen, darfst mir glauben, haha, mir wegen braucht sich keiner Sorgen zu machen. Es geht schon!“
Selten bin ich mit jemanden so im Einklang gewesen und nachdem ich ihre Aussagen, die so viel Vertrauensgefühl und Sicherheit vermittelt hat, bestätige, gebe ich auch dies und jenes frei von der Leber gesprochen zum Besten, aber vor allem über den schweren Verlust meines „Besitzes“, wie es hat dazu kommen können, was an mir noch immer am nachhaltigsten nagt.
Sie ist ganz anteilssam, wie nur Frauen das können, so mitleidig, emphatisch und hellhörig, daß es einem richtig Spaß macht, sich wie einen dicken Sack auszuleeren, sich seine Sorgen von der Seele zu reden und all seine Steine vom Herzen loszutreten.
„Leih mir mal 3 Euro!“, kommt es wie aus der Pistole geschoßen von ihr, die mir ein paar Minuten ihr Ohr geliehen hat und wohl jetzt glaubt, sie haben mir schon so viel Vertraulichkeit entgegengebraucht, daß die Voraussetzung eingesetzt ist, mich anzubetteln, zudem in einem Befehlston.
Ist dies das Ergebnis, die Belohnung für ihr Zuhören, der Sinn ihres Mitgefühls? Fasst sie dies so auf, daß ich ihr daraufhin mein so bitter benötigtes und erworbenes Geld geben würde, weil sie mir mal für ein paar Minuten ihr Ohr geliehen hat?
Ich komme mir betrogen, hintergangen, getäuscht vor.
Würde ich selbst dieses unangenehme Gefühl nicht haben, bisse sie dennoch auf Granit und Eisen.
Mag sie es noch so überzeugend herübergebracht haben, nachdem ich sofort gesagt habe: „Nein!“, und sie: „Du kriegst sie wieder“, welches durchaus im Klang beruhigend, vertrauensvoll, bestimmend und verlässlich angemutet hat, so habe ich's bislang niemals nicht anders gehandhabt oder wenn, nur schlechteste Erfahrungen gemacht. Heißt doch auch so ein strutzdummbanaler Spruch mit so viel bitterer Wahrheit: "Bei Geld hört die Freundschaft auf."
"Du, ich verleihe nichts und ich leihe mir selbst niemals etwas von jemanden“, so bestimmt gesagt, daß es verdeutlicht: dies ist ein ehernes, unverbrüchliches Gesetz, Prinzip, Regel bei mir, die ich niemals brechen und durchkreuzen würde. Punktum.
Es kommt auch keine Erwiderung. Wahrscheinlich aber nur, weil sie plötzlich von jemanden von der anderen Seite her angesprochen wird? Oder hat sie, um die Peinlichkeit zu überbrücken, sich selbst an diesen gewendet? Jedenfalls ignoriert sie mich eine ganz schön lange Zeit. So lange, daß ich denke: das ist’s wohl nun gewesen. Eine leidlich flüchtige Bekanntschaft, ein paar Worte, scheinbar solidarisches Mitgefühl, dann aber, weil nichts aus dem anderen herauszuholen ist, Ade und Tschüs!
Enttäuschung.
So läuft das also!
Du lernst.
Du begingst zu lernen.
Keiner ist sich näher als sich selbst, das Hemd näher als die Hose und jeder Narziß in Person. So geht’s zu, wenn man überleben muß. Was ist der andere Wert für mich - ist er eine Gefahr, dann meide ihn, ist er eine potentielle Melkkuh, dann zapfe ihn an, ein voller Brotkorb, dann öffne ihn geschickt.


© Werner Pentz

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