Das Leben ist ein Traum

Kurzgeschichte zum Thema Schicksal

von  managarm

John erwachte, als die drei durch die Schlafzimmertür kamen. Sie trugen dunkle Jacken über ihren Jeans und hatten keine Gesichter. Die Sturmhauben ließen nur die Augen frei und diese riefen keine Erinnerung in ihm hervor. Er kannte die Männer nicht.
Sie gingen vor, als wenn sie sich abgesprochen hätten. Bevor er aus dem Bett springen konnte, stürzen sich zwei der Gestalten rechts und links auf ihn, hielten seine Arme fest und fixierten ihn auf dem Bett. John fühlte sich wie Jesus am Kreuz.
Der dritte blieb vor dem Bett stehen, sah ihn schweigend an und ließ den Totschläger, den er in der rechten Hand trug, rhythmisch in seine Linke klatschen. Flapp, flapp, flapp… Johns Hilflosigkeit paarte sich mit Angst. Die beiden, die seine Arme umklammerten, schwiegen und hielten ihn einfach nur fest. Auch der Typ mit dem Totschläger sah ihn nur an und ließ den Knüppel weiter in seine Hand fallen. Was wollten die von ihm? Flapp, flapp, flapp…
Aus Johns Angst wurde nach und nach pures Entsetzen. Der Knüppel sang einen Gesang, der sein Blut gerinnen ließ. Die Sekunden froren ein und er merkte, daß sein Herz mittlerweile einen höllischen Takt zu diesem Metronom des Schreckens schlug. Flapp, flapp, flapp…
"Wo ist der Safe?“ Der Typ mit dem Knüppel, den John in seinen Gedanken „Boss“ nannte, stellte diese Frage völlig emotionslos.
"Bist du schwerhörig? Wo ist der Safe?“ John hatte keinen Safe, denn als vorsichtiger Mensch bunkerte er Schmuck, ein bißchen Gold und eine nicht unbeträchtliche Menge Bargeld in einem gut gesicherten Bankschließfach. „Ich habe keinen Safe im Haus“, sagte er in der Hoffnung, daß der Boss ihm glauben würde. Er glaubte ihm nicht. Stattdessen schüttelte er langsam den Kopf, sagte „Schade, schade…“, holte aus und zertrümmerte ihm ohne Verzögerung mit einem gezielten Schlag die rechte Kniescheibe.
Die Welt explodierte in Johns Kopf. Schreien konnte er nicht, denn sein Brustkorb verkrampfte und die Luft blieb ihm weg. Er hatte vorher keine Ahnung davon, daß Schmerz einen anfallen kann wie eine Horde wilder scharfzahniger Tiere.
Als John endlich wieder atmen konnte und der Schleier vor seinen Augen sich verzog, war außer dem Gefühl, daß sein rechtes Bein in einem Lagerfeuer lag, alles wie vorher. Der Boss stand vor seinem Bett, sah ihn an und schlug mit dem Knüppel in seine Hand. Flapp, flapp, flapp…
Verzweifelt würgte John noch einmal die Worte heraus: „Ich habe keinen Safe im Haus“. Bevor er hinzufügen konnte, daß er seine Wertsachen auf der Bank hatte, hörte er ein „Schade, schade..“ und sah, wie sich der Knüppel hob. Nun ist das linke Bein dran, konnte er noch denken, ehe das pfeifende Geräusch des niedersausenden Totschlägers ihn paralysierte.
Der Knüppel raste nach unten und krachte mit voller Wucht auf seine schon gesplitterte rechte Kniescheibe. Als ein noch viel größerer Schmerz ihn ertränkte und er sah, wie sein Bein sich unnatürlich nach hinten durchbog und mehrere Knochensplitter durch die Haut nach außen drangen, schrie er wie ein Tier in höchster Not.


