Kein Bittsteller

Bericht

von  autoralexanderschwarz


Die Berichterstattung bei tagesschau24 ist durchaus wohlwollend. Biographien werden verglichen, Gemeinsamkeiten betont und die Live-Sendung beginnt locker eine halbe Stunde, bevor Merz überhaupt eintrifft. Im Vorfeld hat er verkündet, dass er nicht als „Bittsteller“ komme und er hat sich mit Selensky und Ramaphosa beraten, wie man Eklats und Demütigungen am besten überstehen kann. Er hat ein Geschenk mitgebracht und, so wird immer wieder betont: er durfte im Gästehaus des Weißen Hauses übernachten, während Scholz damals ein Hotelzimmer buchen musste. Themen gäbe es durchaus viele: Die Zölle, das Sterben in Gaza und der Ukraine und überhaupt die ganzen frechen Randbemerkungen, die da bezüglich der Meinungsfreiheit in Deutschland propagiert wurden, die neuen imperialistischen Phantasien, Grönland, der Golf von Mexiko. Merz hat die Erwartungen gedämpft und meinte im Vorfeld, dass es in erster Linie darum ginge, sich kennenzulernen, sich „anzuschnuppern“, wie es der Reporter in der Live-Schalte ausdrückt. Dann marschiert eben jene Ehrenformation, die am Abend zuvor noch am Flughafen gefehlt hatte, durch das Bild, Trump tritt vor die Tür, die Limousine fährt vor, beide lächeln in die Kameras und verharren eine Weile nebeneinander, bis auch jeder sein Foto gemacht hat. Merz ist deutlich sichtbar größer als Trump und es scheint so, als würde er versuchen sich möglichst klein zu machen, um nicht durch seine bloße Physis den transatlantischen Freund zu verärgern, ansonsten ein guter Start. Die ersten Sekunden, so hat es der Reporter kurz zuvor noch erklärt, entscheiden häufig über den Verlauf solcher Treffen. Dann Szenenwechsel, Oval Office, die Geschenkübergabe, die Geburtsurkunde des Großvaters, schlicht aber durchaus elegant gerahmt, ein ebenso nachvollziehbares wie biederes Geschenk, die deutschen Wurzeln und der sorgsam vorbereitete Scherz, dass auch der Großvater „Friedrich“ geheißen habe. Das ist ein deutscher Vorname, sagt Merz und lächelt. Dafür gibt es einen Handschlag und dann ist Merz Auftritt eigentlich auch schon vorbei. Gnadenlos zoomt der Kameramann auf Trump, weite Teile dieses gemeinsamen Interviews über ist der deutsche Bundeskanzler von nun an überhaupt nicht mehr zu sehen. Niemand interessiert sich für ihn. Die Journalisten fragen lieber nach dem vorangegangenen Telefonat mit dem chinesischen Präsidenten, dem Verhältnis zu Elon Musk, der Unterschreibmaschine von Joe Biden und Trump, dem zu allem etwas und zumeist das Gleiche einfällt, führt sehr umfangreich aus, wie schlimm die Vorgängerregierung gewesen und wie großartig der eigene Wahlsieg, wie niedrig die Inflation nun sei. Einmal wagt Merz es, eine Lücke in Trumps Wortschwall zu nutzen, um sich auf Deutsch an ein deutsches Kamerateam zu wenden, was umgehend von Trump gerügt wird. Ob sein Englisch nicht gut genug wäre, will Trump wissen, es sei gut genug führt Merz aus, er könne „alles verstehen“. Beide lachen, wenn auch augenscheinlich aus unterschiedlichen Gründen, dann die nächste Frage. Von nun an spricht Merz nahezu kein Wort mehr und erst recht kein deutsches. Stattdessen redet Trump. Er reproduziert die immer gleichen Phrasen und Bilder, Schwerstkriminelle, die unter der Biden-Regierung über die Grenze strömten, Transmenschen, die bei Sportwettbewerben betrogen und so weiter und so weiter. Biden selbst hätte das alles gar nicht mitbekommen, aber jene, welche die Unterschreibmaschine benutzt hätten, wären radikale Linke gewesen. Man kann an manchen Stellen hören, wie schwer es dem Simultanübersetzer fällt, sein Lachen zu unterdrücken. Dann einer der Höhepunkte. Von den Reportern auf den Krieg in der Ukraine angesprochen, erläutert Trump eine „Analogie“, die er im Telefonat mit dem russischen Präsidenten gefunden habe. Manchmal, so führt er aus, sähe man in Parks Kinder, die sich gegenseitig schlagen würden. Es sei manchmal besser, sie sich eine Weile schlagen zu lassen, bevor man eingreife. Leider kann man nicht sehen, wie Merz hierauf reagiert, da er nicht im Bild ist. Dies war ja ein Thema, das er auf jeden Fall ansprechen wollte. Dann kommt Trump auf die Unterschreibmaschine zurück. Mitarbeiter des Weißen Hauses hätten ihm berichtet, wer diese benutzt hätte. Es sei eine Schande und dann, völlig unerwartet, erscheint Merz doch auf einmal wieder im Bild. Während Trump sehr breitbeinig auf seinem Sessel sitzt, hat Merz während des langen Zuhörens die Beine übereinandergeschlagen und hält seine Knie mit beiden Händen umschlungen. Deutschland stehe in der Schuld von Amerika, sagt er, wegen des Zweiten Weltkriegs und ebenso wie damals hätte Amerika nun die Macht, Frieden in Europa zu schaffen. Er, Trump, hätte die Macht, er sei eine Schlüsselfigur. Ein Bittsteller sieht anders aus. Dann ist er auch schon wieder aus dem Bild verschwunden und Trump bei den Eierpreisen, die in einem unvorstellbaren Ausmaß gesunken seien. Damals habe man ihm noch vorgeworfen, dass er für die hohen Eierpreise verantwortlich sei. Dann nähert sich das Interview bereits dem Ende. Noch zwei Fragen, sagt Trump, eine davon für den Bundeskanzler. Und die Frage kommt: Sie ist sehr gemein und wohl die kritischste Frage dieses ganzen Interviews: Ob denn der Bundeskanzler die Analogie, die Trump und Putin gefunden hätten, teilen würde? Ein Schicksalsmoment: Jetzt bloß nichts falsch machen. Weder die eine noch die andere Seite enttäuschen: Deutschland stehe fest an der Seite der Ukraine, sagt Merz, und dass beide, er und Trump, gleichermaßen wollen würden, dass dieser Krieg ende. Dann ist das Interview vorbei. Die Reporter erheben sich. Die Chemie zwischen den beiden hat gestimmt, sagt der Kommentator.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (06.06.25, 10:39)
Kein Affront, immerhin, nichts Spektakuläres - vorläufig.
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