Narzissmus ist eine Begabung

Dialog

von  hehnerdreck

Blödsinn, wie kannst du so einen Unsinn behaupten? Der Narzissmus ist der Gipfel aller Dummheiten. - Nein, das ist er nicht, das ist die Selbstlosigkeit, die mit Talent nichts zu tun hat, der Narzissmus dagegen, der sorgt wenigstens für sich selbst, wenn schon niemand sonst dafür sorgt, dass es einem gut geht. - Was hat denn der Narzisst davon, wenn jeder, der ihn näher kennt, ihn am liebsten ... Ich meine, da läuft doch jeder vernünftige Mensch davon. - Ja, mag sein, aber am Anfang, oberflächlich betrachtet, sind sie ja alle noch fasziniert von ihm und suchen seine Nähe. - Ja, aber nicht lange.

Es gibt aber auch solche, die es lange genug mit ihm aushalten. - Aber das sind dann selbstvergessene Masochisten, bedauernswerte Opfer, die ihr Leben lang Opfer bleiben, aus welchen Gründen auch immer. - Du meinst die Ausgebeuteten und Unterdrückten. - Ja! - Und welche Gabe haben die Ausgebeuteten und Unterdrückten? - Wahrscheinlich gar keine? - Sie sind bemitleidenswerte Elendsleichen, die kein Leben haben, zumindest kein richtiges Leben. - Aber der Narzisst benutzt sie, um seinen Narzissmus zu befriedigen, nicht wahr? - Ja, was soll er sonst tun, wenn die sich ihm andauernd an den Hals werfen?

Für mich ist der Narzisst nichts anderes als ein lächerlicher Mensch, der unter einem massiven Minderwertigkeitskomplex leidet. - Ja, und so kann er sich wenigstens ein bisschen über die Wunden in seiner Seele hinwegtrösten. - Indem er die ganze Zeit nur von sich redet? - Ja, und das ist auch seine Gabe. - Bist du verrückt? Das ist keine Begabung. - Doch, denn der Narzisst gleicht einem Maler, der sein eigenes Bild immer wieder in leuchtenden Farben auf die Leinwand malt. 

Das sind aber auch wirklich eine Menge Farben, die er verwendet, ganz zu schweigen von den unzähligen Leinwänden. - Die freiwillig Unterdrückten und Ausgebeuteten dagegen haben es noch nie verstanden, sich wie ein Narzisst in den Mittelpunkt ihres eigenen Schaffens zu stellen. - Wie auch, wenn sie unter der ständigen Unterdrückung und Ausbeutung so sehr leiden müssen, dass sie gar nicht dazu kommen, auch einmal etwas für sich selbst zu tun. - Der Narzisst hingegen nimmt sich die Zeit, sich selbst zu inszenieren, weil er im Gegensatz zu den freiwillig Unterdrückten und Ausgebeuteten sein eigenes Leben als etwas Wertvolles begreift. - Das glaubst du doch selbst nicht. Seine übertriebene Selbstbezogenheit ist wie ein bizarres Gefängnis aus Spiegeln, in dem er nur sich selbst sieht. Innerlich bleibt er unberührt und einsam. - Ja, aber das bleibt auch nur die einzige Schattenseite, unter der er wie kein anderer leidet.


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (01.11.24, 18:09)
Hängen Narzißmus und Solipsismus zusammen? Letzterer ist eine schwer widerlegbare Position, über die in der Philosophie viel diskutiert wurde.

 hehnerdreck meinte dazu am 01.11.24 um 19:04:
Nun, Graeculus, glaubst Du wirklich, Du lebst in einer Welt voller Lebewesen und Gegenstände, ohne zu merken, dass Du ein Gehirn in einem Tank bist?

 Graeculus antwortete darauf am 01.11.24 um 19:49:
Mit Gehirn im Tank hat das nichts zu tun, das Solipsismus-Problem ist erheblich älter. Und was ich glaube, spielt keine Rolle. Die Frage ist, ob es für das Problem eine beweisbare Lösung gibt.

 hehnerdreck schrieb daraufhin am 01.11.24 um 22:09:
Der menschliche Verstand neigt dazu, Dinge, die voneinander abhängen oder miteinander verbunden sind, unabhängig voneinander zu betrachten und kommt dadurch nicht selten zu falschen Schlüssen. Ich glaube, dass die Frage anders gestellt werden sollte, um eine Antwort zu erhalten, die der Realität entspricht.
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