Von diesem Schrei erwachte er. Schweißgebadet dankte er Gott dafür, daß es nur ein Traum war. Er faßte nach links, aber das Bett war leer. Ihm fiel ein, daß Kathy für 4 Wochen in die Staaten geflogen war, um einige Jobs zu erledigen. Sie würde noch eine Woche weg sein.
John kam gerade wieder zu Atem und sein langsam trocknender Angstschweiß begann unangenehm zu kleben, als er aus dem Untergeschoß Geräusche hörte. Er hielt die Luft an und lauschte. Dieses Scharren und Kratzen kannte er nicht. Es war ein Geräusch, das nicht in dieses Haus gehörte.
Die Panik seines Traumes war noch nicht abgeebbt und die Angst brachte ihn wieder zum Schwitzen. Als unter der Schlafzimmertür ein Lichtstreifen erschien, katapultierte das Adrenalin ihn aus dem Bett. Er glaubte nicht an die Vorsehung oder ein zweites Gesicht, aber er wollte es auch nicht darauf ankommen lassen. Die Geräusche näherten sich der Schlafzimmertür und die Angst ließ ihm keine andere Wahl, als aus dem Fenster zu springen.
Er wußte, daß unter dem Fenster Kathys frisch gelockertes Staudenbeet lag und seine Chancen gut waren, nach dem Aufprall wieder aufzustehen und davonzulaufen. So war es auch.
John war blitzschnell wieder auf den Beinen und mußte nun nur noch laufen. Und laufen konnte er. Er joggte jeden zweiten Tag und Laufen war für ihn keine Anstrengung, sondern ein Daseinszustand.
Knapp drei Kilometer den Hang hinunter stand das Haus seines Nachbarn und Freundes. Bis auf eine kleine Straße, die er auf halber Strecke queren mußte, lag nur Wald zwischen den beiden Häusern.
Dort war sein Freund, dort war ein Telefon und vor allem war sein Freund Jäger und hatte einen großen wohlgefüllten Waffenschrank. John lief. Mehrmals sah er kurz hinter sich und bemerkte, daß das Haus inzwischen hell erleuchtet war, aber Verfolger konnte er nicht wahrnehmen.
Ihm fiel ein, daß er sicher ein sonderbares Bild bot, wie er barfuß und nur mit einem Shirt bekleidet nachts durch den Wald lief. Laufen, laufen, laufen…
Er kam lange nicht auf die Geschwindigkeit, die er vom Joggen gewohnt war. Seine nackten Füße waren schon nach 500 Metern von Steinen und Wurzeln ziemlich malträtiert und an mehreren Stellen aufgeschlagen.
Der Mond hatte sich hinter Wolken versteckt und es war so dunkel im Wald, daß er sich ohne die Gewißheit, immer nur bergab laufen zu müssen, mit Sicherheit verrannt hätte.
Da er nichts sehen konnte, peitschten Dutzende Zweige seine Beine, seinen Körper und sein Gesicht. Ein dicker Ast schlug ihm die Stirn auf und aus der Wunde lief Blut in die Augen. Laufen, laufen, laufen…
Mittlerweile war er wütend und sann auf Rache. Sollte er wirklich von seinem Nachbarn aus die Polizei anrufen? Viel lieber wäre er mit seinem Freund und 2 Pumpguns zurück zu seinem Haus gefahren und hätte die Einbrecher auf frischer Tat erwischt.
Nach einem knappen Kilometer taumelte er nur noch. Er hechelte wie ein Fisch auf dem Trockenen und sein Mund fühlte sich an, als hätte man ihn mit Sand ausgewaschen. Sein ganzer Körper war geprellt, zerkratzt und überall liefen kleine Blutfäden aus seinen Wunden. Jede für sich war nicht schlimm, aber ihre Anzahl sorgte dafür, daß sich sein Körper wie rohes Fleisch anfühlte.
Er wollte gerade völlig erschöpft eine Pause machen, da sah er das graue Band der Straße wie einen Nebelstreif durch die Bäume schimmern.
An Rache dachte er nicht mehr. Er war viel zu erschöpft, um noch irgendetwas zu tun.
Als er die Straße erreichte, sah er in der Ferne Lichtkegel. Er freute sich wie ein kleines Kind. Das Auto konnte ihn mit in die Stadt nehmen, welche acht Kilometer entfernt lag. Dort würde er sich an der Polizeistation absetzen lassen. Die Polizisten würden ihn versorgen und sich um alles kümmern. Nach den Lichtkegeln sah er die Scheinwerfer und dann auch den Wagen. Es war ein großer Truck.
