Zuhause
Text
von Alex
Es war ein seltsames Gefühl, wieder in einer Wohnung zu sitzen, nach all den Jahren auf der Straße. Hier, in diesem kleinen, abgefuckten Loch, in dem ich eigentlich zur Ruhe kommen wollte, fühlte ich mich eingesperrter und unruhiger als je zuvor.
Ich dachte oft an die Zeit auf der Straße. Auch dort war es oft gefährlich gewesen. Doch nie hatte ich mich so bedroht gefühlt wie hier. Die Wohnung lag in einem Viertel, so heruntergekommen, dass du dich dort nie wirklich sicher fühlen konntest. Aber das war es nicht. Es war diese verdammte Paranoia, die mich auffraß. Diese Bilder in meinem Kopf, als würde mich etwas verfolgen, das mich verletzen wollte. Die Wände, die mir nachts immer näher kamen, und drohten, mich zu ersticken.
Eines Abends, als die Dunkelheit sich über die Wohnung legte, hörte ich wieder diese Geräusche im Hausflur. Zuerst dachte ich, es wäre nur der Wind. Aber dann hörte ich Schritte. Leise, fast unmerklich. Ich sprang auf, griff nach der ersten Flasche, die ich fand. Wenn es sein musste, würde ich zuschlagen. Doch ich hatte keinen Plan. Dieser Moment der Ungewissheit riss etwas in mir auf, eine uralte Angst, die mich sofort in den Survival-Modus versetzte.
Ich öffnete die Tür, und da stand er. Ein Mann. „Nur nach Pfand schauen“, murmelte er. Pfand? Was zum Teufel wollte der Kerl hier? Ich wollte ihn fragen, ob er auch nach dem Weg zum Mond sucht, aber alles, was ich sagte, war: „Geh weg.“ Das war alles. Keine große Show, keine Wut. Und dann, ohne ein Wort zu sagen, griff er meine Tasche, die in einer Ecke des Flurs stand, und versuchte abzuhauen.
In diesem Moment wusste ich: Es gab kein Zurück. Ich packte ihn, ohne nachzudenken. Ich dachte nicht mehr in Worten, sondern in Bildern. Mein Kopf war leer, klar, fokussiert. Die Ängste, die mich jahrelang gefangen hielten, waren plötzlich nicht mehr da. Ich dachte nur an meine Aufgabe, ihn rauszubekommen. Es war nicht schwer. Das Schwierigste war, nicht völlig zu eskalieren und etwas zu tun, das ich später bereuen würde.
Danach stand ich einfach da und atmete tief ein und aus. Ich hasse dieses Gefühl, das ich in solchen Momenten in mir trage. Der Mann war für einen Augenblick kein Mensch mehr für mich. Er war ein Hindernis, das aus dem Weg geräumt werden musste. Ein Haufen Verletzlichkeit, Haut, Knochen, Adern, Blut. Ich wusste nur zu gut, wie einfach es gewesen wäre, ihn zu verletzen, und in solchen Momenten fühlte ich mich wie in einem Rausch.
Keine Gefühle. Kein Schmerz. Kein Mitgefühl. Nur dieses intensive Bewusstsein, als würde mein Körper sich wieder in das verwandeln, was er in den schlimmsten Zeiten war. Ein unberechenbares Monster, dem es nichts bedeutete, einem anderen zu schaden. Kein Zittern, keine Fragen. Nur dieses Gefühl, dass alles, was wirklich zählte, der Moment war, und dieser Moment war blutrot.
Ich hatte selten Angst in Situationen, in denen mir Gewalt drohte. Ich war nicht stark, aber das war mir in solchen Momenten egal. Das war der Moment, in dem ich wieder zu dem wurde, was ich in mir vergraben hatte. Das Tier, das bereit war, alles zu tun, um zu überleben.
Das war nicht die erste solche Situation. Schon als Kind hatte ich die Schläge für meine Schwester eingesteckt, weil ich es nie ertragen konnte, sie leiden zu sehen. Ich habe meine Mutter angelogen, die Schuld für Dinge auf mich geladen, die ich nicht getan hatte – nur damit sie mich misshandelte statt meiner kleinen Schwester. Und wenn sie mich schlug, lachte ich sie aus. Das machte ihr Angst, und ich fühlte mich durch ihre hilfslose Wut überlegen.
Vielleicht war das der Grund, warum ich heute so seltsam kalt und gefühllos wurde, wenn ich in gewaltsame Situationen geriet. Ich hatte keine Angst, selbst geschlagen zu werden. Ich hatte nur Angst, die Kontrolle zu verlieren. Vor dem Monster in mir. Vielleicht war das der wahre Grund, warum ich nie wirklich irgendwo zu Hause war. Der Kampf, der nie endete, war der gegen mich selbst. Gegen die Angst, die Schuldgefühle, gegen die Gedanken, die mich nicht losließen. Es war, als würde ich immer auf der Flucht vor etwas sein, das ich nicht einmal benennen konnte.
Aber in dieser Nacht war es wenigstens für einen Moment still in mir. Ich wusste, dass ich überlebt hatte. Und für den Moment war das alles, was zählte.