Dort wo ich träumte

Kurzgeschichte zum Thema Biographisches/ Personen

von  harryaltona



DORT WO ICH TRÄUMTE



Nicht weit entfernt von dem Ort an dem Nachts die großen Schiffe schliefen, lag ich in einem übergroßen Bett und versuchte genau das gleiche. Es gelang nicht immer. Viel zu oft kam mir ein Tagtraum dazwischen. Auch das Tuten der Nebelhörner der Dampfer auf der nahen Elbe war nicht gerade sehr hilfreich bei meinen halbherzigen Versuchen endlich Ruhe zu finden.

Ich war ungefähr fünf Jahre alt und hatte den Kopf voller Spinnereien. Mit offenen Augen lag ich unter dem viel zu dicken Federbett und fantasierte mir einen ab. Merkwürdig – denn müde war ich schon. Die täglichen Spiele und Raufereien hatten mich doch erschöpft. Wilde Spiele waren das da draußen. Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts fand unser Leben fast ausschließlich auf den Straßen statt. Es gab keinen nennenswerten Autoverkehr, Daheim kein Fernsehprogramm und das Wetter konnte uns nichts anhaben. Wir waren wilde Burschen.

Die zahlreich vorhandenen Baulücken die der letzte Krieg hinterlassen hatte dienten uns als Abenteuerspielplatz. Mit Stöcken bewaffnet hackten wir uns durch das dichte Gestrüpp. Wir bildeten Banden und bewarfen uns mit harten Dreckklumpen, wobei auch mal ein echter Stein traf. Ein Loch im Kopf hatten alle schon gehabt. Da redete man schon gar nicht mehr drüber. Unterbrochen wurde unser Treiben nur von der Mittagsstunde. Irgendjemandes Mutter stand dann am Fenster und rief ihren Jungen zum Essen. Ein Signal für uns alle. Wir trollten uns in die heimatlichen Küchen und löffelten unsere Suppe, dann noch eine Wurststulle auf die Hand, und schon waren wir wieder draußen und abenteuerten drauf los. Doch wenn die Sonne unterging war es vorbei. Zeit um nach Hause zu gehen.

Es gab noch ein kleines Abendbrot. Rührei mit einer dicken gebutterten Scheibe Schwarzbrot, ab und zu auch ein saftiger Bückling. Dazu gab es meist ein wenig Mecker von meiner Muddi ob meines Aussehens. Wahrlich sah ich aus wie ein Strolch. Staub in den Haaren und auf der Haut, aufgeschürfte Knie, dreckige Fingernägel und die Klamotten zerrissen. Also musste unter allen Umständen noch gebadet werden. Da gab es kein Entkommen. Schnell wurde ein großer Kessel Wasser erhitzt, die Zinkwanne hervor geholt. Kaltem mit Warmen Wasser gemischt bis es erträglich war. Und schneller als ich Protestieren konnte hatte sie mich aus meiner steifen Kluft gepellt und ich hockte in der warmen Brühe, wurde grob eingeseift und abgespült, die Haare gewaschen und gekämmt. Und schon stand ich da in einem frischen Schlafanzug. Das ganze dauerte kaum fünfzehn Minuten. Mutter hatte Übung. Zeit für ´s Bett, Zeit für das dicke Federbett.

So war das in meinen Kindertagen. Wir lebten in einem Mietshaus das schon vor dem Krieg ein Altbau war. Kein fließend Warmwasser, Ein gewaltiger Kohleofen in der Stube, in der Küche eine sogenannte Kochhexe. Zum Glück verfügten wir über ein eigenes winziges Klo. Ich kannte auch andere Häuser, da gab es Etagenklosetts im Treppenhaus. Ganze Familien mussten da um den Zugang kämpfen. Da hatten wir es noch gut getroffen,obwohl die Fensterscheiben dünn waren und die hölzernen Rahmen so verzogen das der Wind hindurch pfiff. Im Winter blühten herrliche Eisblumen darauf. Morgens war es entsetzlich kalt, und da war man froh über die schweren Federbetten.

Zeit um zu fantasieren.

Still war es geworden. Aus dem Nebenzimmer hörte ich nur leise das Radio. Die Eltern mochten Schlagermusik, manchmal sangen sie mit. Und ich war wieder auf Reisen. Natürlich nur in meinen Träumen. Da stand ich immer auf der Brücke eines Schiffs. Ich war der Kapitän. Ich hatte das Kommando. Meine mutige Mannschaft und ich bereisten alle Weltmeere, erkundeten fremde Länder, erforschten fremde Völker. Und wir machten hervorragende Geschäfte. Wahre Schätze häuften wir an auf unseren Reisen. Nach einem Jahr voller Abenteuer kehrten wir zurück in den Heimathafen. Ein Triumph sondergleichen. Beladen mit unsagbar wertvollen Zauberdingen waren wir das Tagesgespräch. Der ganzen Stadt stand der Mund offen. Braun gebrannt wie ein alter Lederlappen, angezogen wie ein Flottenadmiral kehrte ich zurück zu meinen Eltern.