John stellte sich mitten auf die Straße und winkte. Er sah unglaublich aus mit seinem zerfetzten und mittlerweile durchgebluteten Shirt, dem nackten Hintern und den vielen blutenden Kratzern, die seinen Körper wie Blüten bedeckten. Er wußte nicht, daß es kein Publikum gab, vor dem er sich lächerlich machen konnte.
Als der Scheinwerferkegel John erreichte, hatte sich der Fahrer des Trucks gerade in seinen Fußraum gebückt und montierte fluchend das Salamisandwich neu, das ihm auseinandergefallen war und in Einzelteilen zwischen seinen Füßen lag.
Das letzte Geräusch, das John in seinem Leben verursachte, war ein dumpfer Knall. Der Kühler des Trucks erfaßte ihn, presste ihm die Luft aus den Lungen, brach ihm eine beträchtliche Anzahl Knochen und entließ ihn gnädig zwischen die mannshohen Räder, die ihm den Gnadenstoß versetzen sollten. Währenddessen hatte Kathy es endlich geschafft, ihre schweren Koffer schiebend und zerrend durch das halbe Haus bis in den Ankleideraum zu wuchten und sie fragte sich, wieso Henry durch den Krach nicht wach wurde und ihr half.
Ein Auftrag ihrer Firma wurde storniert und so konnte sie eine Woche eher aus den Staaten abreisen. Sie freute sich sehr über diese gewonnene Woche und hatte John am Telefon extra nichts davon gesagt, um ihn überraschen zu können.
Diese Idee erschien ihr mittlerweile ziemlich dumm, denn bei dem Gezerre an ihren Koffern hatte sie sich gerade den zweiten Fingernagel abgebrochen.
Sie ließ die Koffer einfach stehen und ging ins Schlafzimmer, um John zu wecken.
In diesem Moment brachen zwei Kilometer entfernt drei maskierte Männer in das Haus von Johns Nachbarn ein, der allerdings einen leichten Schlaf hatte und rechtzeitig erwachte. Er erschoß den ersten ins Schlafzimmer tretenden Einbrecher und die hinter diesem stehende HiFi-Anlage mit einem großkalibrigen und mit Spezialmunition geladenen Doppelläufer und befreite mit derselben Waffe den zweiten Einbrecher, der sich noch auf der Treppe befand, von gut zwei Dritteln seines Kopfes.
Der dritte und mittlerweile flüchtende Verbrecher hatte Glück. Da der Doppelläufer leer war, kam er mit einer Ladung Schrot in die Nierengegend davon.
John war nicht tot. Noch nicht. Er wurde in den Straßengraben geschleudert, wo er nun langsam ausblutete.
Der Truck war weg, denn als der Fahrer nach dem dumpfen Schlag aufsah und nichts bemerkte, ging er von irgendeinem Tier aus, daß er gestreift hatte. Mit Menschen war mitten in der Nacht auf dieser Straße nicht zu rechnen. Er biß in sein mittlerweile wieder komplettes Sandwich, drehte das Radio lauter und tat ansonsten das, was er immer tat. Er fuhr.
Gerade als Kathy vor dem zerwühlten Bett stand und sich fragte, wo ihr Mann ist, wurde John noch einmal wach, warf seinen letzten bewußten Blick auf seine Beine und konnte trotz der Dunkelheit seine rechte Kniescheibe erkennen. Sie war völlig zertrümmert und eine ganze Menge Knochensplitter hatten von innen die Haut durchbohrt.
Als Kathy John auf seinem Handy anrief und es direkt neben ihr in seiner Jacke klingelte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Aus John stahl sich in diesem Moment der letzte Funke davon und er starb.
Der Truckfahrer kotzte sich das doppelt gebaute Salamisandwich auf die Schuhe, als ihn bei seiner nächsten Rast Polizisten aus dem Truckstop holten und wissen wollten, wieso zur Hölle zwei menschliche Finger hinter seiner Stoßstange klemmen.
John wurde gefunden, wieder halbwegs zusammengesetzt und im Rahmen eines aufwendigen Begräbnisses zur letzten Ruhe gebettet. Was er mitten in der Nacht halbnackt auf einer Straße weit weg von seinem Haus zu suchen hatte, wurde nie geklärt.



Anmerkung von managarm:

22. März 2009

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