Zen in der Geburt von Kuscheltieren

Kurzgeschichte

von  Elia

Die Betreuerin meiner Tante wuchtet den grau-grünen Plastiksack schwungvoll auf einen Stuhl. Oben schaut ein Elefant heraus. Neugierig nehme ich ihn hoch und entdecke darunter aus Wolle gehäkelte Katzen, Hunde, Hasen, Mäuse und sogar zwei Krokodile, mindestens fünfzig Kuscheltiere.

Wir räumen gemeinsam die Wohnung der Tante aus. Sie ist in ein Altersheim gezogen. Ob sie weiß, dass die Tiere verschenkt werden? Ich nehme an, dass die Betreuerin sie gefragt hat, aber gewiss hat sie nur zugestimmt, weil sie zu schwach ist, um noch einmal ihre Wohnung aufzusuchen und einen letzten Blick auf ihre gestickten Decken, geklöppelten Tischbänder, den aus Goldfäden gehäkelten Christbaumschmuck und die Kuscheltiere zu werfen. Ich bin sicher, hätte sie das alles eigenhändig aus dem Schrank nehmen müssen, wäre nichts davon verschenkt worden. Was wir hier aussortieren, ist die zu Wolle geronnene Zeit ihres Lebens.

„Bitte“, sagt die Betreuerin, „bringen Sie die Kuscheltiere in irgendeine Flüchtlingsunterkunft. Da sind doch bestimmt Kinder, die sich darüber freuen.“ Ich habe keine Ahnung, wo die nächste Flüchtlingsunterkunft ist und ob ich da einfach wie der Weihnachtsmann mit dem Beutel über der Schulter reinmarschieren kann und Geschenke verteilen. Da muss man sich gewiss anmelden und eine Genehmigung einholen. Außerdem glaube ich, dass geflüchtete Kinder wie alle anderen Kinder, die ein Kuscheltier lieben, immer ein bestimmtes in ihr Herz schließen und das wird dann garantiert nicht in der Heimat zurückgelassen oder sonst verloren.

In Wirklichkeit, aber das sage ich nicht, widerstrebt es mir, die Kuscheltiere, so sorgfältig sie auch angefertigt worden sind, nur zu verschenken, um die Tante, die immer alles gehortet hat, am Ende auf preisgünstige Weise zur Wohltäterin zu machen. Kinder, die in einer Flüchtlingsunterkunft leben, brauchen anderes Spielzeug, solches mit dem sie sich beschäftigen können. Also sage ich: „Ich weiß nicht, ob das wirklich etwas für die Kinder ist. Legos oder Buntstifte fände ich viel besser.“

„Aber Ihre Tante hat nun mal Kuscheltiere gehäkelt. Bitte, sorgen Sie dafür, dass die an irgendwelche Kinder kommen.“ Ich bringe es nicht übers Herz, den Auftrag schroff abzulehnen. Also biete ich an: „Ich könnte sie meiner Freundin bringen. Die ist Physiotherapeutin für Kinder und sie hat erzählt, dass bei ihr oft geweint wird. Vielleicht kann sie die Tiere als Trostpflaster nutzen?“ Leider lässt die Betreuerin sich nicht darauf ein: „Das würde Ihre Tante nicht wollen. Das müssen Flüchtlingskinder sein.“ „Okay.“ Ich gebe auf. Was ich tatsächlich mit den Viechern mache, muss ja am Ende niemand wissen.