Umarmungen, Küsse, Schulterklopfen, Aaaah ´s und Oooooh ´s. Das ganze Programm elterlicher Wiedersehensfreude wurde mir zuteil. Dann nahm ich die Beiden mit auf meine nächste Reise, Richtung Karibik. In meinen kindlichen Vorstellungen rettete ich die Beiden fortwährend aus ihren kümmerlichen Leben voller Leid und Kälte.

In meinen Träumen. Natürlich.

In unseren realen Leben konnte von Leid und Not keine Rede sein. Das Wirtschaftswunder hatte auch bei uns Halt gemacht. Alles war da. Bananen, Orangen, jede Menge Schokolade. Restaurantbesuche, gelegentliche Ausflüge nach Helgoland. Und unsere Sonntagsspaziergänge. Da wurde ich fein angezogen. Sauberes Hemd, gute Schuhe, einen Marineblauen Blazer und meine besten Hosen. Auch meine Eltern hatten sich fein gemacht.

Und schon zockelten wir los. Wir wohnten im Lawaetzweg, also ging es links rum, die Behnstraße runter. Dies sollte im kommenden Jahr mein Schulweg werden, auch deshalb hatte man wohl diese Route gewählt. Struenseestraße, an der Ecke machten wir Halt und meine Muddi zeigte mit den Finger in Richtung Grundschule.

Da hinten liegt deine Zukunft,“ sagte sie, „Meinst du das du hast hinkriegst? Auch mal alleine? Wir haben ja nicht immer Zeit dich zu bringen, oder abzuholen.“

Ich denke schon,“ war meine Antwort. Aber so ganz sicher war ich mir nicht. Was da so alles passieren konnte? Und meine Fantasie ging wieder mit mir durch. Zum Glück ging es weiter, und man musste aufpassen wohin man seine Füße setzte.

Schon waren wir da am hohen Elbufer, einem wundervollen Grünstreifen oberhalb der Elbe, der sich bis nach Övelgönne zog. Viele Bäume, Grasflächen, Büsche gab es hier. Eigentlich genau das richtige zum toben für einen lütten Buttje wie mich. Aber nix da. Sonntags war das gemessene Flanieren angesagt, kein herum rennen, Bitte. Pause machten wir am Altonaer Balkon, hier standen jede Menge Bänke zum Ausruhen und man hatte einen herrlichen Blick auf den Hafen mit seinen Anlagen, den Schiffen. Vom Riesenpott bis zur kleinen Schute war alles dabei. Ich hockte mich auf ein Geländer und schaute ihnen bei ihrer Arbeit zu. Denn auch an Sonntagen wurde dort Geschuftet. Kräne drehten sich, hoben allerlei Kram aus den Bäuchen der Schiffe, kleine Schuten verteilten Waren, Schornsteine qualmten und das Tuckern der Maschinen drang zu mir herauf. Stundenlang hätte ich da zusehen können.

Doch schon ging es weiter. Wieder Richtung Wohnung, doch auf einer anderen Route. Vorbei an unserem schmucken Rathaus, hin zum Bahnhof. Auch hier herrschte reges Treiben. Vom Bahnhof dann zur neuen großen Bergstraße. Kaffee und Kuchen in der Konditorei Kröger, für mich Kakao und ein Franzbrötchen.

Am frühen Abend waren wir wieder daheim. Ruckzuck pellte man sich aus dem Sonntagsstaat. Man wollte die guten Sachen ja nicht zu schnell auftragen. Abendessen wurde vorbereitet. Mein Vater rollte noch die Ascheimer auf die Straße. Morgen war Abfuhr. Die Dinger waren groß und aus dickem Blech gefertigt. „Keine heiße Asche einfüllen!“ stand auf jeder geschrieben. Der erste Satz den ich auswendig aufsagen konnte. Schon im Schlafanzug verputzte ich unser Abendbrot. Dann noch eine Stunde vor dem Grundig – Empfänger. Schon fielen mir die Augen zu und der Olle trug mich ins Bett. Das Federbett fühlte sich gut an.







Text: harryaltona (2024)



Anmerkung von harryaltona:

Ein kleiner nostalgischer Blick Richtung Kindheit.

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Kommentare zu diesem Text


 Pearl (02.11.24, 10:17)
Hallo und du kannst wunderschön schreiben! Danke für diesen Ausflug in eine andere Welt, als ich noch nicht geboren war. Das Empfinden der Kindheit, das ja Träumen ist - oder sein sollte - hast du zu Wort gebracht. Und dieses Empfinden kannte ich auch und kennen sicherlich auch viele Kinder von heute... auch wenn sich sonst vieles geändert hat!

Liebe Grüße

Pearl
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