Für's Handbuch des unmützen Wissens

Text

von  Elia

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Es war ein warmer Septembermorgen. Sie saßen auf dem Balkon und sie sagte: “Vor drei Jahren ist die Queen beerdigt worden.” Erstaunt fragte er: “Wieso weißt du das so genau und wen interessiert das überhaupt noch?" Sie schmunzelte: “Du hast Recht, das gehört ins Lexikon des unnützen Wissens.” 


In Wahrheit war der Tod der Queen nur die Kulisse einer anderen Erinnerung. Damals, vor drei Jahren, hatte sie auf dem Sofa gesessen und im Fernsehen verfolgt, wie “the Queen’s coffin” durch Schottland fuhr. Zwischendurch hatte sie aus dem Fenster in den grauen Himmel geschaut. Es war sein 30. Geburtstag gewesen, ein Alter, in dem viele das Ende der Jugend und den Beginn eines reiferen Lebensabschnitts spüren. Sie hatte fantasiert, was die nächsten zehn Jahre für ihn bereit halten würden, und ihm später einen Geburtstagsglückwunsch geschrieben, den sie genauso wenig abgeschickte wie die dunkelrote Decke, an der sie für ihn strickte, und die warm und schwer auf ihr lastete. 


Sie hatte ihn kennengelernt, als er 26 war und sie 55. Ihre Verbindung war keine Liebesgeschichte gewesen, aber eine tiefe, vertraute Beziehung, in der sie gehofft hatten, einander nicht zu verlieren. Sie war damals schon skeptisch gewesen, aber drei Jahre meinte sie, dem Leben entringen zu können. Drei Jahre fand sie zumutbar. Dann kam die Pandemie und ihre Wege trennten sich. 


Wahrscheinlich hatte er sie schon an seinem 30. Geburtstag vergessen gehabt und sie verfolgte einseitig das Wetter und überlegte nur für sich, wie er den Tag verbringen würde. Am Nachmittag kam die Sonne heraus. Da war der Sarg der Queen angekommen, sie hatte den Fernseher ausgeschaltet, das Strickzeug beiseite gelegt und ein Stück Kuchen gegessen.


In dieser Woche wurde er schon 33 und gerade hatte sie entdeckt, dass er sein Profilbild gewechselt hatte. Sie sammelte seine Profilbilder. Auf dem neuen Foto zeichnete sich seine Silhouette im Gegenlicht der Abendsonne ab. Es war an einem Spätsommerabend am nahen See gewesen, im Hintergrund dunkelte der Wald und die Windräder stachen  ins Abendrot. So nah war das! Ein zufälliges Treffen wäre möglich gewesen. Aber auch dieser Sommer ging ohne sie zu Ende, und für ihn begann ein weiteres Jahr des Aufbaus. Sie fühlte die Last der Zeit, all die Meilensteine seiner vergangenen Geburtstage, die sie nicht gemeinsam passieren konnten. Besonders jenen Dreißigsten. 


Immer holte sie an diesem Tag der Abschied ein. Sie wurde bald 63. Vielleicht blieben ihr noch zwanzig, gar fünfundzwanzig solcher Erinnerungstage, aber es wurden gewiss weniger. 


Es war ein warmer Septembermorgen. Sie sprach von der Beerdigumg der Queen. Für das Handbuch des unnützen Wissen. Warum sie das so genau wusste? 




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Kommentare zu diesem Text


 Hannes (08.09.25, 13:19)
Eine wunderbar geglückte kurze Erzählung, die leicht, fast schwerelos daherkommt, und trotzdem bleibt.

 Elia meinte dazu am 08.09.25 um 14:46:
Vielen Dank.

 Elia antwortete darauf am 08.09.25 um 14:46:
Vielen Dank.

 Elia schrieb daraufhin am 08.09.25 um 14:46:
Vielen Dank.
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