Schachmatt

Die Halle strahlt eine majestätische Erhabenheit aus. Nach vielen Jahren findet hier endlich wieder eine Schachweltmeisterschaft statt. Doch jetzt ist es still, unheimlich still. Die Kontrahenten sitzen auf ihren  weichen, großen Stühlen, die aussehen wie die Chefsessel von Konzernchefs. Die quadratischen Holzintarsien des Bretts schimmern teilweise zwischen den Figuren hindurch und reflektieren das Licht, das auf sie fällt. Die Stimmung im Zuschauerraum ist angespannt, als stünde sie kurz vor einem Ausbruch. Die Mikrofone übertragen das verhaltene Atmen der Kontrahenten auf die Lautsprecher im Zuschauerraum.

Der mit dem Falkengesicht beugt sich über das Brett. Seine Augen sind so scharf, als würden jeden Augenblick vergiftete Pfeile aus ihnen herausschießen. Aber sein Gesicht ist voller Sorge. Der letzte Zug des anderen, fühlt sich wie ein Stich ins Herz an. Lippen und Fäuste pressen sich zusammen. Und doch, jetzt sieht er es, holt er endlich tief Luft und atmet ebenso tief aus, als würde einem großen Luftballon die Luft entweichen.

Ein kaum merkliches Lächeln umspielt seine Lippen. Ein stilles Wissen um den bevorstehenden Sieg verjüngt seine Stimmung, verwandelt ihn in ein Kind, das am liebsten laut jubeln würde, wäre er nicht so streng erzogen worden, wie man es damals noch mit Kindern hielt.

Wie in Zeitlupe, ja fast geschmeidig wie ein Konditor, der kunstvoll die letzten Verzierungen auf seiner Torte anbringt, zieht er die Figur, die ihm den Sieg verspricht. Auf das Gesicht des anderen mit dem runden Kopf, der an eine englische Bulldogge erinnert, fällt ein kalter Schatten. Plötzlich explodiert der massige Körper des amtierenden Weltmeisters, Fleischfetzen, Sehnen, Knochen und Blut spritzen wie Fontänen in den Zuschauerraum. Das Falkengesicht reißt die Augen auf, sieht sich in seinem Bett liegen - es war nur ein Traum. Bald wird es Abend ... dann ist es soweit.