Was ist schon Männlichkeit?

Text

von  Xenia

Was ist schon Männlichkeit? 

Wenn ich mir mein Leben im Rückblick ansehe, hab ich spätestens seit meiner Pubertät nie das Gefühl gehabt, richtig in meinem Körper zu sein. Ich habe mich auch nie so verhalten, wie man es von einer Frau erwarten würde, aber darüber habe ich mir lange gar nicht so viele Gedanken gemacht. Schon mit siebzehn ließ ich Sprüche von Stapel wie:"Ich bin ein Dude, aber halt ein Geiler!" Für mich war klar, ich war anders als andere Frauen - Aber genauso war mir auch klar, dass ich die meisten Männer echt panne fand. Von Freundinnen musste ich mir teilweise Sprüche anhören wie:"Sei froh, dass du kein Mann bist, mit deiner Macker - Attitüde würdest du sonst ständig von Flinta auf's Maul kriegen", und verdammt, ich war froh. Es gab jedoch seltsame Anzeichen. 


Zb. hatte ich schon früh mit Dysphorie zu kämpfen, was meine Titten anging. Immer wieder dachte ich darüber nach, sie mir abzuschneiden. Als ich den Begriff "nichtbinär" entdeckte, konnte ich mich damit so gut identifizieren, dass ich ihn erst mal nicht hinterfragte, und für mich annahm. 


Vor ein paar Monaten benannte ich mich um. Mein bisheriger Name kam mir zu feminin vor, ich wollte endlich einen, der sowohl weiblich, als auch männlich lesbar war. Meine Freund*innen übernahmen den Namen recht schnell. Ich bin froh, so einen supportive Freundeskreis zu haben. 


Dann passierte, womit ich nicht gerechnet hatte, was mir aber, im Nachhinein betrachtet, hätte klar sein müssen: Der Mann in mir traute sich endlich raus. Es begann damit, dass ich bemerkte, dass ich den Namen, den ich mir neu gegeben hatte, durchgehend männlich las. Dann wurde mir klar, dass ich mich von Kind an männlich gefühlt hatte. All die kleinen Dinge, die ich nie ganz verstanden hatte. 


Und ich begann, zu weinen. Ich heulte plötzlich wegen allem. Wegen mir, dem kleinen verdrängten Jungen in mir, meinen fehlenden Barthaaren, weil ich mich plötzlich so hübsch fand mit meinen von Natur aus eher maskulinen Features, weil zeitgleich die Dysphorie wegen meiner Brüste zehnmal schlimmer wurde... Ich weinte, weil kleine Tiere meinen Beschützerinstinkt auslösten, ich weinte, weil ich so ein scheiß Weichei bin und weil ich nicht gesehen hatte, dass alle meine männlichen Freunde deswegen Weicheier sind, weil ich selbst einer bin und mich deswegen unter Mackern fühle, als müsste ich einen Kampf führen, den ich nicht führen möchte, ich weinte, weil ich zu dünne Arme hab für einen Mann, zu wenig Barthaare, aber vor allem weinte ich, weil der kleine Junge in mir endlich raus durfte, und ich ihm einen Raum gebaut hatte, in dem er sicher er selbst sein durfte. Als mir das vollständig klar wurde, war ich gerade bei einer Freundin und ich meinte zu ihr, dass ich ganz dringend ne Muskel Mommy bräuchte, die mich in den Arm nimmt, und mir sagt, dass ich ein guter Junge bin...


Sie antwortete:"Ich hab zwar keine Muskeln, aber ich kann das für dich machen", und ich so:"Ok, ich hab auch keine Muskeln, ich bin nämlich ein schwächlicher Sojaboy, den sie früher in der Schule auseinander genommen hätten, und überhaupt ist jetzt der erste Moment in meinem Leben, in dem ich sicher genug bin, um genau der Waschlappen Dude zu sein, der ich schon immer war, und wahrscheinlich musste ich deswegen immer so auf hart machen, weil für so einen Boy in meinem Leben vorher kein Raum war, aber jetzt ist da Raum und das erste Mal in meinem Leben ist der kleine Junge stolz auf mich, weil ich ihm Platz gemacht habe, um ein erwachsener Mann zu werden", und dann hab ich mich einfach nur in den Arm meiner Freundin gelegt, sie hat mir gesagt, dass ich das sehr gut gemacht hab, und was für ein guter Junge ich bin, und Leute - ich hab mich noch nie in meinem Leben so männlich gefühlt wie in genau diesem Moment.


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 S4SCH4 (26.07.24, 19:01)
Mein Gedanke bei der Erzählung ist, dass die Geschlechter sich seit Jahren / Jahrzehnten, gegenseitig das Wasser abgraben. Androgyn, feminin, burschikos, etc. 
Aus der Psychologie habe ich einmal gehört - aber ich weiß nicht wie wissenschaftlich fundiert das war - das jeder Mensch weibliche und männliche "Anteile" vereint. Irgendwas ist dran, aber es klingt auch ein wenig nach "sortenspezifischen" Humbug.

Was man doch will, ist eine haltbare Identität in einer vielschichtigen, sich wandelnden Welt. Man kann nicht alles haben und muss akzeptieren können, dass kenne ich gut von mir selbst (und es hört sich so lame an).
Außerdem geht man zwangsläufig nicht nur mit Generationen und deren Herausforderungen, Erkenntnissen, etc., sondern auch mit Trend, Mode usw. 

Ich wünsche der Person, um die es im Text geht, viel Durchhaltevermögen auf dem weiteren Weg, ob nun weibliches-, oder männliches-.
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