Als die Betreuerin fort ist, hole ich die Tiere aus dem Sack und stelle sie in einer Reihe auf. Jede Masche ist exakt so wie ihre Vorgängerin und ihr Nachfolger. Das Garn ist weich und als Augen hat sie Knöpfe aufgenäht. Dafür, dass die Tiere schon ewig in dem Plastiksack geschlafen haben, sind sie wirklich gut in Schuss. Warum hat die Tante sie nicht frühzeitig selbst verschenkt? Sie hat selbst keine Kinder, aber meinigen, die inzwischen erwachsen sind, ist sie bei jeder Geburtstagsfeier in der Familie begegnet. Vielleicht dachte sie, dass sie „alles haben“? Tatsächlich hat mein Sohn sich nie mit Stofftieren abgegeben und meine Tochter liebte nur eine einzige verschlissene Puppe. Alle zusätzlichen Geschenke dieser Art verstaubten auf dem hohen Regal im Kinderzimmer. Ich bin aber sicher, dass die Kinder, wenn die Tante ihnen je ein Krokodil in den Arm gedrückt hätte, dass sie das Geschenk mit großen Augen betrachtet hätten und damit wild durch die Wohnung getobt wären. Dabei hätten sie das Maul des „Reptils“ auf- und zugeklappt und „Mampf! Mampf!“ gerufen. Die Tante hat also mindestens zehnmal die Gelegenheit verpasst, Begeisterung auszulösen und sich beim Dampf frisch eingeschenkten Geburtstagskaffees über einen Krokodilangriff zu „erschrecken“. Natürlich hätte sie auch andere Kinder beschenken und sich über deren Freude freuen können, aber stattdessen zog sie es vor, alles so lange für sich zu behalten, wie möglich. Ob sie sich als Kind selbst vergeblich ein Kuscheltier gewünscht hat? Das ist möglich. Sie ist ein Kriegskind. Vielleicht soll ich deshalb geflüchtete Kinder damit beglücken, keine anderen. Vielleicht hat sie die Kuscheltiere aber auch für die eigenen Kinder gehäkelt, die sie nie bekommen konnte? Ich erinnerte mich an eine fünfundfünfzigjähre Bekannte, die ebenfalls kinderlos war und sehr trauerte, als man ihre Gebärmutter entfernen musste. Damit war es endgültig. Das Verschenken der Stofftiere hätte auch etwas Endgültiges gehabt.

Am nächsten Tag suche ich meine Freundin, die Physiotherapeutin auf. „Schau mal, meine Tante hat all diese Kuscheltiere gehäkelt, kann sie aber nicht mit ins Altersheim nehmen. Kannst Du sie in Deiner Praxis vielleicht als Trostpflaster für Kinder verwenden?“ Sie schaut hinein. „Nein, tut mir leid, kann ich nicht wirklich brauchen.“

„Da stecken Jahrzehnte Arbeit drin, aber niemand kann etwas damit anfangen. Ich verstehe nicht, wie man sein Leben so verschwenden kann.“ „Du bist ganz schön anmaßend, dass Du urteilst, sie hätte ihr Leben verschwendet, findest Du nicht?“, fragt sie. „Wenn es ihr nur darum gegangen wäre, beim Fernsehen etwas in den Händen zu haben oder wenn sie ihre Zeit strukturieren musste, so von Maus zu Krokodil und von Krokodil zu Hund, dann wäre es ja okay, dann wäre der Zweck erfüllt. Dann könnte man den ganzen Sack auch nehmen und wegschmeißen.“ Sie denkt kurz nach: „Mönche in einem Zen-Kloster meditieren auch „einfach so“. Da ist es doch okay, wenn Deine Tante „einfach so“ Kuscheltiere gehäkelt hat.“ „Ja, aber wenn es Zen gewesen wäre, müsste ich jetzt nicht versuchen, nachzuholen, was sie versäumt hat. Dann hätte sie nichts versäumt.“

Trotzdem fahre ich am nächsten Tag zur Flüchtlingsunterkunft. „Tut mir leid“, sagt der Betreuer, „die sind zwar schön, aber ausgeben können wir die nicht. Da fehlt ein TÜV-Siegel. Schauen Sie, die Knöpfe. Daran könnte sich jemand verschlucken.“ Ich schenke ihm ein Krokodil für seine Autoablage und den Rest für seine Frau. Die häkelt gern und kann mal nachschauen, wie „das“ gemacht wird. Dann kaufe ich der Tante einen Blumenstrauß. Ich werde ihr erzählen, dass die Kinder die Krokodile besonders mochten, weil sie einen beschützen, während man schläft.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (21.09.23, 16:02)
Insgesamt etwas arg hölzern gemacht, finde ich. Inhaltlich mir zu rührselig.
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